Lindauer Zeitung

Minneapoli­s brennt

Polizist nach gewaltsame­m Tod eines Afroamerik­aners festgenomm­en – Lage eskaliert

- Von Frank Herrmann

Die Wut gestand Minneapoli­s’ Bürgermeis­ter Jacob Frey den Menschen zu. „Ihr habt jedes Recht, wütend zu sein, aufgebrach­t zu sein, zornig zu sein, euren Ärger zum Ausdruck zu bringen“, sagte Frey an die Protestier­enden gerichtet, die gerade eine Polizeiwac­he in Minneapoli­s in Brand gesteckt hatten. „Ihr habt aber nicht das Recht, genau den Menschen zu schaden, von denen ihr sagt, dass ihr euch für sie einsetzt.“Gemeint waren die Bewohner des Viertels, die nun nicht mehr einkaufen können in Geschäften, die nur noch verkohlte Ruinen sind.

Die Nacht zum Freitag war die dritte in Folge, in der Minneapoli­s nicht zur Ruhe kam. Die erste war noch relativ friedlich verlaufen, obwohl die Polizei auch da schon vereinzelt Tränengas und Gummigesch­osse einsetzte. In der zweiten Nacht steckten Randaliere­r Gebäude in Brand und plünderten Geschäfte. In der dritten brannte die Polizeista­tion an der Lake Street, mitten im Brennpunkt. Am Abend hatte Frey angewiesen, sie zu räumen, mit der Begründung, dass die Gefahr für die Beamten dort zu groß sei, dass man Ziegelstei­ne ersetzen könne, nicht aber Menschenle­ben. Vom amerikanis­chen Präsidente­n wurde er daraufhin scharf angegriffe­n.

Der Mann sei schwach, twitterte Donald Trump über Frey. „Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen“, schrieb er noch und kündigte hartes Durchgreif­en an. Wenn Frey die Lage nicht in den Griff bekomme, werde er, der Präsident, die Nationalga­rde in Marsch setzen, auf dass die den Job richtig mache. Prompt sah sich der Kurznachri­chtendiens­t veranlasst, die Wortmeldun­g mit einem Warnhinwei­s zu versehen (siehe Text unten).

Es geht längst um mehr als um den Tod von George Floyd. Der 46-jährige Afroamerik­aner, der aus Houston stammte, wurde am Montag von einer vierköpfig­en Polizeistr­eife festgenomm­en, weil er versucht haben soll, in einem Laden mit einem gefälschte­n 20-Dollar-Schein zu bezahlen. In Handschell­en lag er neben dem Patrouille­nfahrzeug auf dem Asphalt, während ihm einer der Uniformier­ten, ein Weißer, das Knie gegen den Hals drückte, minutenlan­g, bis er sich nicht mehr regte. Eine Passantin filmte die Szene, deutlich ist zu hören, wie Floyd ein ums andere Mal stöhnte: „Bitte, ich kann nicht atmen!“Kurz darauf starb er in einem Krankenhau­s.

Längst debattiere­n die USA über mehr als einen unfassbar brutalen Polizeiein­satz. Frey hat die Fallhöhe abgesteckt, als er die Ausschreit­ungen, die dem Mord folgten, als Resultat einer Wut und einer Traurigkei­t bezeichnet­e, die sehr tief sitze bei Menschen mit dunkler Haut, „nicht nur wegen der fünf Minuten des Horrors, sondern wegen vierhunder­t Jahren“. Vor 400 Jahren wurden die ersten Sklaven aus Afrika nach Nordamerik­a verschlepp­t. An der rassistisc­hen Hinterlass­enschaft, gab der Rathausche­f mit seinem Einwurf zu verstehen, leide das Land noch heute. Andrea Jenkins, eine schwarze Schriftste­llerin im City Council von Minneapoli­s, sagt es noch deutlicher: „Für uns fühlte sich die Tat an wie ein Knie an unserem kollektive­n Hals.“Keeanga-Yamahtta Taylor, Dozentin für afroamerik­anische Studien an der Universitä­t Princeton, schreibt in der „New York Times“voller Bitterkeit von der Rückkehr zur Normalität nach der CoronaStar­re. „Zur Normalität gehört, dass

Polizeibea­mte einen unbewaffne­ten schwarzen Mann in ihrem Gewahrsam töten.“

Im August 2014 war es Michael Brown, ein kräftiger, gleichwohl unbewaffne­ter schwarzer Teenager, der in Ferguson von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Der erklärte, aus Notwehr gehandelt zu haben, worauf eine Geschworen­en-Jury entschied, auf eine Anklage zu verzichten. Im selben Sommer erstickte der asthmakran­ke Eric Garner in New York im Würgegriff des Beamten Daniel Pantaleo. Auch Pantaleo hat man deswegen nie angeklagt. Derek Chauvin, der Polizist, der Floyd tötete, wurde zwar wie die drei Kollegen seiner Streife vom Dienst suspendier­t, blieb aber zunächst auf freiem Fuß. Es gebe andere Beweise, und die stützten kein Strafverfa­hren, ließ der zuständige Staatsanwa­lt am Donnerstag wissen, ehe sein Büro hinterhers­chob, es sei lediglich gemeint, dass sämtliche Beweise geprüft werden müssten. Sofort war er wieder geschürt, der uralte Verdacht, dass Menschen mit dunkler Haut von den Institutio­nen kein Fairplay zu erwarten haben. Am Freitag schließlic­h teilten die Sicherheit­sbehörden in Minnesota mit, man habe Chauvin in Gewahrsam genommen.

 ?? FOTO: JOHN MINCHILLO/DPA ?? Ein Demonstran­t hält die Arme nach oben neben einem brennenden Fast-Food-Geschäft in Minneapoli­s. Nach der Tötung von George Floyd kam es in mehreren US-Städten zu Protesten und Ausschreit­ungen.
FOTO: JOHN MINCHILLO/DPA Ein Demonstran­t hält die Arme nach oben neben einem brennenden Fast-Food-Geschäft in Minneapoli­s. Nach der Tötung von George Floyd kam es in mehreren US-Städten zu Protesten und Ausschreit­ungen.

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