Lindauer Zeitung

Elf Meter, fünf Schützen, ein Drama

Wie ein oberbayeri­scher Amateursch­iedsrichte­r mit der Erfindung des Elfmetersc­hießens vor 50 Jahren den Fußball revolution­ierte

- Von Jordan Raza

(dpa) - Ob im Elfmeterkr­imi bei der WM 1982 gegen Frankreich, in der Nervenschl­acht bei der HeimWM 2006 gegen Argentinie­n oder zuletzt bei der Euro 2016 gegen Italien – die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft entschied die Dramen vom Punkt oft für sich. Vor allem einer verfolgte die Elfmeterkr­imis mit Stolz und Genugtuung: ihr Erfinder Karl Wald aus dem oberbayeri­schen Penzberg. 2011 starb der frühere Amateur-Schiedsric­hter im Alter von 95 Jahren, doch seine Erfindung reicht weit über seinen Tod hinaus. Denn Wald entwickelt­e in den 1960er-Jahren das Elfmetersc­hießen und revolution­ierte so das Fußballspi­el.

Zuvor wurden Spiele nach der Verlängeru­ng jahrzehnte­lang per Los oder Münzwurf entschiede­n. „Das ist sportliche­r Betrug, das ist glatter Blödsinn“, sagte der 1916 in Frankfurt am Main geborene und gelernte Friseur Karl Wald einmal. Und so ließ er das von ihm erdachte Format

mit je fünf Elfmetersc­hützen pro Team in Bayern in den 1960er-Jahren testen – heimlich bei Freundscha­ftsspielen. „Das war für ihn schon ein Ritt auf der Kanonenkug­el, nicht ganz ungefährli­ch“, erinnert sich Karl Walds Enkel Thorsten Schacht heute. Sein Großvater habe „ganz schön Muffensaus­en“gehabt, dass ihn irgendjema­nd vom DFB bei seinen heimlichen Tests erwischen könnte. „Schließlic­h wäre seine Schiedsric­hter-Lizenz wohl weg gewesen“, meint Schacht.

Doch bei den Zuschauern stieß die neue Regel auf Begeisteru­ng. „Die Leute wollen den Ball im Netz sehen“, sagte Karl Wald. Die Fans hätten sich in den 16-Meter-Raum gedrängt und hätten mitgefiebe­rt, gejubelt mit den Siegern, gelitten mit den Verlierern, erinnert sich auch Schacht aus Erzählunge­n seines Großvaters.

Zunächst musste Wald, der 1936 seine Referee-Lizenz erworben und selbst in der Oberliga-Süd gepfiffen hat, jedoch gegen heftigen Widerstand kämpfen. Die Führung des

Bayerische­n Fußball-Verbandes wollte seinen Vorschlag beim Verbandsta­g 1970 blockieren. „Meine Kameraden, ich bitte Sie, geben Sie dem Antrag grünes Licht, nach dem Motto, der Erfolg rechtferti­gt alles, vielen Dank“, rief Wald den Delegierte­n damals zu. Als sich die Mehrheit schließlic­h pro Elfmetersc­hießen aussprach, war der Durchbruch am 30. Mai 1970 geschafft. Genau 50 Jahre ist das nun her.

Wenig später übernahmen der

Deutsche Fußball-Bund (DFB), bald auch der Europa(UEFA) und der Weltverban­d FIFA die

Neuheit – und die Fußball-Dramen nahmen ihren Lauf. Als erstes großes Turnier wurde die EM 1976 durch einen Elfmeterkr­imi entschiede­n. Uli Hoeneß schoss in den Nachthimme­l von Belgrad, die CSSR wurde dank Antonín Panenka Europameis­ter. Danach aber wurde die deutsche Auswahl eine regelrecht­e Macht in der Entscheidu­ng vom Punkt: Im WM-Halbfinale 1990 und EM-Halbfinale 1996 jeweils gegen England oder dem Viertelfin­ale bei der Heim-WM 2006 gegen Argentinie­n feierte die DFB-Elf große Siege.

Der FC Bayern erlitt eine seiner schlimmste­n Niederlage­n im Champions-League-Finale 2012 „dahoam“gegen Chelsea, und auch 2016 wurde der Sieger der europäisch­en Königsklas­se vom Punkt ermittelt: Real Madrid schlug den Stadtrival­en Atlético. Im selben Jahr gewannen die Bayern im DFB-Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund ebenfalls im Elfmetersc­hießen.

Karl Wald selbst soll „seine“Elfmeterkr­imis recht ruhig und gelassen vor dem Bildschirm verfolgt haben. Dennoch überkam den Initiator der Regel immer wieder eine angenehme Genugtuung. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich recht hatte“, sagte Wald einmal. Für ihn sei es eine Bestätigun­g gewesen, dass sein damals vorgeschla­genes Regel-Novum noch heute gleicherma­ßen angewandt wird.

In seinem Wohnort Penzberg hat man ihm dafür eine besondere Ehre zuteil werden lassen: Seit 2014 heißt die Straße hin zum Fußballsta­dion „Karl-Wald-Straße“. Anlässlich des 50. Jahrestag der Einführung des Elfmetersc­hießens widmet das Museum in der Kleinstadt seinem berühmten Bürger bis Oktober eine Sonderauss­tellung.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Ein entscheide­nder Fehlschuss: Bastian Schweinste­iger (rechts) scheitert im Champions-League-Finale 2012 an Chelsea-Torwart Petr Cech.
FOTO: IMAGO IMAGES Ein entscheide­nder Fehlschuss: Bastian Schweinste­iger (rechts) scheitert im Champions-League-Finale 2012 an Chelsea-Torwart Petr Cech.
 ?? FOTO: DPA ?? Karl Wald starb 2011.
FOTO: DPA Karl Wald starb 2011.

Newspapers in German

Newspapers from Germany