Rechte und linke Täter verüben mehr Straftaten
Zahl der antisemitisch motivierten Taten auf höchstem Stand seit fast 20 Jahren
- Im Jahr der Anschläge von Halle und Kassel ist die Zahl der politisch motivierten Straftaten auf den zweithöchsten Wert seit fast zwanzig Jahren gestiegen. Mehr als die Hälfte der im vergangenen Jahr begangenen 41 177 Taten gehen auf das Konto von Rechtsextremisten.
Zwar machten politische Straftaten nur ein Prozent der kriminellen Delikte in Deutschland aus, aber „für die Stabilität der Demokratie sind sie von herausragender Bedeutung“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung der Zahlen am Mittwoch in Berlin. „Die größte Bedrohung kommt nach wie vor von rechts“, betonte er. Mit großer Sorge beobachte er die steigende Zahl von antisemitischen Straftaten, die mit rund 2000 Delikten auf den höchsten Stand seit Beginn der Statistik im Jahr 2001 kletterte. Mehr als 93 Prozent hätten einen rechtsextremen Hintergrund.
„Die Spirale des rhetorischen Hasses wird von den Rechtspopulisten seit Jahren immer schneller gedreht“, sagt dazu der Ravensburger Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser (FDP). Die deutliche Zunahme der rechtsextremen Straftaten sei ein klares Resultat dieser Hassspirale, „denn aus Worten werden schnell auch schlimmste Taten“. Insbesondere die steigenden antisemitisch motivierten Straftaten müsse die Bundesregierung nun schnellstens angehen. „Sie sollte ein Sofortprogramm in Höhe von 20 Millionen Euro auflegen, um beispielsweise ein bundesweites Netzwerk von Meldestellen
für Antisemitismus aufzubauen und auf eine solide finanzielle Grundlage zu stellen.“
Obwohl die Zahl der Gewalttaten in fast allen Deliktfeldern – rechts, links oder religiös motiviert – um fast 16 Prozent sank, war das vergangene Jahr von einigen gravierenden Verbrechen überschattet. Mit Blick auf den Anschlag auf die Synagoge und die darauf folgenden Morde in Halle und die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sprach Seehofer von einer „Blutspur des Rechtsextremismus“, die sich von der ausländerfeindlichen Mordserie des NSU bis zu den zehn Morden von Hanau in diesem Jahr ziehe. Die Gefahr durch sogenannte
Reichsbürger und Selbstverwalter habe man weiter eindämmen können, hob der Minister hervor. Von der Seite dieser Menschen, die den Staat nicht anerkennen und als waffenaffin gelten, wurden im vergangenen Jahr 22 Prozent weniger Straftaten registriert. 360 von ihnen sei die Waffenerlaubnis entzogen worden.
Seehofers Thüringer Amtskollege Georg Maier (SPD) wies als Vorsitzender der Innenministerkonferenz darauf hin, dass man zur Bekämpfung des Rechtsextremismus auch dessen Finanzquellen trockenlegen müsse. So müssten Konzerte, SzeneVersandhäuser oder Kampfsportgruppen stärker ins Visier genommen werden. „Wir sind aufgerufen, alles zu tun, um unsere Demokratie zu schützen“, erklärte Maier.
Mit Sorge nehme er die aufgeheizte politische Atmosphäre wahr, auch im Internet. Die Angriffe auf Amts- und Mandatsträger stiegen 2019 um ein Drittel. Ein beträchtlicher Anteil von Straftaten richtete sich gegen AfD-Büros. Unter dem Motto „gegen rechts“zogen Linksextreme 52 Prozent häufiger gegen ihre Feinde zu Felde als 2018, etwa vor Landtags- und Europawahlen. Der Großteil der um 23 Prozent gestiegenen linksextremistischen Straftaten waren Sachbeschädigungen.
Niedrigere Fallzahlen gab es im vergangenen Jahr im Bereich der islamistisch motivierten Straftaten. Sie gingen um mehr als ein Viertel auf 425 Delikte zurück. Ein Grund dafür könnte die Ernüchterung sein, die nach dem Niedergang des sogenannten Kalifats der Terrormiliz „Islamischer Staat“in Syrien und dem Irak bei einigen Islamisten um sich gegriffen hat.
Zudem waren in den Jahren zuvor mehrere extremistische Vereinigungen verboten worden – wie etwa 2017 der „Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim“. Außerdem gab es – wohl auch weil weniger neue Asylanträge als in den Vorjahren gestellt wurden – nicht mehr so viele Hinweise auf Asylantragsteller mit Bezügen zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Deutschland sei aus Sicht dieser Vereinigungen jedoch weiterhin unverändert ein Ziel für mögliche Anschläge, heißt es aus dem Bundeskriminalamt.