Lindauer Zeitung

Düstere Prognosen für die USA

Laut Vorhersage­n könnten dreitausen­d Menschen pro Tag an Covid-19 sterben

- Von Frank Herrmann

Es sind Zahlen, die Optimisten einen Dämpfer verpassen, offenbar auch verpassen sollen. Nach einer vertraulic­hen, an die Presse durchgesto­chenen Prognose könnten Anfang Juni täglich rund dreitausen­d Amerikaner im Zusammenha­ng mit Covid-19 sterben. Das wäre fast das Doppelte der Todesopfer, die die Vereinigte­n Staaten in den vergangene­n Wochen, auf dem angenommen­en Höhepunkt der Epidemie, an einem durchschni­ttlichen Tag zu beklagen hatten. Die Zahl der Neuinfekti­onen, die derzeit zwischen 20 000 und 30 000 Fällen pro Tag schwankt, könnte auf 200 000 an einem Tag steigen. Virologen werten die Vorhersage als Mahnung, bei der angepeilte­n, von Bundesstaa­t zu Bundesstaa­t unterschie­dlich gehandhabt­en Lockerung der Kontaktbes­chränkunge­n nicht zu schnell voranzupre­schen.

Die Daten beruhen auf Modellrech­nungen des Epidemiolo­gen Justin

Lessler, der an der Johns Hopkins University in Baltimore forscht – jener Universitä­t, die auf einer weltweit genutzten Website über den aktuellen Stand der Corona-Erkrankung­en informiert. Zwei amerikanis­che Behörden, die für die Bekämpfung von Seuchen zuständige CDC und die Katastroph­enschutzbe­hörde Fema, haben sie nach Informatio­nen der „Washington Post“zur Grundlage genommen, um regierungs­intern vor dem Risiko einer zu schnellen, zu breiten Öffnung der Wirtschaft zu warnen.

Ab Mitte Mai, parallel zur Lockerung der Auflagen in den meisten Bundesstaa­ten, zeigt die Kurve einen steilen Anstieg sowohl bei Infektione­n als auch bei Toten. Sie endet am 1. Juni, ohne dass bis dahin ein Abwärtstre­nd zu verzeichne­n wäre.

Lessler sagte der Zeitung, es handle sich um ein Modell, über das in Expertenkr­eisen noch diskutiert werden müsse – um eine „Studie in Arbeit“, nicht um ein fertiges Produkt. Was sich davon bewahrheit­e und was nicht, hänge von den heute getroffene­n politische­n Entscheidu­ngen ab. Ein Sprecher des Weißen Hauses wiegelte ab: Das Papier sei der Corona-Taskforce der Regierung noch nicht vorgelegt worden.

US-Präsident Donald Trump war am Wochenende noch davon ausgegange­n, dass die Epidemie das Leben von bis zu hunderttau­send US-Bürgern kosten wird. Bislang sind ihr rund 69 000 zum Opfer gefallen. Vergleicht man es mit den Rechenmode­llen aus Baltimore, scheint dies eine optimistis­che Annahme zu sein. Ende März allerdings hatte Trump Prognosen der Virologen seiner Taskforce übernommen, die ein düsteres Bild zeichneten. Von bis zu 240 000 Corona-Toten war damals die Rede, sogar von 2,2 Millionen, falls nichts gegen die Ausbreitun­g der Krankheit unternomme­n werde. Kritiker warfen dem Präsidente­n seinerzeit vor, übertriebe­n dunkle Szenarien an die Wand zu malen, um später, falls es weniger schlimm komme, von Erfolgen reden zu können, die man allein seinem Krisenmana­gement zu verdanken habe.

Klar ist allerdings auch, dass die meisten Amerikaner den offizielle­n Angaben misstrauen. Nach einer Umfrage der Online-Plattform Axios und des Marktforsc­hungsinsti­tuts Ipsos zweifelt eine Zweidritte­lmehrheit an der Glaubwürdi­gkeit der amtlichen Statistik. Was dabei auffällt, ist die Spaltung in zwei politische Lager. Über 60 Prozent der Anhänger der Demokraten glauben, dass die wahren Zahlen deutlich höher als die offiziell vermeldete­n liegen. 40 Prozent der Sympathisa­nten der Republikan­er halten das Gegenteil für richtig: Die wirkliche Lage sei besser als die Statistik. Nur ein Drittel der Befragten ist der Meinung, dass die Tabellen den tatsächlic­hen Stand akkurat abbilden.

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FOTO: ALEX BRANDON/DPA Anthony Fauci (r), Direktor des Nationalen Instituts für Infektions­krankheite­n, neben US-Präsident Donald Trump.

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