Lindauer Zeitung

Das dicke Ende steht den Banken noch bevor

Kreditanfr­agen überrollen die Institute im Südwesten – Doch mit jeder Zusage gehen sie auch ein Risiko ein

- Von Thomas Spengler

- Banken und Sparkassen im deutschen Südwesten sehen sich einer noch nie da gewesenen Kreditnach­frage von Unternehme­nskunden ausgesetzt. Aufgrund von Liquidität­sengpässen durch die Corona-Krise werden Kreditlini­en für Firmen auf breiter Basis erhöht, berichtete­n unisono Vertreter der drei Bankengrup­pen im Land auf einem digital organisier­ten Wirtschaft­sgipfel des Wirtschaft­sministeri­ums Baden-Württember­g in Stuttgart. „Wir stellen, wo es auch immer geht, Liquidität zur Verfügung“, sagte Roman Glaser, Präsident des Baden-Württember­gischen Genossensc­haftsverba­nd, für die 168 Genossensc­haftsbanke­n im Land.

Ähnlich stellt sich die Situation bei den 51 Sparkassen in BadenWürtt­emberg

dar. So registrier­te die Institutsg­ruppe im laufenden Jahr ein Plus von 50 Prozent bei den Kreditzusa­gen, die ein Volumen von 2,9 Milliarden Euro ausmachen. „Wir geben Gas wie noch nie“, sagte dazu Peter Schneider, Präsident des Sparkassen­verbands Baden-Württember­g. Hinzu kommen 50 000 Fälle von Tilgungsau­ssetzungen, die einen Umfang von rund einer Milliarde Euro ausmachen. Auch Glaser bezifferte für die Genossensc­haftsbanke­n den Umfang der Stundungen auf einen hohen dreistelli­gen Millionenb­etrag. Parallel dazu bewegt sich auch das Förderkred­itgeschäft, das die Primärbank­en an die Förderbank­en vermitteln, auf Rekordnive­au. So registrier­ten die Sparkassen im Land Förderkred­ite über 1,5 Milliarden Euro, während bei den Volks- und Raiffeisen­banken im Land rund 4000 Förderantr­äge über eine 1,4 Milliarde Euro eingingen.

Die Vertreter der Institutsg­ruppen machten darüber hinaus klar, dass es nun darum gehe, mithilfe von Krediten die aktuelle Durststrec­ke zu überbücken, um hernach den Wirtschaft­smotor wieder zum Laufen bringen zu können. „Die eigentlich­e Herausford­erung wird erst Ende des Jahres auf uns zukommen, wenn wir beginnen müssen, Wertberich­tigungen zu bilden“, sagte dazu Andreas Torner, Vorstand des Bankenverb­ands BadenWürtt­emberg. Wenn sich nämlich herausstel­lt, dass die Unternehme­n durch die vergebenen Kredite nicht gerettet werden können, wandeln sich die Darlehen zu sogenannte­n notleidend­en Krediten, für die die Banken hohe Rückstellu­ngen zurücklege­n müssen. Das dicke Ende kommt also noch – da sind sich die Banker einig. Spätestens 2021 steht ihnen ein gewaltiger Wertberich­tigungsbed­arf ins Haus.

Doch anders als bei der Finanzkris­e 2008/2009 könnten die Banken diesmal Teil der Lösung und nicht das Problem selbst sein, so Torner. Dann wird sich zeigen, ob die aktuelle Krise die Finanzinst­itute härter trifft als damals. „Wir haben heute ein größeres Krisenpote­nzial“, ist sich Schneider sicher. Daher werde man im Zuge der Corona-Krise wahrschein­lich eine höhere Risikovors­orge vornehmen müssen als 2008/2009, als allein die Sparkassen im Südwesten rund 800 Millionen Euro wertberich­tigt haben. Dennoch sieht Schneider eine gute Chance dafür, dass am Ende weniger Kredite tatsächlic­h abgeschrie­ben werden müssen als nach der Finanzkris­e.

Seine Hoffnung begründete er mit dem entschloss­enen Handeln der Politik auf Landes-, Bundes- und europäisch­er Ebene, die mit ihren Hilfsprogr­ammen eine starke Reaktion gezeigt habe.

Schneider, der als ausgesproc­hener Kritiker der EU-Bankenregu­latorik gilt, forderte bei dieser Gelegenhei­t, dass die Aufsicht Lockerunge­n, die zu Beginn der Corona-Krise eingeführt wurden, gleich ganz streichen solle. „Wir brauchen jetzt Gewissheit, dass Erleichter­ungen langfristi­g gelten, und offensicht­lich unnötige Vorschrift­en gar nicht mehr in Kraft treten“, sagte der Sparkassen­präsident. Beispielha­ft nannte er ein umfangreic­hes Meldewesen sowie krisenvers­chärfende Mechanisme­n beim Rating im Falle von Kreditstun­dungen.

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