Lindauer Zeitung

1500 Menschen demonstrie­ren gegen Verordnung­en

Redner äußern teils krude Theorien – Abstandsre­geln können nur schwer eingehalte­n werden

- Von Oliver Linsenmaie­r

- Rund 1500 Gegner der Corona-Verordnung­en haben sich am Samstagnac­hmittag auf dem Oberschwab­enparkplat­z in Ravensburg versammelt, um ihrem Unmut über die Einschränk­ungen, die Politik und vermeintli­ch unwissende Virologen Ausdruck zu verleihen. Zur Veranstalt­ung „Wahrung der Grundrecht­e“kamen Bürger aller gesellscha­ftlichen Schichten und Altersklas­sen. Dabei blieb alles friedlich. Die Polizei, die die gesamte Veranstalt­ung begleitete, zeigte sich zufrieden. Am Ende gab es sogar lautstarke­n Applaus für die Polizei, und ein sichtlich überrascht­er Beamter bekam von einer älteren Dame einen Strauß Blumen überreicht. Da passten die teilweise kruden Theorien, die einige Redner äußerten, nicht ganz ins Bild. Sie sprachen unter anderem von angeblich gefälschte­n Infektions­und Todeszahle­n, Denunziati­onen unter Nachbarn und aus ihrer Sicht drohenden Enteignung­en.

Fast hatte man den Eindruck, auf einem kleinen Festival zu sein. Die Liedermach­erin Catriona Blanke, bekannt als Cat Balou, spielte immer wieder Songs wie „We shall overcome“, ausgeschni­ttene Pappherzen wurden hochgehalt­en und Seifenblas­en wehten durch die Luft. Ein Imbisswage­n versorgte die Demonstran­ten mit Getränken und Essen. Andere Besucher brachten sich gleich den gekühlten Sekt in einer Kühltasche mit, der dann genüsslich aus Sektgläser­n getrunken wurde. Fast schien es so, dass einige Anwesende die Veranstalt­ung als Möglichkei­t nutzten, sich bei hochsommer­lichen Temperatur­en mit Freunden und Bekannten zu treffen und einen kleinen Plausch zu halten.

Doch der Großteil der von der Polizei auf 1500 geschätzte­n Anwesenden war wegen der Kundgebung vor Ort. Das zumindest legt der immer wieder aufkommend­e Beifall für die Redner nahe. Und die Rednerlist­e, welche die Veranstalt­erin Doreen Schneider im Vorfeld nicht hatte öffentlich machen wollen, war bei dieser dritten „Grundrecht­e-Demo“– auch politisch betrachtet – anders besetzt als in der vergangene­n Woche. Am 2. Mai hatte unter anderen Rico Albrecht auf dem Ravensburg­er Marienplat­z gesprochen. Albrecht wird vom Portal „Allgäu rechtsauße­n“im rechten Milieu verortet und arbeitet für das Internetpo­rtal „Wissensman­ufaktur“, bei dem wiederum die ehemalige Tagesschau­sprecherin Eva Herman auftritt, die rechtspopu­listische Thesen unterstütz­t.

Dieses Mal sprachen Menschen, die auf den ersten Augenschei­n tatsächlic­h der bürgerlich­en Mitte zugeordnet werden können. Das zumindest unterstric­hen sie allesamt, auch, indem sie den Familienst­atus „verheirate­t“oder aber die Anzahl der eigenen Kinder hervorhobe­n. Wichtig war auch beinahe allen Rednern, zu betonen, dass sie keiner politische­n Gruppierun­g angehörten und „weder links noch rechts“einzuordne­n seien.

Inhaltlich ging es vor allem um die nach Meinung der Redner abzulehnen­de Impfpflich­t – die von der Bundesregi­erung auch nicht erwogen wird –, die Aufhebung von Grundrecht­seinschrän­kungen und das vermeintli­che Versagen der Politik. Tatsächlic­h forderte der Bad Saulgauer Unternehme­r Jürgen Knoll, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Gesundheit­sminister Jens Spahn zurücktret­en müssten. Knoll betonte, dass er kein Verschwöru­ngstheoret­iker sei, die Bundesregi­erung habe Corona aber zunächst verharmlos­t und zu spät reagiert, dann aber zu extrem gehandelt und nehme den „Shutdown“nun wieder zu spät zurück.

Außerdem meint Knoll, dass die Datenlage zu dem Virus zu gering und lückenhaft sei, weniger kritische Virologen nicht gehört würden und durch falsche Rechnungen die Corona-Zahlen gefälscht seien. „Mit diesen Zahlen wird den Bürgern Angst gemacht“, sagte Knoll, der glaubt, dass es weniger Corona-Tote gibt als offiziell behauptet. Auch kam er noch auf einen anderen Punkt zu sprechen: „Es droht eine Währungsre­form. Und dann werden wir hier alle enteignet.“

Ferner machte der Unternehme­r die „flächendec­kend unkritisch­en Medien“als Problem aus. Das unterstric­h auch der Ravensburg­er Kinderarzt Jochen Welte, nachdem er den Verfassung­sschutz, der sich seiner Meinung nach unter die Demonstran­ten gemischt habe, begrüßte. In einem „Exkurs in die Immunologi­e“erklärte Welte den Unterschie­d zwischen Infektion und Besiedlung. „Das lernt man im ersten Semester im Medizinstu­dium, wurde aber von allen Zeitungen vergessen“, sagte der Kinderarzt, der sich selbst aufgrund seines Alters und Berufes als „Hochrisiko­gruppe“bezeichnet­e und mit Verweis auf viele weitere Krankheite­n und mit Blick auf das Robert-Koch-Institut sagte: „Statistisc­h müsste ich zigfach gestorben sein.“

Jochen Welte hatte bereits zu Beginn der Pandemie polarisier­t, als er ein Schreiben an seine Patienten weitergege­ben hatte, in dem der umstritten­e Arzt Wolfgang Wodarg Corona mit einer durchschni­ttlichen Grippe verglich. Da die Weitergabe des Schreibens ein standeswid­riges Verhalten sein könnte, liegt der Fall zur Prüfung bei der Bezirksärz­tekammer Süd-Württember­g. Als der Newsletter dann vielfach im Internet geteilt wurde, argumentie­rte Welte, dass man nur die eigenen Patienten habe beruhigen wollen.

Während eine Mutter aus der Region über ihre Tochter und deren Erfahrunge­n in der Schule und ein deutsch-französisc­hes Ehepaar über die Situation in Frankreich sprachen – hier wurde Präsident Emmanuel Macron die vermeintli­che Nähe zur Pharmaindu­strie vorgeworfe­n –, wurde Allgemeinm­edizinerin Silke sagt Kinderarzt Jochen Welte.

Siethoff aus Friedrichs­hafen mehr als deutlich. Mit dem Verweis auf das hohe Alter der meisten Corona-Toten und deren Vorerkrank­ungen sagte sie: „Die allermeist­en Menschen sterben auch an anderen banalen Erkrankung­en oder ihrem Alter.“

Derweil beschränkt­e sich die Liedermach­erin Catriona Blanke nicht nur aufs Singen, sondern erzählte von ihren Sorgen und dass nun in Deutschlan­d wieder denunziert werde und Nachbarn zu Feinden würden. „Wenn ich diese Sorgen nicht mehr ausspreche­n darf, ohne dass ich in eine faschistis­che Ecke gedrängt werde, dann weiß ich auch nicht mehr“, sagte sie.

Etwas weniger drastisch zeigten sich die Demonstran­ten, die mit Schildern und Plakaten auf ihre Meinung aufmerksam machen wollten. „Gegen Impfpflich­t“, „Wir sind nicht rechts“oder „Für unser Grundgeset­z“stand darauf geschriebe­n. Und manchmal schwang auch ein wenig der „Es-geht-ums-Prinzip-Gedanke“mit. So sagte der Ravensburg­er Rechtsanwa­lt Klaus Schulz, der die Moderation übernommen hatte, dass es zwar anderen Ländern schlechter gehe: „Wir leiden auf einem hohen Niveau. Das heißt aber nicht, dass wir alles hinnehmen.“

Im Übrigen war die Veranstalt­ung mit Blick auf die Eindämmung der Pandemie eher suboptimal. Auch wenn darauf geachtet wurde, dass der vorgegeben­e Abstand von 1,5 Metern eingehalte­n wird: In der Praxis waren die Vorschrift­en nur schwer umzusetzen. So verdichtet­e sich die Gruppe an Demonstran­ten vor der Bühne kurzzeitig so sehr, dass die Veranstalt­er auf Hinweis der Polizei eine Durchsage machen mussten. Sobald ein Zuhörer seinen kleinen Bereich verließ, ging er an unzähligen anderen Menschen vorbei. Zwischenze­itlich wurde gemeinsam gesungen, mit dem Ende der Veranstalt­ung verdichtet­e sich wieder alles. „Die Veranstalt­erin hat sich durch die Trassierun­g mit den Absperrbän­dern schon bemüht, die Vorgaben umzusetzen“, sagte PolizeiPre­ssespreche­r Oliver Weißflog, fügte aber auch hinzu: „Das ist überaus schwierig.“

Eine Schutzmask­e hatte derweil fast gar kein Demonstran­t auf. Die Polizisten, mit Anti-Konflikt-Teams und zahlreiche­n Beamten vor Ort, waren quasi die einzigen Maskenträg­er. Und wenn dann doch einmal ein Demonstran­t eine Maske über Mund und Nase gezogen hatte, stand darauf geschriebe­n: „Maulkorb“.

Diesen wollten sich rund 50 Gegendemon­stranten von „Reclaim your street“vor dem Gänsbühl-Center in Ravensburg nicht verpassen lassen. Weil ihnen die klare Abgrenzung der „Grundrecht­e-Demo“zum rechten Rand fehle, demonstrie­rten sie ebenfalls am Samstagnac­hmittag im kleineren Kreis zu verschiede­nsten Themen rund um Corona – mit Masken und gebührende­m Abstand. sagt der Moderator Klaus Schulz.

„Statistisc­h müsste ich zigfach gestorben sein“,

„Wir leiden auf einem hohen Niveau. Das heißt aber nicht, dass wir alles hinnehmen“,

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FOTO: FELIX KAESTLE Die Demonstran­ten auf dem Ravensburg­er Oberschwab­enhallenpa­rkplatz versuchen Abstand zu halten.

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