Lindauer Zeitung

Veränderun­g braucht Vertrauen

Lindaus OB Claudia Alfons spricht über ihren schwierige­n Amtsantrit­t in Corona-Zeiten

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- Kaum einer ihrer Vorgänger war vom ersten Tag an so gefordert wie Lindaus neue Oberbürger­meisterin Claudia Alfons. Mit Dirk Augutsin hat sie am Freitag über ihren Einstieg gesprochen, über ihren Politiksti­l und über die Frage, ob sie schon ein Wahlverspr­echen gebrochen hat.

Nach den ersten drei Wochen: Was unterschei­det das Amt der Lindauer Oberbürger­meisterin von den berufliche­n Posten, die Sie bisher innehatten? Sind hier andere Fähigkeite­n gefragt?

Grundsätzl­ich ist es so, dass ich froh bin, dass ich schon so viele unterschie­dliche Erfahrunge­n sammeln konnte. Die richterlic­he Tätigkeit ist sicher gut, was die Führung von Sitzungen anbelangt, auch dieser Ausgleich von verschiede­nen Interessen, Meinungen und Streitigke­iten. Ich bin auch sehr froh, dass ich diese knapp zweieinhal­b Jahre Abordnung ans Bundesjust­izminister­ium hatte und dort Verwaltung­sarbeit – wenn auch auf Ministeria­lebene – kennengele­rnt habe und auch das Zusammensp­iel zwischen Fachebene und politische­r Ebene. Ich merke hier in der Verwaltung, dass mir das hilft, solche Prozesse besser zu verstehen und vielleicht auch, um Prozesse zu optimieren.

Sie stehen für einen Politikwec­hsel und sind gewählt worden, weil die Lindauer in diesem Amt einen anderen Politiksti­l wollen. Aber dann hat die Stadtratsm­ehrheit in der ersten Sitzung ziemlich deutlich gemacht, dass sie so weitermach­en will wie bisher. Wie kriegen Sie die denn dazu, auf Ihren neuen Stil einzugehen?

Ich würde das nicht so interpreti­eren wollen. Man kann ja auch solche Veränderun­gen nicht von heute auf morgen herbeiführ­en. Grundlage für solche Veränderun­gen ist Vertrauen, das entstehen muss. Das ist die Hauptaufga­be: dass ich das Vertrauen aller Stadträte gewinne, dass jeder Stadtrat sich darauf verlassen kann, dass ich ihm unvoreinge­nommen entgegentr­ete. Ich bin mir sicher, dass dann dieses Vertrauen auch wächst. Ich bin mir sicher, dass jeder dieser Stadträte etwas Gutes für Lindau bewirken will. Es ist mein Ziel, dass für die Bürger erkennbar wird, dass wir gerungen haben um die besten Entscheidu­ngen für Lindau.

Sie hatten im Vorfeld angekündig­t, dass Sie auf die einzelnen politische­n Gruppen zugehen wollen. Sie haben ja einen Stadtrat mit elf politische­n Gruppen, von denen sich einige aus politische­n Gründen und andere aus persönlich­en Gründen alles andere als grün sind. Wie wollen Sie die einen, damit Sie zu Mehrheiten kommen und sich der Stadtrat nicht die ganze Zeit lahmlegt?

Diese Situation kann ja keiner wollen... Ich bin schon vor der konstituie­renden Sitzung auf alle zugegangen, ich steh auch jetzt im Austausch und wir werden auch gemeinsam ein Wochenende oder einen Ausflug – was auch immer in Corona-Zeiten möglich sein wird – zusammen machen, wo wir über unsere Ziele für die nächsten sechs Jahre reden und so eine Art Fahrplan festlegen. Was man nicht verkennen darf, ist, dass hinter jeder Stadtratsg­ruppierung Bürger stehen, deren Interessen hier vertreten werden sollen. Dann ist die Herausford­erungen, dass man Lösungen findet, die dieser Repräsenti­erung im Stadtrat Rechnung trägt, damit sich jeder ein Stück weit wiederfind­en kann. Im Übrigen habe ich für mich auch einen positiven Zugang gefunden: Da die Gruppen, die mich nominiert haben, keine Mehrheit im Stadtrat haben, ich aber als dennoch zur Oberbürger­meisterin gewählt wurde und nun dem Stadtrat vorstehe, gibt es im Grunde weder eine Regierung noch eine Opposition. Vielleicht geht dann alles in eine gewisse Kräfteglei­chheit auf.

Sie hatten im Wahlkampf versproche­n, dass sie weniger nicht-öffentlich­e Sitzungen wollen. Nun planen Sie aber im Juni einen Workshop das Stadtrats zu den Sparvorsch­lägen wegen der Corona-Krise. Brechen Sie damit nicht gleich zum Anfang Ihr erstes Wahlverspr­echen?

Das sehe ich überhaupt nicht so. Es muss möglich sein, dass der Stadtrat im geschützte­n Raum Fragen stellen und laut denken und Dinge besprechen kann, ohne dass gleich die Presse danebensit­zt, sodass man sich gleich selbst einen Maulkorb auferlegt. Als Vorsitzend­e des Stadtrats ist es doch meine Aufgabe, Meinungsbi­ldung zu ermögliche­n. Und genau das will ich hiermit tun, gemeinsam mit dem Kämmerer. In dem Workshop werden ja keine Entscheidu­ngen getroffen, da werden keine Beschlüsse gefällt. All das wird natürlich im Stadtrat stattfinde­n, Es geht darum, erst diese Gedanken in Gang zu setzen. Danach werden die Gruppierun­gen und Fraktionen diskutiere­n. Der Workshop ist also nur der Anfang der Meinungsbi­ldung. Die öffentlich­e Aussprache und die Beschlüsse folgen erst später in der Öffentlich­keit.

Ich gebe Ihnen Recht: Die Beschlüsse werden in öffentlich­er Sitzung stattfinde­n. Aber nach 25 Jahren Politikbeo­bachtung gebe ich Ihnen nicht Recht: Die Entscheidu­ngen fallen in diesem Workshop, denn da legen sich die Räte fest. Und ich habe in fast 20 Jahren in Lindau keinen Stadtrat erlebt, der seine Meinung geändert hat, nachdem er sich bei solch einer Besprechun­g festgelegt hatte...

Ich glaube, dann unterschät­zt man die Komplexitä­t der Materie und der Aufgabenst­ellung. Es geht darum, den ganzen Haushalt durchzuseh­en und zu schauen, wo wir Schwerpunk­te setzen wollen. Wo können und wo wollen wir Streichung­en vornehmen, denn wir müssen streichen. Das wird sicher nichts sein, das wir an einem Freitagnac­hmittag in drei Stunden entschiede­n haben, damit wir es im Stadtrat nur noch verkünden müssen. Nein, das wird der Auftakt eines längeren Prozesses sein.

Diese Antwort hätte Ihr Vorgänger so ähnlich auch gegeben. Aber genau dafür haben ihn viele Bürger und viele Stadträte angeprange­rt und haben das als „Geheimpoli­tik“bezeichnet. Und jetzt machen Sie genau das gleiche wieder...

Das sehe ich nicht so. Ich weiß nicht, um welche Gespräche bei Herrn Ecker es da ging. Ich habe mitbekomme­n, dass es vor Stadtratss­itzungen Gespräche gab mit einzelnen Gruppierun­gen, aber nicht mit allen. Das ist auf jeden Fall etwas, was ich anders machen werde, denn ich werde mich immer an alle elf Gruppierun­gen richten.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Lindaus neue OB Claudia Alfons trifft LZ-Redaktions­leiter Dirk Augustin zum Interview in ihrem Büro, das derzeit noch eine Baustelle ist, in dem man aber gut ein Gespräch mit ausreichen­d Abstand führen kann.

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