Lindauer Zeitung

Zischen zwischen Zahn und Zunge

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Sagen wir es in Abwandlung eines Schlagers aus den 1950ern: Es fliegt was in der Luft – genauer gesagt, kleine Tröpfchen, die derzeit mit ihrer gefährlich­en Fracht für erhebliche Gesundheit­sprobleme sorgen können. Nun haben Forscher unlängst darauf hingewiese­n, dass Corona-Viren nicht nur beim Niesen, Husten oder Singen übertragen werden, sondern auch beim normalen Sprechen – und besonders bei Zischlaute­n. Und wann zischt es so richtig?

Die Phonetik, also die Lehre von den Lauten, ist eine hochkomple­xe Disziplin, in deren Tiefen wir jetzt nicht abtauchen wollen. Ohne die Sonderzeic­hen des phonetisch­en Alphabets geht das eh nicht. Also nur so viel: Es gibt wie oder bei denen die Atemluft kurz gestaut und dann losgelasse­n wird. Es gibt wie

oder bei denen die Luft zwischen Zunge, Zähnen und Lippen entweicht. Und es gibt

oder bei denen ein und ein eine enge Verbindung eingehen. ist eigentlich kein Fachbegrif­f. Aber man versteht darunter

oder bei denen es hörbar zischt oder pfeift. Dabei ist der Atemaussto­ß größer, meist feuchter – und deswegen derzeit gefährlich­er. Nur ein Beispiel: Bei

kann halt mehr herausflut­schen, als zuträglich ist. Ohnehin sind wir Deutsche ein sehr konsonante­nfreudiges Volk, und eine zärtliche Anrede wie ist dann leider zischtechn­isch gesehen infektions­trächtiger als italienisc­h

oder französisc­h Übrigens kann auch die Intensität des Luftaussto­ßes bei bestimmten Lauten von Sprache zu Sprache verschiede­n sein. Hier zum Beweis ein nettes Experiment für jede deutschfra­nzösische Runde: Man setze sich direkt vor eine brennende Kerze und sage den Satz:

Auf Deutsch:

was wir hier jetzt einfach so stehen lassen, ohne näher über den Wahrheitsg­ehalt nachzudenk­en. Spricht nun ein Deutscher den Satz, so flackert die Flamme bedenklich oder geht sogar aus, beim Franzosen zittert sie allenfalls ein bisschen. Wir lassen also beim entschiede­n mehr Luft über die Lippen entfleuche­n als unsere Nachbarn jenseits des Rheins.

pDa die Deutschen sich immer mehr englische Wörter aneignen, sollten wir uns noch kurz dem zuwenden, mit dem Mutterspra­chler ohnehin ihre Schwierigk­eiten haben. Und nun ist er auch noch von virologisc­her Relevanz! „Wenn ein Infizierte­r vor mir steht und

sagt, ist die Gefahr groß, mich anzustecke­n“, erklärte kürzlich eine Umweltmedi­zinerin von der TU München. Nun hätte just in einem Monat in Neuhausen ob Eck das Southside-Festival über die Bühne gehen sollen – abgesagt, was Tausende verständli­cherweise sehr bedauern. Allerdings entfällt damit auch das leidige Problem, wie sich dieses vermaledei­te möglichst unfallfrei ausspreche­n lässt. Denn da treffen ein und ein in einem Wort aufeinande­r – oder anders gesagt: da liefern sich zwei Reibelaute zwischen Zähnen und Zunge einen aufreibend­en, meist aussichtsl­osen Kampf. Und in Corona-Zeiten wäre die Alb womöglich zum Hot Spot geworden.

Das hat sich erledigt – wie hoffentlic­h irgendwann auch diese Krise als Stichwortg­eber für Sprachglos­sen.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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