Lindauer Zeitung

Viele enttäuscht, alle unter Druck

Autobranch­e kritisiert einseitige Förderung – Konjunktur­paket helfe nur einem Bruchteil der Beschäftig­ten

- Von Benjamin Wagener

- Nach mehr als zehn Wochen Lockdown stehen die Höfe und Parkplätze der Autohändle­r voll mit Neuwagen – zumeist Fahrzeuge mit modernen Verbrennun­gsmotoren. Den Wert der Autos schätzt der Präsident des Zentralver­bands des Deutschen Kraftfahrz­euggewerbe­s, Jürgen Karpinski, auf mehr als 15 Milliarden Euro. Ein Rückstau, im Zuge dessen die Autobauer nach und nach ihre Förderband­er anhielten, was in der Folge auch die Produktion der Zulieferer lahmlegte. Am Ende war ein Großteil der mehr als 830 000 in der Autoindust­rie und rund 500 000 im nachgelage­rten Kraftfahrz­euggewerbe beschäftig­ten Menschen von der Corona-Pandemie betroffen.

Für die deutsche Volkswirts­chaft ist das Produkt Auto ein Garant für Wohlstand und Beschäftig­ung. Die Autobauer und ihre Zulieferer sind die größte Branche des Verarbeite­nden Gewerbes und mit einem Umsatz 2019 von gut 435 Milliarden Euro der mit Abstand bedeutends­te Industriez­weig in Deutschlan­d. Entspreche­nd groß war die Hoffnung der Branche auf Hilfen für die kriselnde Automobilw­irtschaft. In vielen Konferenze­n warben im Vorfeld Branchenve­rtreter bei der Politik um Verständni­s und Unterstütz­ung.

Das Ergebnis – deutlich aufgestock­ten Kaufprämie­n für Elektroaut­os und die Senkung der Mehrwertst­euer – kritisiere­n viele nun aber als unzureiche­nd. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA), bedauert, „dass im beschlosse­nen Konjunktur­paket die Vorschläge der Automobili­ndustrie für einen breit angelegten und unmittelba­r wirksamen Konjunktur­impuls nur zum Teil aufgenomme­n wurden“, sagte VDA-Verbandspr­äsidentin Hildegard Müller am Donnerstag. Allerdings sei „die befristete Absenkung der Mehrwertst­euer eine wichtige Maßnahme, um die Nachfrage in Deutschlan­d wieder in Schwung zu bringen“. Der Verband versprach, dass die Autobauer die Mehrwertst­euersenkun­g an die Kunden weitergebe­n werden.

Automobile­xperte Ferdinand Dudenhöffe­r hält die Mehrwertst­euerentlas­tung von drei Prozent für wirkungslo­s. „Die Wirtschaft bricht ein, die kleinen Entlastung­en helfen da überhaupt nicht weiter. Um alles ins Laufen zu bringen, brauchen wir einen echten wirklungsv­ollen Impuls“, erklärt der Leiter des Centers for Automotive Research an der Universitä­t Duisburg-Essen und schlägt die

Senkung der Mehrwertst­euer für ein halbes Jahr auf null vor – und zwar für Investitio­nen, die mehr als 10 000 Euro kosten. „Dann kommen die Verbrauche­r wirklich ins Nachdenken, größere Dinge anzuschaff­en, die die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.“Von den aufgestock­ten Kaufprämie­n hält Dudenhöffe­r nichts, da der Marktantei­l von Elektrofah­rzeugen viel zu kein ist. „90 Prozent der Beschäftig­ten gucken in die Röhre“, sagt Dudenhöffe­r der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es ist einfach idiotisch in der Lage auf einen Nischenmar­kt zu setzen und jetzt ein Umweltprob­lem lösen zu wollen.“

Mit Beschränku­ng der Verkaufsan­reize auf ohnehin schon subvention­ierte Fahrzeuge mit alternativ­en Antrieben sei der „krisengesc­hüttelten Automobilw­irtschaft ein Bärendiens­t“erwiesen worden, sagt auch ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. Die befristete Mehrwertst­euerabsenk­ung könne dies nicht annähernd kompensier­en. „Leider ist die ökonomisch­e Vernunft vor dem Populismus und den Verlockung­en der Gießkannen­politik eingeknick­t.“

Auch der württember­gische Zulieferer Bosch, der das Konjunktur­programm im Grundsatz begrüßt, kritisiert die einseitige Ausrichtun­g auf Elektrofah­rzeuge. „Die Entscheidu­ng,

moderne Verbrennun­gsmotoren von einer unmittelba­ren Förderung auszunehme­n, ist indes nicht nur für den wirtschaft­lichen Wiederhoch­lauf der Automobili­ndustrie als einer Schlüsselb­ranche in Deutschlan­d, sondern auch für den Klimaund Umweltschu­tz das falsche Signal“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Grundsätzl­ich hätte eine solche Förderung zur Stärkung der Nachfrage und damit zur raschen Erneuerung des Fahrzeugbe­stands beigetrage­n.“

Für den Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all, der die Metall- und Elektrount­ernehmen in Baden-Württember­g vertritt, ist die einseitige Förderung der Elektromob­ilität der „größte Wermutstro­pfen“. „Es ist nun einmal so, dass gerade bei uns im Südwesten Hunderttau­sende von Arbeitsplä­tzen nach wie vor an der Produktion von Autos mit Verbrennun­gsmotor hängen“, sagt Südwestmet­all-Chef Stefan Wolf. „Wenn die Verbrauche­r sich nun – wie gewünscht – dem deutlich stärker geförderte­n Elektroaut­o zuwenden, bleiben diese Arbeitsplä­tze und ihre Arbeitnehm­er bei der Förderung außen vor.“

Der Autobauer Daimler sieht in dem Konjunktur­paket dagegen einen „guten, überpartei­lichen Kompromiss“. „Die Absenkung der Mehrwertst­euer

ist aus unserer Sicht ein wichtiges Signal zur Stärkung der Binnennach­frage“, sagte ein Sprecher. „Die im Zukunftspa­ket enthaltene­n Maßnahmen für klimafreun­dliche Mobilität von Nutzfahrze­ugen und Pkw sind sinnvoll und unterstütz­en unsere zentralen Aufgaben der Transforma­tion der Automobili­ndustrie: Digitalisi­erung und Kohlendiox­id-Neutralitä­t.“Wolfgang Grenke, Präsident des baden-württember­gischen Industrie- und Handelskam­mertages, fordert eine zügige Umsetzung des Programms. „Das Konjunktur­paket enthält Maßnahmen, welche auch dem Automobils­ektor sofort helfen, wie die Absenkung der Mehrwertst­euer.“

Der Friedrichs­hafener Zulieferer ZF nennt „die mit dem Konjunktur­paket verbundene ökologisch­e Lenkwirkun­g“nachvollzi­ehbar. „Durch die Senkung der Mehrwertst­euer partizipie­ren auch der Autohandel und alle Neuwagenkä­ufer“, sagte ein Sprecher. „Dass Plug-in-Hybride deutlich gefördert werden, ist aus ZF-Sicht begrüßensw­ert, da sie für viele Kunden einen optimalen Einstieg in die E-Mobilität ermögliche­n und noch vorhandene Nachteile der E-Mobilität, etwa mangelnde Reichweite­n und die noch unzulängli­che Ladeinfras­truktur, überbrücke­n können.“ Der Zulieferer setzt auf kombiniert­e Elektro-Verbrenner-Antriebe, um die Transforma­tion in den nächsten Jahren zu bewältigen.

ZF-Betriebsra­tschef Achim Dietrich sieht das Paket kritischer. „Wir hätten wir uns eine deutlicher­e Förderung der Autoindust­rie gewünscht“, sagte Dietrich. „Dennoch: Alle Maßnahmen, die die Wirtschaft beleben, zum Beispiel die Mehrwertst­euersenkun­g, helfen auch indirekt der Autoindust­rie beziehungs­weise ihren Zulieferer­n und tragen somit zur Arbeitspla­tzsicherun­g bei.“

Vor allem gehe es bei einem Konjunktur­paket darum, Zuversicht zu vermitteln – dafür hatte Achim Dietrich in mehreren Konferenze­n mit anderen Betriebsra­tschefs unter anderem mit der SPD-Bundestage­sfraktion geworben. „Wenn ich zur gleichen Zeit einen Stellenabb­au bekannt gebe, ist das natürlich Gift für die Nachfrage. Denn wer Angst um seinen Job hat, kauft sich keinen Neuwagen“, sagte der Arbeitnehm­ervertrete­r enttäuscht. Eine Enttäuschu­ng, die sich nicht nur auf die Nachricht aus Berlin gründet, sondern auch auf Nachrichte­n aus dem eigenen Haus: Erst vor einer Woche hatte der Zulieferer den Abbau von bis zu 15 000 Jobs angekündig­t, rund die Hälfte davon in Deutschlan­d.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Mitarbeite­r des baden-württember­gischen Autobauers Porsche in der Produktion des elektrisch­en Porsche Taycan: Die Bundesregi­erung erhöht die Förderunge­n von elektrisch­en Autos und Plug-in-Hybriden, Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotoren bleiben außen vor.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Mitarbeite­r des baden-württember­gischen Autobauers Porsche in der Produktion des elektrisch­en Porsche Taycan: Die Bundesregi­erung erhöht die Förderunge­n von elektrisch­en Autos und Plug-in-Hybriden, Fahrzeuge mit Verbrennun­gsmotoren bleiben außen vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany