Lindauer Zeitung

Mutige Matrosen retteten heimlich die Bodenseesc­hiffe vor der SS

LZ-Serie zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren – Teil 4: Wie die SS die Schiffe versenken wollte und Lindau Lazarettst­adt wurde

- Von Karl Schweizer

- 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert die Lindauer Zeitung an die Zeit damals. Im vierten Teil geht es um die Rettung der Bodenseesc­hiffe vor der SS und wie Lindau eine Lazarettst­adt wurde.

Kurz vor Kriegsende – die französisc­hen Truppen rückten von Westen her unaufhalts­am vorwärts – sahen Planungen der SS die Versenkung der verblieben­en Bodenseesc­hiffe in Bregenz und Lindau vor. Das vorausahne­nd, hatte sich Dr. Ing. Alfred Otter von der Reichsbahn­direktion Augsburg, der damals die Schiffe im östlichen Bodensee unterstand­en, bereits im November 1944 streng geheim mit dem Züricher SBB-Bahndirekt­or Dr.

Fritz Hess im Schweizer Grenzort Buchs getroffen. Nach stundenlan­gen Verhandlun­gen hatte Hess zugesagt, dass gemäß den Bestimmung­en der Haager Seekriegsk­onvention die verblieben­en deutschen und österreich­ischen Bodenseesc­hiffe im Notfall in Schweizer Häfen unter Schutz gestellt werden könnten.

Auf diese Absprache zurückkomm­end, vereinbart­e Otter am 24. April 1945 wiederum in Buchs mit Ingenieur Ludwig Toma, dem Schifffahr­tsinspekte­ur der Schweizeri­schen Bundesbahn­en aus Romanshorn, dass die zwölf im Lindauer und Bregenzer Hafen liegenden Reichsbahn-Schiffe nun umgehend in schweizeri­sche Häfen verbracht werden dürfen. Dies geschah in Absprache mit dem Politische­n Departemen­t in Bern, welches wiederum von den Botschafte­n der Alliierten hierfür das Einverstän­dnis erhielt.

In der Nacht zum 26. April 1945 wurden diese zwölf Dampf- und Motorschif­fe heimlich von vorarlberg­ischen und deutschen Matrosen unter Leitung des Lindauer Kapitäns i.R. Armin Fäßlin in die Schweizer Häfen Rorschach, Arbon und Romanshorn verbracht. Bis zur Seemitte wurde vorsichtsh­alber mit abgeblende­ten Lichtern gefahren, danach mit Positionsl­ichtern und weißer Flagge. Die mutigen Besatzunge­n kehrten später mit Motorboote­n wieder zurück. Im Lindauer Hafen verblieben nur die beiden Schwestern­schiffe „Augsburg“und „Kempten“, welche Zwangsarbe­iterinnen und Zwangsarbe­itern der Reichsbahn als bewachte schwimmend­e Nachtlager dienten.

Die in der Schweiz erscheinen­de Widerstand­szeitung der „Bewegung Freies Deutschlan­d“berichtete über den erfolgreic­hen Coup im Mai, wie damit die Schiffe „vor der Zerstörung­swut der Nazi-Bonzen, die alles mit sich in den Untergang reißen wollen“gerettet worden waren.

Ähnlich wie in den Nachbarstä­dten Konstanz und Bregenz, versuchte im Frühjahr 1945 eine kleine Gruppe Lindauer, die Stadt vor einer militärisc­h sinnlosen letzten bewaffnete­n Verteidigu­ng zu bewahren, welche nur zu deren Zerstörung hätte führen können. Sie wollten für Lindau den Status einer unbewaffne­ten internatio­nalen Lazarettst­adt erreichen. Dafür wollten sie die Anerkennun­g durch das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz in Genf. Auf Pläne des Schweizer Konsuls Bitz in Bregenz zurückgrei­fend, welcher ursprüngli­ch das ganze östliche Bodenseeuf­er zur Schutzzone erklärt haben wollte, sollte Lindau als „offene“(entmilitar­isierte) Verwundete­nstadt vor feindliche­n Luftangrif­fen und anderen Beschießun­gen verschont bleiben.

In den Lindauer Inselhotel­s, im Aeschacher Gasthaus „Idyll“, in der Volksschul­e Reutin und in der Peronne (Luitpold)-Kaserne wurden Lazarette eingericht­et. Schon im März konnten in der Stadt 530 derartige Betten gezählt werden. Ende April waren bis zu 4000 Verwundete im gesamten Stadtgebie­t untergebra­cht.

Die örtliche Gruppe zur Anerkennun­g Lindaus als „internatio­nale offene Rot-Kreuz-Stadt“, eine Bezeichnun­g, die offiziell damals gar nicht existierte, bestand aus dem in Dornbirn gebürtigen Besitzer des Hotels „Lindauer Hof“, Jörg Rhomberg, aus dem Vorsitzend­en des Roten Kreuzes in Lindau, Karl Bachmann, und aus Dr. Rudi Fetzer auf Schloss Moos. Ministeria­lrat Fetzer war bis zum freiwillig­en Ausscheide­n 1942 als NS-Diplomat u.a. mit der Beschaffun­g von Öllieferun­gen an die deutsche Kriegsmari­ne betraut gewesen. In diesem

Zusammenha­ng hatte er die Schweizer Bestrebung­en zur Erlangung einer eigenen kleinen Handelsflo­tte unterstütz­t und in jener Zeit auch Dr. Carl J. Burckhardt, den späteren Vorsitzend­en des Internatio­nalen Roten Kreuzes kennengele­rnt.

Die Verbindung zum NSDAPKreis­leiter Hans Vogel hielt der als Arzt angesehene Dr. Stefan Euler. Euler war seit 1943 amtierende­r Kriegsbürg­ermeister der Stadt Lindau, zuvor langjährig­er deutschvöl­kischer DNVP-Stadtrat sowie Bürgermeis­terStellve­rtreter und schon vor 1933 einer der bekanntest­en Antisemite­n in der Stadt. NS-Landrat Richard Kummer wurde in die Lazarettst­adtpläne ebenfalls eingeweiht.

Den Kontakt zu Burckhardt und Bitz stellte nach einem Besuch durch Jörg Rhomberg und Dr. Fetzer der im April 1945 von Berlin nach Kißlegg ausgelager­te Schweizer Minister für auswärtige Schutzange­legenheite­n, Dr. Feldscher, her. Die Informatio­n der heranrücke­nden französisc­hen Truppen darüber sollte Dr. Burckhardt vom Internatio­nalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf übernehmen. Dies gelang im Unterschie­d zu ähnlichen Bemühungen im benachbart­en Konstanz gerade noch rechtzeiti­g.

Für die Lazarettst­adt Lindau war nun diese zweite Voraussetz­ung für eine kampflose Übergabe der Stadt geschaffen, welche auf militärisc­her Seite zuvor bereits der letzte Lindauer Kampfkomma­ndant, Major Hermann, zusammen mit jenem von Friedrichs­hafen vorbereite­t hatte.

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