„Es geht nicht in erster Linie um das Fest im Bierzelt“
Viehscheide sind ein wichtiger Teil der Allgäuer Kultur – Auch dieses Jahr finden sie trotz Pandemie statt
- Sie prägen die Feierkultur im Allgäu wie wenig andere Ereignisse: die Viehscheide. Und nicht nur das. Laut Dr. Michael Honisch, Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins, sind sie Teil einer einzigartigen und uralten Tradition. Jedes Jahr im September treiben die Alphirten die Rinder zurück ins Tal, um sie am Scheidplatz des jeweiligen Ortes an ihre Besitzer zu übergeben. Das werden die Hirten trotz der Corona-Pandemie auch heuer tun. „Der Viehscheid findet statt. Die Tiere müssen schließlich von den Alpen zurück zu den Landwirten gebracht werden“, sagt Honisch. Viehscheide seien darüber hinaus wichtig, weil „den Hirten Anerkennung für die Arbeit, die sie den Sommer über auf den Alpen verrichtet haben, gezollt wird“.
Laut Alfred Enderle, Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbandes, ist diese Arbeit bedeutend, um die landwirtschaftlichen Betriebe im Tal zu entlasten. Denn diese benötigten ihre Flächen während der Sommermonate, um Futtervorräte für den Winter zu gewinnen. Daher treibe man die Rinder zwischen Mai und Juni auf die Alpen, wo sie bis September die Hochweiden abgrasen. So schützten sie diese vor Verbuschung und trügen zum Erhalt der Artenvielfalt bei. Durch das kargere Futter auf den Alpen würden die Rinder zudem widerstandsfähiger.
Etwa 31 000 Tiere treiben die Hirten zum Ende des etwa 100-tägigen Alpsommers zurück ins Tal. Vielerorts im Allgäu wird der Viehscheid von Einheimischen wie Touristen begleitet und ausgiebig gefeiert. Ob die Feste auch dieses Jahr stattfinden dürfen, bleibt fraglich. „Der Abtrieb findet in jedem Fall statt. Ob und inwiefern dieser festlich begleitet werden darf, ist noch unsicher“, sagt Andreas Kaenders, Pressesprecher des Landratsamtes Oberallgäu. Bisher habe es dazu noch kein Gespräch zwischen den beteiligten Akteuren, der Kreisverwaltung sowie dem Alpwirtschaftlichen
Verein gegeben. „Veranstaltungen wie das Oktoberfest wurden abgesagt, das wird vermutlich auch die Viehscheid-Feste treffen“, sagt Enderle. Er rechne damit, dass die Entscheidung darüber bald fallen dürfte, schließlich seien „die Feste auch mit einem gewissen Planungs- und Organisationsaufwand verbunden“.
Die Zuständigen der Gemeinde Pfronten wollen bis Mitte Mai über das Rahmenprogramm zum Viehscheid beraten. „Es geht in erster Linie nicht um das Fest im Bierzelt. Wir wollen zeigen, dass der Viehscheid ein bedeutender Teil der Alpwirtschaft ist“, sagt Jan Schubert, Leiter der Stabstelle Ortsentwicklung. Um diese „kulturelle Leistung“zu bieten, wolle der Kulturausschuss Ideen für alternative Aktionen rund um den Viehscheid entwickeln. Diese müssten wegen der Corona-Krise unter bestimmten Auflagen stattfinden – ein Festzelt wird es daher laut Schubert voraussichtlich nicht geben.
Nicht nur auf die gewohnten Viehscheid-Feste im September müssen die Alphirten und Besucher wohl verzichten, auch die Bewirtung fehlt laut Honisch auf 170 Alpen. Durch das Kontaktverbot können die Alpbetreiber im Ostallgäu und seit 1. Mai auch im Oberallgäu Speisen und Getränke nur „to go“verkaufen (wir berichteten) .
Was die Gästebewirtung vor Ort betrifft, warten sowohl die Alpbetreiber als auch die Landwirte auf eine Entscheidung der Staatsregierung. Denn Gaststätten und Alpen seien laut Enderle ein wichtiger Absatzmarkt für regionale Produkte sowie für die Milchwirtschaft. „Ich persönlich wünsche mir, dass schnell ein Weg gefunden wird, um zu einem einigermaßen gewohnten Betrieb zurückzukehren“, sagt Enderle. Und auch Honisch hofft, „dass Alpen bald in den Normalbetrieb übergehen und Einheimische wie Gäste wieder in den Genuss der alpinen Kulturlandschaft kommen“. Dazu zähle auch der Viehscheid – mit all seinen Facetten.