Hobby-Magnetfischer bergen scharfe Munition aus dem Kißlegger Obersee
Wie gefährlich Funde dieser Art sind und warum es 75 Jahre nach Kriegsende noch viele davon gibt
- Kürzlich jährte sich das Kriegsende in Kißlegg zum 75. Mal – französische Truppen marschierten am 28. April 1945 ein (die SZ berichtete). Dass die Besatzung noch nicht so lange her ist, wie es scheint, zeigen erstaunliche Funde von Hobby-Magnetfischern am Obersee. Jüngst haben Robert Hansen, Conradin Frey und sein Sohn Nathanael teils scharfe Geschosse am Randufer des Mädlebads geborgen. Frey erzählt, warum die aktuelle Corona-Krise ihren Teil dazu beigetragen hat.
Normale Fischer fangen Fische. Magnetfischer hingegen suchen nach metallischen Gegenständen in Gewässern. Die Magnete, mit denen das Trio „fischt“, sind keine normalen. „Ein sogenannter Neodym-Magnet ist an einem 20 Meter langen Seil befestigt, den man ins Wasser wirft. Die Konstruktion hat eine Anziehungskraft von 400 Kilogramm“, sagt Conradin Frey. Damit kann der doppelseitige, handflächengroße Magnet theoretisch die tiefste Stelle des Obersees, die ungefähr 16 Meter misst, erreichen.
Eine außergewöhnliche Idee in außergewöhnlichen Zeiten: Während der Ausgangsbeschränkung hatte Frey nach einer passenden VaterSohn-Aktivität gesucht. „Das beginnende Teenageralter ist bekanntlich ein Alter, in dem gemeinsame Interessen auseinander gehen“, sagt der 37-Jährige. „Mein 13-jähriger Sohn Nathanael und ich mögen altertümliche Dinge“, sagt er. „Wir haben einfach Spaß am Finden – das begeistert uns.“Für ihn sei es wichtig, dass er mit seinem Freund Robert und seinem Sohn raus an die frische Luft kam – bei einer Aktivität, bei der man dennoch die gesetzlichen Vorgaben und den Mindestabstand einhalten könne. „Wir haben auf schöne, historische Entdeckungen gehofft“, sagt er, „ein altes Schwert oder ähnliches hätte uns gefreut.“Stattdessen angelte er neben Münzen und Nägeln reihenweise alte Geschosse aus dem Zweiten Weltkrieg.
Im Internet habe Frey die Fundstücke identifiziert. „Zum einen waren leere Flugabwehrgeschosse dabei, zum anderen scharfe Kugeln von einem Karabiner – ein Selbstladegewehr der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg“, sagt Frey. Umgehend habe er die Polizei gerufen, damit sie die Kampfmittel beseitigen lassen. „Nachdem der Magnet bei diesem einen Versuch schon einige Patronen angezogen hat, schätze ich, dass im Obersee noch viel mehr solcher Stücke liegen“, sagt er.
Ohne jegliches Risiko ist Magnetfischen allerdings nicht – im Gegenteil. Denn: Der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ravensburg, Markus Sauter, warnt vor fatalen Folgen. Man solle gefundene Kampfmittel „nicht anfassen und dort belassen, wo man sie gefunden hat.“Die Polizei kläre dann zunächst mit dem Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD), um welche Überreste es sich handle. Geschosse hole die Polizei ab. Der KBD entferne Sprenggranaten, Minen und Bomben.
Ralf Vendel, Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Baden-Württembergs, mahnt ebenfalls zu Achtsamkeit und Vernunft. In den letzten Jahren sei das Hobby immer beliebter geworden. „Sollte man Munition mit einem Magneten angeln, muss man dementsprechend vorsichtig sein“, sagt Vendel. Durch die Zugkraft des Magneten könne Munition möglicherweise entsichert werden. Den Fund solle man daher nicht vom Magneten wegziehen, sondern langsam wieder ins Wasser absinken lassen und die Ortspolizei verständigen.
Pro Jahr werden laut Vendel allein in Baden-Württemberg 60 bis 120 Tonnen Munition aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg – sogar noch aus dem Dreißigjährigen Krieg – geborgen. „Wir sind tagtäglich unterwegs, um das Land sicherer zu machen.“Aber die Bergung und Entschärfung sei aufwendig und teuer.
„Alliierte haben während des zweiten Weltkrieges Millionen von Tonnen abgeworfen. Außerdem hatte die Wehrmacht 1945 noch sehr viel Munition übrig.“Bis heute stoße man regelmäßig auf Munitionsaltlasten. „Bevor die Alliierten beim Einmarsch also verbotene Munition und damit potentielle Feinde finden konnten, haben Soldaten auf dem Rückzug die Kampfmittel in Wäldern, Seen und Flüssen beseitigt“, so Vendel.
Per se verurteilt der Leiter des KBD die Magnetfischerei nicht. Er sieht das Für und Wider. „Allein wegen der Risiken sollte man es unterlassen mit einem Magneten zu angeln, aber auf der anderen Seite ist es toll, dass die Gewässer von Metallschrott gesäubert werden.“
Für Conradin Frey ist das Magnetfischen ebenfalls „ein guter Dienst an der Umwelt“. Künftig will er mit seinen zwei Kumpanen weiterhin auf Entdeckungstour gehen. „Sobald die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden, möchten wir nicht nur am Ufer, sondern vom Boot aus weiter angeln“, sagt Frey.