„Ich hoffe, dass im Mai die ersten öffnen können“
Klaus Holetschek und Alfred Bauer zur Politik und Forschung über die Perspektiven des Tourismus im Allgäu
- Der Tourismus ist eine wichtige wirtschaftliche Säule im Allgäu, er bietet 30 000 Arbeitsplätze. Wann dürfen die Betriebe wieder geöffnet werden? Und welche Perspektiven hat die Branche? Diese und weitere Fragen beantworten Klaus Holetschek, Vorsitzender des Tourismusverbandes Allgäu/Bayrisch Schwaben, und Tourismusforscher Professor Alfred Bauer im Gespräch mit Uli Hagemeier.
Wie schauen Sie auf die nächsten Wochen und Monate? Ist es Hoffen oder ist es Bangen?
Bauer: Es ist beides. Bangen angesichts der Frage, wie es mit der Tourismusbranche weitergeht. Hoffen mit Blick auf mögliche Öffnungen – wobei klar ist, dass der Schutz der Gesundheit über allem stehen muss. Holetschek: Ich sehe das ähnlich. Wir haben mit den Schließungen einen brutalen Einschlag erlebt, der die Branche bis ins Mark trifft. Aber ich bin auch optimistisch, weil wir viele kreative Leistungsträger im Allgäu haben, die neben der akuten Sorge um die Existenz auch die Zukunft im Blick haben und planen, wie sie ihre Unternehmen mit den Erfahrungen aus der Krise weiterentwickeln.
Ist es wirklich so, dass viele Betriebe nach zwei Monaten ohne Einnahmen am Ende sind?
Holetschek: Die Tourismusbranche ist nicht einfach. Viele Betriebe werden von Familien geführt. Das ist klassischer Mittelstand, eine wertvolle Stütze der Region. Banken betrachten oft die Freizeitbranche als mehr risikobehaftet als andere Segmente. Es herrscht ein knallharter Wettbewerb, auch international – viele haben keine Möglichkeit, Speck anzusetzen, vom dem sie zehren könnten.
Wird der Staat alles abdecken können, was die Gastgeber nun verlangen?
Holetschek: Nein. Ich bin sehr froh darüber, dass Markus Söder die Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent in der Koalitionsrunde durchgekämpft hat. Das ist eine Perspektive, es hilft aber erst, wenn die Betriebe wieder Umsatz machen. Ich persönlich hoffe, dass diese Regelung nicht in einem Jahr zurückgenommen wird. Aber der Staat wird nicht alle Wünsche erfüllen können, das gilt für diese Branche genauso wie für alle anderen.
Bauer: Wir haben keinen ResetKnopf, den wir drücken und damit alles auf den Stand von Ende 2019 zurückstellen können. Wir werden neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen. Da sehe ich auch das Bayerische Zentrum für Tourismus in der Pflicht. Dort müssen wir erforschen, ob der Stillstand zu Veränderungen im Nachfrageverhalten der Gäste geführt hat und daraus Handlungsempfehlungen ableiten.
Für wann erwarten Sie eine Öffnung. Und wie wird diese aussehen?
Holetschek: Klar ist: Der Gesundheitsschutz steht über allem. Auf dieser Basis muss und wird die Branche ein Konzept erarbeiten, in dem steht, wie sie bei einer schrittweisen Öffnung die Regelungen zu Gesundheitsschutz und Hygiene einhalten kann. Die Politik braucht hier auch die Expertise der Branchenverbände, um entscheiden zu können.
Das heißt, die Politik macht es sich einfach und überlässt den Unternehmen die Verantwortung?
Holetschek: Nein. Die Politik muss und wird die Entscheidungen treffen. Aber: Die Branche ist sehr differenziert. Dafür kann die Politik kein Papier vorlegen. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass Ferienwohnungen als erstes ab Mai wieder vermietet werden können, ebenso wie Appartements auf Bauernhöfen. Aber wie viele Zimmer ein Hotelier vermieten kann, wenn er die geltenden Abstands- und Hygieneregeln beachtet, dafür braucht es Vorschläge der Branche.
Bauer: Es ist richtig, das in die Branche zurückzuspielen. Die grundsätzund lichen Vorgaben sind bekannt. Wie man damit konkret umgeht, kann nur die Branche entscheiden. Und am Ende muss jeder einzelne Unternehmer entscheiden, ob es sich für ihn wirtschaftlich lohnt, unter diesen Bedingungen seinen Betrieb wieder zu öffnen.
Holetschek: Ich will mich nicht um die Verantwortung drücken. Noch einmal: Der Gesundheitsschutz steht ganz oben. Damit dieser gewährleistet ist, hat die Politik Regeln aufgestellt. Niemand kann wollen, dass vom Urlaub im Allgäu eine Gefahr ausgeht, das wäre verheerend für die ganze Region. Es war deshalb vernünftig, alles zu schließen. Bilder, wie wir sie aus Krankenhäusern in Straßburg und Bergamo gesehen haben, sind nicht zumutbar. Wir durften und dürfen so etwas nicht riskieren. Ich möchte, dass wir so schnell wie möglich wieder öffnen, aber das muss verantwortbar sein. Und deshalb müssen die Betriebe über ihre Branchenverbände darlegen, wie sie sich das vorstellen.
Sind wir beim Termin abhängig von Österreich? Dort werden wahrscheinlich Mitte Mai die Betriebe geöffnet.
Holetschek: Ja, wir brauchen grundsätzlich eine Abstimmung – mit Österreich, aber auch mit den anderen Bundesländern, vor allem mit BadenWürttemberg. Klar ist aber, dass wir unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen haben. Man muss immer auch die jeweilige Situation bewerten. Wir sind in Bayern stärker betroffen als andere Bundesländer. Ich wünsche mir, dass es gemeinsame Lösungen für die Grenzregionen und die Sonderfälle Kleinwalsertal und Jungholz gibt. Bauer: Ein gemeinsamer Fahrplan für Deutschland ist sinnvoll. Meine Meinung ist übrigens, dass ein Hotelier nicht anders bewertet werden sollte als ein Anbieter von Ferienwohnungen: Wenn er die Regeln umsetzen kann, sollten die Betriebe zum gleichen Zeitpunkt wieder öffnen dürfen.
Holetschek: Die Branche musste diesen Plan bis zum 30. April vorlegen. Er ist die Grundlage für weitere Besprechungen und Bewertungen. Die Konferenz der Ministerpräsidenten der Bundeskanzlerin wird dann über die nächsten Schritte der Öffnung beraten.
Wer legt dieses Papier vor?
Bauer: Die Bayern Tourismus und Marketing GmbH erarbeitet das Konzept gemeinsam mit den Branchenverbänden und den regionalen Tourismusverbänden. Sie hat auch eine Orientierungshilfe zusammengestellt, wie sich die Betriebe im Zuge der Corona-Krise auf eine sichere Wiedereröffnung im Rahmen der vorgegebenen Hygiene- und Schutzbestimmungen vorbereiten können. In Ergänzung hierzu sollte es in allen Destinationen „Kümmerer“geben, an die sich die Betriebe wenden können, wenn sie sich bei der Umsetzung der staatlichen Vorgaben nicht sicher sind. Solche Kümmerer könnten bei uns von der Allgäu GmbH koordiniert werden.
Wer soll zuerst kommen? Tagestouristen oder Übernachtungsgäste?
Bauer: Am schwersten zu kontrollieren ist sicher der Ausflugstourismus – dazu gehören übrigens auch die Einheimischen. Die Menschen drängen raus, sie wollen wieder Weite erleben. Wir müssen klären, wie wir die Abstandsregeln an den Hotspots in den Griff kriegen, wo sich viele Menschen treffen werden. Ein Beispiel: Müssen wir die Parkplätze am Großen Alpsee bei Immenstadt kontingentieren, zum Beispiel, indem der Parkschein vorher über das Internet gebucht werden muss? Wie verhindert man dann das wilde Parken? Muss der Mundschutz auch unter freiem Himmel zur Pflicht werden, wo Abstände nicht eingehalten werden können, weil zu viele Menschen da sind? Holetschek: Es gibt bis jetzt keinen Impfstoff, es gibt noch kein Medikament. Wir sind darauf angewiesen, dass die Menschen Abstand halten. Als Gesellschaft besinnen wir uns gerade auf Werte wie Rücksicht und Solidarität. Hoffentlich bleibt uns das erhalten.
Jetzt werden Ausflügler mancherorts als verantwortungslos angesehen. Wie reagieren die Allgäuer, sollten bald wieder viele Gäste kommen?
Bauer: Ich kann diese Frage nicht beantworten. Es kann sein, dass die Einheimischen grundsätzlich sensibler werden, nicht nur im Allgäu. Wir hatten eine Entwicklung, die über Jahrzehnte gewachsen ist. Jetzt werden wir uns aus dem Stillstand heraus entwickeln. Es kann sein, dass Menschen, die die wirtschaftlichen Aspekte nicht beachten, nun sensibler reagieren. Das sehe ich als wichtiges Thema für das Bayerische Zentrum für Tourismus. Holetschek: Das Bewusstsein und das Verständnis, dass in dieser Region ganze Ketten von Branchen am Tourismus hängen und nicht nur die Hoteliers, ist vorhanden.
Was wollen die Gäste? Haben Sie Lust auf Urlaub mit Mundschutz?
Bauer: Dazu laufen Befragungen. Heute kann ich nur mutmaßen, dass die Regeln aus unserem Alltag auch im Urlaub akzeptiert werden. Es geht um Fremd- und Eigenschutz. Wir wissen, dass den Menschen das Thema Sicherheit beim Reisen sehr wichtig ist. Möglicherweise kann das Allgäu davon profitieren.
Holetschek: Es ist schwierig, das zu beurteilen. Wir sind hier im Allgäu doch extrem privilegiert: Wir müssen nur vor die Haustür gehen und genießen tolle Momente in der Natur. In den Städten sitzen viele Menschen in ihren Wohnungen, die haben sicher den Drang, aus der Enge herauszukommen. Anbieter von Städtereisen werden es deshalb wahrscheinlich viel schwerer haben als wir, weil Menschen Natur und Weite suchen werden. Beides haben wir, und wir müssen die Gäste gut lenken, damit sie das auch genießen können – das wird eine Aufgabe der Kommunen.
Haben die Gäste Geld für Urlaub?
Holetschek: Viele Menschen haben wirtschaftliche Sorgen, sind in Kurzarbeit, manchen droht Arbeitslosigkeit. Wir wissen nicht, wie sich das entwickelt und wofür die Menschen künftig ihr Geld einsetzen. Wir müssen einen Plan entwickeln, welche Angebote das Allgäu künftig macht, welche Segmente einen Schub bekommen werden. Wir gestalten jetzt unsere Zukunft!
Bauer: Das ist richtig. Die Anbieter müssen überlegen, wie sie sich der Nachfrage anpassen können. Ich empfehle, die Nachhaltigkeit stärker in den Mittelpunkt zu stellen.
Wie muss sich das Allgäu künftig positionieren, wenn es keinen Reset-Knopf gibt und kein Zurück zur Normalität von früher?
Bauer: Bei der Arbeit am neuen Markenkonzept für das Allgäu im vergangenen Jahr haben wir schon darüber diskutiert, und für mich wird die Antwort nun immer klarer: Wir können Einheimische und Gäste auch gedanklich nicht voneinander trennen. Wir brauchen ein gemeinsames Lebensraum- und Urlaubsmanagement. Die Nutzung dieses Raumes durch unterschiedliche Gruppen muss in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns rücken. Holetschek: Wir müssen uns bei allen Angeboten auf unsere Markenwerte besinnen. Gesundheit und Resilienz werden dabei sicher auch eine zentrale Rolle spielen. Das werden die Dinge sein, die nicht nur Einheimische erwarten, sondern nach denen auch die Gäste fragen. Jetzt müssen die Betriebe durchhalten und dann damit durchstarten, wenn wir wieder öffnen können.
Wird der deutsche Markt für das Allgäu an Bedeutung gewinnen?
Holetschek: Dieses und nächstes Jahr auf jeden Fall. Niemand weiß, wann und wie Auslandsreisen wieder möglich sind, gerade Reisen nach Übersee. Vielleicht hat diese Zwangsbremsung aber auch dazu geführt, dass die Menschen sich fragen: Muss ich wirklich mehrmals im Jahr übers Wochenende irgendwo hinfliegen oder gestalte ich meinen Urlaub anders?
Wann werden die Tourismusbetriebe öffnen?
Holetschek: Ich hoffe, dass schon im Mai die ersten öffnen können. Aber ein Datum kann ich Ihnen nicht nennen.