Australier dürfen wieder an den Strand
Leere Regale, Arbeitslosigkeit und erste Lockerungen – Eine Achbergerin über Corona am anderen Ende der Welt
- In Australien hat man das Coronavirus mit besonders strikten Maßnahmen bekämpft und eingedämmt. Für die Wirtschaftsnation bedeutet die Viruskrise einen besonderen Einschnitt. Eine Achbergerin wohnt mit ihrer Familie seit mehreren Jahren in „Down Under.“Auch sie sind davon betroffen. Die Zukunft ist ungewiss.
Für Menschen rund um den Globus bringt die Corona-Pandemie Einschränkungen, die sie sich nie hätten vorstellen können. Viele Familien sehen sich derzeit nur am Bildschirm. Für Carolin Kapahnke ist das nichts Ungewöhnliches. Wenn sie mit ihren Eltern oder den Geschwistern reden möchte, schaltet sie seit Jahren den Computer an. Sie wohnt in Australien, ihre Eltern und ihre jüngere Schwester in Achberg, ihr Bruder samt Familie in den USA. Momentan ist auch bei ihnen das Coronavirus Thema Nummer eins. „Als das mit dem Virus in Deutschland angefangen hat, haben wir in Australien noch darüber gelacht“, erzählt sie. Die Sorge um ihre Eltern sei aber schnell groß gewesen. Sie habe ihnen sogar Hausarrest gegeben, erzählt sie. Geholfen habe das aber nichts. Ihr Vater sei trotzdem jede Woche fleißig einkaufen gegangen.
Carolin Kapahnke, mit 37 Jahren die älteste der drei Geschwister, lebt mit Mann John und ihrer vierjährigen Tochter in Queensland, etwa eine Stunde nördlich von Brisbane. Keine Panik verbreiten – das sei zunächst das Motto in Australien gewesen. „Uns“betreffe das Virus ja nicht, sagt sie., „sondern nur China und Europa“. In „Down Under“hätten die Leute ihr Leben ganz normal weitergelebt und sind in die Natur gefahren oder haben sich wie ganz selbstverständlich im Park getroffen. Eltern hätten Kinder scharenweise im Park abgeladen und die hätten dort gefeiert. Social Distancing sei ein Fremdwort gewesen.
So ganz langsam hat sich dann das Virus – und die Angst vor ihm – im Land ausgebreitet. „Dann begannen so langsam die Hamsterkäufe“, erzählt sie. „Klopapier, Klopapier“, das wollten die Leute. Im Internet sorgte tagelang ein Video aus Australien für Aufregung. Darin schubsen sich drei Frauen, reißen sich an den Haaren und schreien sich gegenseitig an. Der Grund des Streits: Toilettenpapier, das zwei der Frauen paketweise in ihrem Einkaufswagen gestapelt haben, während eine andere leer ausgeht. Es wurde zum Symbolbild. Schnell wurden dann die Lebensmittel beschränkt. „Wir durften nur eine begrenzte Zahl von Nudeln kaufen.“Überhaupt waren nur noch lebensnotwendige Einkäufe erlaubt. Am 20. März verhängte Australien eine Einreisesperre für alle Nicht-Australier. Wer nun in das Land einreisen wollte, musste zwei Wochen lang in ein Hotel in Quarantäne. Die Kosten dafür übernahm die australische Regierung.
Die strikten Regelungen schränkten den Alltag immer mehr und mehr ein. Kürzere Öffnungszeiten in Supermärkten oder Einlassbeschränkungen in Baumärkten. „Morgens durften dort die ersten zwei Stunden nur Bauunternehmer einkaufen.“Oder Menschen mit systemrelevanten Berufen. Ärztliche Behandlungen waren nur noch telefonisch möglich. Ihre Tochter braucht Physiotherapie. Das läuft derzeit über eine App. Eine halbe Stunde lang zeige eine Therapeutin am Bildschirm mit einer Handpuppe Übungen. Die macht Carolin Kapahnke dann mit ihrer Tochter nach. „Ich bin nicht nur Mutter und Krankenschwester, sondern auch noch Physiotherapeutin“, beschreibt sie ihren derzeitigen Alltag.
Ihre Tochter rede immer von „vor dem Virus“und „wenn das Virus weg ist“. Es ist eine ungewisse Zeit. Das zerre gewaltig an den Nerven. „Wir sind hier momentan schon am Verrücktwerden“, sagt sie. Aber es gibt Hoffnung. In dem 26-MillionenEinwohner-Land haben sich in den letzten Tagen kaum noch Menschen angesteckt. Von den rund 6700 Personen, die sich angesteckt haben, gelten 5000 als geheilt. Insgesamt sind in Australien rund 80 Menschen an Covid-19 gestorben, sagen die Zahlen der John-Hopkins-Universität.
Nach fünf langen Wochen wurden jetzt die Ausgangsbeschränkungen gelockert. Die Australier dürfen nun wieder an den Strand. Surfen und Schwimmen sind erlaubt, lange Sonnenbäder aber nicht. „Wir dürfen auch wieder zum Spaß einkaufen gehen“, sagt sie. Oder mit der Familie im Auto herumfahren. Aber nur im Umkreis von 50 Kilometern. Und sie dürfen wieder auf eine Parkbank sitzen. Bislang kostete das 1 300 australische Dollar Strafe. Das sind rund 760 Euro.
An dem Osterwochenende habe der Staat knapp 500 000 Euro Strafen eingenommen, sagt Kapahnke.
Ähnlich wie Südkorea und Taiwan konnte das Land die Verbreitung des Virus früh eindämmen und unter Kontrolle bringen. Australien führte als erstes westliches Land eine Corona-Warn-App ein. Sie sollte helfen, Infektionsketten frühzeitig zu erkennen und zu stoppen. Sie ist der schon länger verwendeten Software im autoritär regierten Singapur nachempfunden. Die Nutzung war allerdings freiwillig. Carolin Kapahnke hat sie sich nicht heruntergeladen. Sie gehe ohnehin so wenig wie möglich außer Haus und meide größere Menschenansammlungen. Ihr Mann habe das Haus drei Wochen lang nicht verlassen.
Die Anti-Corona-Maßnahmen werden aber ihren Tribut fordern. Seit Beginn des Lockdowns haben fast 800 000 Arbeitnehmer ihre Stelle verloren. Viele Australier würden „casual“bezahlt, erklärt sie. Das heißt, dass man auch nur auf Stundenbasis arbeiten kann, keine Kündigungsfrist hat, kein Urlaubsgeld bekommt und im Krankheitsfall auch kein Gehalt erhält. Das bedeutet: Keine Arbeit, kein Geld. „Die Schlangen vor den Arbeitsämtern waren riesig“; sagt sie, „teilweise bis auf die Straße“. Viele Leute seien finanziell am Ende. In der Firma ihres Mannes seien alle Mitarbeiter entlassen worden. Die Regierung rechnet damit, dass sich die Arbeitslosenquote auf über zehn Prozent verdoppeln werde und hat verschiedene Pakete im Wert von 100 Milliarden Euro bereitgestellt. „Für viele von uns, ob jung oder alt, wird 2020 das härteste Jahr unseres Lebens werden“, sagte Premierminister Scott Morrison im australischen Parlament. Australier können sich schon jetzt einen Teil ihrer Rente ausbezahlen lassen. „Quasi, um zu überleben“, sagt Carolin Kapahnke. Sie selbst möchte wieder arbeiten gehen, sobald ihre Tochter in die Schule geht. Momentan geht sie noch zwei Tage in der Woche in den Kindergarten. Der kostet umgerechnet 70 Euro am Tag.
Zuletzt hat sich die gesamte Familie im Jahr 2015 von Angesicht zu Angesicht gesehen. Damals feierte Mutter Brigitte ihren 60. Geburtstag. Eigentlich wollte sich die Familie heuer im Juni wieder treffen. Daraus wird nun nichts. Ihr Cousin wollte heiraten, ihre Mutter wieder mit der gesamten Familie ihren Geburtstag feiern. Nun sind die Flüge nach Deutschland bereits storniert. Viel Zeit werden die Kapahnkes in diesem Jahr haben am anderen Ende der Welt. Bei allem Übel – ihr Garten dankt es ihnen. „Wir haben ganz schön viel geordnet und verschönert.“ hat die 37-jährige Achbergerin Carolin Kapahnke beobachtet.
„Die Schlangen vor den Arbeitsämtern waren riesig, teilweise bis auf die Straße“,