Wie ein Lindauer den Lockdown in Afrika erlebt
Daniel Scharnagl lebt seit fünf Jahren mit seiner Familie in Südafrika – Wegen der Corona-Pandemie isoliert
- Der gebürtige Lindauer Daniel Scharnagl ging vor fünf Jahren mit seiner Familie in die Entwicklungshilfe nach Südafrika. Aktuell sind dort die Grenzen wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Für die LZ berichtet er aus einem der strengsten Lockdowns weltweit.
Normalerweise ist Eshowe ein kleiner, lebhafter Ort im Herzen des Zululands, etwa eine Stunde von der Millionenstadt Durban entfernt. Überall Menschen, strahlende Gesichter, fliegende Händler, chaotische Märkte, mobile Kliniken, fremde Gerüche, buntes Treiben. Momentan aber steht das Leben still. Seit vier Wochen geht in Südafrika nichts mehr: Außer für Besuche in Supermärkten, Banken und Krankenhäusern darf keiner das Haus verlassen. Wir dürfen nicht spazieren gehen oder mit dem Hund raus, keine Freunde sehen und nur zum Einkaufen ins Auto steigen. Auf den Straßen patrouillieren die Polizei und das Militär. Erst ab Mai soll die Ausgangssperre vorsichtig gelockert werden.
Vor fünf Jahren haben wir unsere Jobs in Deutschland gekündigt und sind mit unserem damals dreijährigen Sohn nach Südafrika gegangen, um das Leben in einer fremden Kultur kennenzulernen. Meine Frau arbeitet als pädagogische Fachkraft in einem Kinderheim, etwa 45 Minuten mit dem Auto von unserem Wohnort entfernt. 30 Kinder leben dort, manche Waisen, andere mit Vorerkrankungen wie Tuberkulose oder HIV. Als sich die Corona-Fälle in Südafrika häuften, blieb gerade noch genug Zeit, um ein Notfallprogramm aufzustellen: Alle Mitarbeiter müssen während der Krise mit den Kindern im Heim leben, dort kochen und schlafen, um den Kontakt zur Außenwelt zu minimieren. Meine Frau und die Sozialarbeiterin arbeiten im Home-Office, soweit möglich.
Eigentlich hören sich die Zahlen in Südafrika gar nicht so schlimm an. Landesweit gibt es rund 4000 Infizierte, 75 Menschen sind an Covid-19 gestorben. Gleichzeitig ist die Gefahr einer unkontrollierten Ausbreitung groß. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten sich auf dem afrikanischen Kontinent in wenigen Monaten zehn Millionen
Menschen anstecken. Das ohnehin schwache Gesundheitssystem in Südafrika würde kollabieren. Das größte Problem aber ist eines, das es in Deutschland nicht gibt: Ein Großteil der Südafrikaner lebt von der Hand in den Mund. Sie haben keine Ersparnisse, viele verdienen gerade so viel, um die nächste Woche zu überstehen. Schon jetzt kämpfen Menschen, die uns nahestehen, ums Überleben. „Ich kann nicht arbeiten, und ich muss Essen für die Familie kaufen. Kannst Du mir helfen, durch den nächsten Monat zu kommen?“, schrieb ein Bekannter vor wenigen Tagen.
Auch Aushilfen im Kinderheim, die zu Hause bleiben müssen, brauchen Unterstützung, um den nächsten Einkauf bezahlen zu können. Uns geht es besser. Wir leben in einem großen Haus, das Versorgungsgeld aus Deutschland gibt Sicherheit. Trotzdem ist die Situation kompliziert. Die Grenzen haben sich so schnell geschlossen, dass kaum Zeit blieb, über eine Rückkehr in die Heimat nachzudenken. Vermutlich hätte eine schnelle Heimreise unser Herzensprojekt in Afrika abrupt beendet, das machte die Entscheidung so schwer. Immerhin liegt unser Lebensmittelpunkt in Eshowe, unser achtjähriger Sohn geht hier zur Schule, wir haben ein großes Netzwerk an Freunden und Kontakten aufgebaut. Aber die Gefahr von Unruhen oder einem wirtschaftlichen Zusammenbruch bleibt real.
Es fühlt sich seltsam an, in diesen Zeiten auf einem fremden Kontinent eingesperrt zu sein. Wir telefonieren viel mit der Familie, meine Mutter und Geschwister leben immer noch in Lindau. Oft sprechen wir darüber, wie glücklich die Deutschen sein können, einen stabilen Staat und eine erstklassige Gesundheitsversorgung im Rücken zu haben.
Trotzdem wollen wir bleiben, solange die Situation es zulässt. Die Organisation Agiamondo, die uns entsandt hat, tut ihr Bestes, um uns und viele andere Entwicklungshelfer weltweit zu unterstützen. 2021 läuft unser Vertrag aus, und bis dahin hoffen wir, dass Südafrika diese Krise meistert. Immerhin gibt es seit Beginn des Lockdowns ein paar gute
Nachrichten: Die chronisch hohe Kriminalitätsrate ist drastisch zurückgegangen, auch, weil momentan kein Alkohol und keine Zigaretten verkauft werden. Die Regierung unter Präsident Cyril Ramaphosa macht in der Krise eine gute Figur. Und nicht zuletzt sind die Menschen in Südafrika stark. Es steckt in ihrer DNA, selbst in ausweglosen Situationen zu sagen: „We’ll make a plan!“Hoffen wir, dass das auch für den Kampf gegen das Coronavirus gilt.
Der Autor schreibt auf seinem Blog
www.wir-reissen-aus.de über das Leben mit seiner Familie in Südafrika.