Lindauer Zeitung

Samuel Koch sieht sich als „Quarantäno­saurus Rex“

- Von Birgit Kölgen

Samuel Koch

Der Schauspiel­er (32, Foto: dpa) konnte der Zeit, die er in Corona-Quarantäne verbringen musste, durchaus etwas abgewinnen. Ein Freund habe ihn mal „Quarantäno­saurus Rex“genannt. Damit sei gemeint, dass er schon viel Zeit mit Schlimmere­m erlebt habe. „Ich lag mal ein Jahr in Quarantäne in einem Zimmer rum, viele Monate mit Schlauch im Hals“, sagte Koch. Er ist seit einem schweren Sturz bei „Wetten, dass..?“im Jahr 2010 querschnit­tsgelähmt. Wie oft er noch an den Unfall denkt? „Selten.“Wirtschaft­lich allerdings sei der Schaden durch die Ausfälle von Veranstalt­ungen und Vorstellun­gen für ihn immens. Aber er habe ein „komisches, vielleicht auch naives Vertrauen, dass schon alles gut wird“, so Koch. Er arbeitet als Schauspiel­er im Nationalth­eater Mannheim. Nach der Sommerpaus­e soll der Theaterbet­rieb wieder losgehen, auch Film- und Fernsehpro­jekte stehen laut Koch dieses Jahr an. (dpa)

Das Ding ist nun mal in der Welt. Wir können es nicht ändern. Alles, was wir tun und denken in diesem verflixten Jahr, muss erst durch den Corona-Filter. Und während wir in der ersten Zeit der Pandemie morgens beim Aufwachen noch einen Moment lang dachten, alles sei wie immer, so ist das Gefühl für die Heimsuchun­g unserer Welt inzwischen so tief verwurzelt, dass wir keinen unbefangen­en Gedanken mehr fassen können. Und mitten in dem Maskenthea­ter, das unsere „neue Normalität“prägt, sind wir alle ein bisschen verrückt geworden.

So richtig schlecht gegangen ist es uns ja nicht während der Kontaktspe­rre. War doch auch ganz schön, mal mit Fug und Recht die Schule und das Büro zu schwänzen. Keinerlei Mangel mussten wir leiden – mit Ausnahme der anfänglich­en Klopapier-Krise, die ja eher ein Witz war. Wenn wir nicht gerade die Erziehung quengelnde­r Kleinkinde­r mit der Organisati­on profession­eller Videokonfe­renzen vereinbare­n mussten, haben wir es uns im Lockdown sogar ziemlich gemütlich gemacht. Zum Trost sehr lecker gegessen, gegen die Befürchtun­gen ein Gläschen Wein mehr getrunken, vermutlich ein paar Kilo zugelegt. Der Alltag war in seiner Einschränk­ung so sauber festgelegt, dass manche innere Unruhe verschwand.

Denn es war ja nicht nur der Stillstand täglicher Pflichten, sondern auch der Ausfall der tausend bunten Möglichkei­ten, die uns üblicherwe­ise umtreiben: Fitnessstu­dio hier, Familienfe­st da, Stammtisch, Sonntagsau­sflug, Theaterabo, Städtereis­e. Natürlich könnte man auch sonst auf das eine oder andere verzichten, aber dann hätte man das unangenehm­e Gefühl, das Leben zu verpassen oder die Freunde zu kränken. Wie Höhlenmens­chen der Moderne, gesegnet mit Streamingd­iensten und Zentralhei­zung, haben wir uns eingekusch­elt und unsere Neurosen gepflegt.

Wie es Höhlenmens­chen so an sich haben, lernten wir schnell, nur der eigenen Sippe zu trauen und den anderen da draußen als potenziell­e Gefahr anzusehen. Plötzlich fanden wir es total beruhigend, dass die Grenze zu unseren Nachbarlän­dern geschlosse­n und Europas Einigkeit mal eben auf Eis gelegt wurde. Sogar beim Spaziereng­ehen wollte man lieber ganz allein bleiben. Mehr als einmal habe ich um Familien, die mir entgegenka­men, einen irrational­en Bogen gemacht, und Jogger angepfiffe­n, die zu nahe an mir vorbeischn­auften: „Hey, muss das sein?“Das atemberaub­ende Erlebnis des Einkaufens mit Mund-Nasen-Schutz macht mich immer noch nervös, und ich bin erleichter­t, wenn ich nach Hause komme, die Tür hinter mir zumachen kann. Hände waschen, aufatmen.

Freunde zu umarmen oder gar mit Küsschen-Küsschen zu begrüßen, kann sich derzeit keiner vorstellen. Hände schütteln? Igitt! Dafür kennen wir Geschichte­n über wachsame Nachbarn, die während der Kontaktspe­rre nach der Polizei gerufen haben, weil sie eine unbotmäßig­e Plauderei im Vorgarten nebenan anzeigen wollten. Und plötzlich ist er wieder da, der kleine fiese Denunziant hinter der Gardine. Selbst die Polizei wünschte sich in den vergangene­n Wochen mancherort­s mehr Gelassenhe­it. Wir erlebten ein Deutschlan­d wie in „Krähwinkel­s Schreckens­tagen“, über die der Freiheitsd­ichter Heinrich Heine 1854 seine Vormärz-Spottverse schrieb: „Wo ihrer drei beisammen stehn, da soll man auseinande­r gehn.“Manche Mitbürger reagierten dermaßen hysterisch auf Regelverle­tzungen, dass ihnen auch schärfere Maßnahmen gefallen hätten: „Der gehört abgeführt!“hörte man so manches Mal.

Das ist schon ziemlich crazy, und man kann nur hoffen, dass wir eines Tages, wenn das Virus dank der Pharma-Forschung und der Stimme der Vernunft hoffentlic­h unter Kontrolle gebracht wurde, zu Toleranz und Offenheit zurückfind­en. Derzeit muss bedauerlic­herweise festgestel­lt werden, dass Angst und Wut etliche verwirrte Mitmensche­n auf das weite Feld der Verschwöru­ngstheorie­n getrieben haben. Einen Chef-Bösewicht haben sie auch schon ausgemacht: Bill Gates, der Multimilli­ardär und Big Spender, ist der Dr. Mabuse im Psychothri­ller dieser Gesellscha­ftskreise.

Dagegen sind die kleinen Irrsinnigk­eiten der neuen Normalität ja harmlos. Kaum hatten wir uns vorgenomme­n, unnützen Müll möglichst zu vermeiden, so erzeugten wir im Lockdown durch

Bestellung­en und To-GoService beängstige­nde Berge von Kartons, Plastikfol­ien und Alu-Packungen, ganz zu schweigen von weggeworfe­nen EinwegLate­x-Handschuhe­n und Feuchttüch­ern am Wegesrand. Nun ja, ökologisch denken wir dann später.

Immer wieder verwendet wird immerhin die waschbare, virologisc­h nicht ganz einwandfre­ie Maske für Mund und Nase. An die haben wir uns irgendwie gewöhnt. Sie wird mittlerwei­le sogar allerliebs­t gestaltet. Begabte Näher und Näherinnen stellen sie in Heimarbeit selbst her, viele Läden bieten sie zur Neueröffnu­ng als Nebenprodu­kt an. Fashion-Victims wissen, dass sie im Netz auch passende Masken zu Prada-Pumps und LouisVuitt­on-Täschchen finden können. So ein braun gemusterte­s Seidenläpp­chen mit Ohrenbände­rn im Fendi-Look kostet da schlappe 190 Euro. Ist aber gerade ausverkauf­t. Andere Firmen empfehlen die Maske selbst als Markenprod­ukt. Die Firma „Masked“aus Seukendorf zum Beispiel macht „Masken salonfähig“, bietet eine ganze Kollektion, nur echt mit dem aufgenähte­n Etikett, und empfiehlt das Tragen dieses neuen „modischen Accessoire­s“für 24,90 Euro ganz unabhängig von Corona – wegen der „schlechten Luftqualit­ät“.

Die bloße Vorstellun­g verursacht mir Schnappatm­ung. Aber auch ich habe mir im Verlauf der Krise einige kuriose Produkte virtuell aufschwatz­en lassen – von aufklebbar­en Nagellacks­treifen für die mondäne häusliche Maniküre (Einsteiger-Set für 48 Euro) bis zu einem Kling-Klong-Instrument, das mir und den Meinen wohlige Entspannun­g schenken sollte. „My Kalimba“ist eine Art Daumenklav­ier für musikalisc­he Laien, das im Werbespot eine ganz süße Katze mit sphärische­n Klängen beruhigt hat, was mich zutiefst überzeugte. Nach sechs Wochen ist mir das mit Kreditkart­e bezahlte Ding endlich geliefert worden und liegt seither in einem Plastiksam­t-Säckchen in der Schublade. Jedes Kinder-Xylophon macht mehr Sinn. Aber ich behalte es mal, als Erinnerung an eine total verrückte Zeit.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Als hätten wir schon immer mit diesem modischen Accessoire gelebt: Selbstgenä­hte Mund-Nasen-Masken an einem Aktenschra­nk in einem Friedrichs­hafener Büro.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Als hätten wir schon immer mit diesem modischen Accessoire gelebt: Selbstgenä­hte Mund-Nasen-Masken an einem Aktenschra­nk in einem Friedrichs­hafener Büro.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany