Unbeschreiblich und doch Tour-Sieger
Als zweitjüngster Gewinner der Tour de France schreibt Tadej Pogacar Radsportgeschichte
(SID/dpa) - Wunderkind Tadej Pogacar nahm die Schulterklopfer auf seinem knallgelben Rad mit einem schelmischen Grinsen entgegen und warf Kusshändchen ins Publikum. Während der zweitjüngste Sieger in der Geschichte der Tour de France seine slowenische Heimat endgültig in einen Freudentaumel stürzte, fand auf der lockeren Schlussetappe auch Kumpel Primoz Roglic nach dem spektakulären Verlust des Gelben Trikots das Lächeln wieder.
Pogacar suchte wie schon am Vortag mühsam nach Worten. „Das ist wirklich unglaublich, ganz verrückt. Ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben“, sagte der Youngster, der sich einen Tag vor seinem 22. Geburtstag so reich beschenkte.
Im Kampf um den prestigeträchtigen Sieg auf den Champs-Elysées standen beim Finale der 107. Großen Schleife andere im Mittelpunkt. Im erwarteten Massensprint setzte sich der Ire Sam Bennett durch. Für seinen Rivalen Peter Sagan reichte es zum dritten Platz. Der Slowake vom deutschen Team Bora-hansgrohe, der zuletzt siebenmal in Serie das Grüne Trikot gewonnen hatte, musste dieses Mal die Punktewertung Sam Bennett überlassen. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so eine Etappe einmal gewinnen könnte. Und das auch noch in Grün, das ist so besonders“, sagte Bennett.
Deutsche Fahrer spielten im Schlusssprint – wie letztlich auch im Gesamtklassement – keine Rolle. Lennard Kämna, der auf der 16. Etappe für den einzigen deutschen Tagessieg in diesem Jahr gesorgt hatte, belegte in der Endabrechnung als bester Deutscher den 34. Rang. Bora-Teamkollege Emanuel Buchmann hatte den Kampf um das Gelbe Trikot nach seinem Sturz vor der Tour schnell aufgeben müssen. „Allzu viel Positives nehme ich nicht mit“, sagte der Ravensburger, der nach seinem 38. Rang im Gesamtklassement kämpferisch ankündigte: „Ich versuche es nächstes Jahr auf jeden Fall wieder. Ich bin davon überzeugt, dass ich deutlich mehr kann, als ich dieses Jahr gezeigt habe. Es werden wieder bessere Zeiten kommen.“
Die erlebte zweifelsohne Pogacar, der als erster Fahrer überhaupt in einem Jahr neben dem Gelben auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis sowie das gepunktete Berg-Trikot gewann. Drei Trikots waren zuletzt Eddy Merckx 1969 geglückt. Im Gesamtklassement war in der Geschichte der Grande Boucle nur ein Sieger jünger als der Tour-Debütant: 1904 triumphierte der damals 19-jährige Henri Cornet aus Frankreich.
Senkrechtstarter Pogacar war in einem denkwürdigen Zeitfahren erst am Samstag ins Gelbe Trikot geschlüpft und hatte seinem Landsmann Roglic den sicher geglaubten Sieg noch abgejagt. Auf den schwierigen 36,2 Kilometern von Lure zur La Planche des Belles Filles verwandelte er seinen 57 Sekunden großen Rückstand auf Roglic in einen 59-sekündigen Vorsprung – und stellte die Radsportwelt kurzerhand auf den Kopf.
Am Sonntag geschah auf den letzten der insgesamt 3490 Tour-Kilometer dann zunächst wenig, Attacken auf das Gelbe Trikot gab es auf der
„Tour d’Honneur“wie üblich nicht mehr. Pogacar posierte daher fleißig für Fotos und erntete Lob seiner Kollegen, auch mit Roglic („Im Moment kann ich nicht klar denken, ich habe keinen klaren Plan für die Zukunft. Es ist, als wäre mein Kopf leer“) hielt er ein Pläuschchen. Sekt oder Champagner flossen diesmal coronabedingt nicht.
146 der 176 gestarteten Fahrer erreichten letztlich Paris. Allerdings bot sich dem Feld dort ein ungewohntes Bild: Auf den zu pandemiefreien Zeiten prall gefüllten ChampsElysées waren in diesem Jahr lediglich 5000 Zuschauer zugelassen.
Auf dem abschließenden Rundkurs im Herzen der französischen Hauptstadt parierten die Teams der Topsprinter zunächst vereinzelte Ausreißerversuche. Auch eine Vierergruppe mit Bora-Profi Maximilian Schachmann wurde in der letzten Runde gestellt, sodass es zum erwarteten Massensprint kam.
Roger Kluge vom Lotto-SoudalRennstall blieb in diesem ohne Chance und behielt auch nach der 21. und letzten Etappe die Rote Laterne. Damit ist er der erste Deutsche nach Willy Kutschbach im Jahr 1935, der im Gesamtklassement den letzten Platz belegt. Sein Rückstand auf Pogacar – mehr als sechs Stunden – ist der größte eines Schlusslichts seit 1955.
Tadej Pogacar musste das nicht scheren. Auch dass er seine Freundin Urska Zigart gemäß dem strengen Protokoll nicht sofort in den Arm nehmen durfte, wird er verkraftet haben. Der Abend war schließlich noch lang. Und: Auch Sloweniens Staatspräsident Borut Pahor war extra eingeflogen. Ob Tadej Pogacars Triumph Fragen aufwirft – zumal sein Umfeld mit Sportdirektor Andrej Hauptman keinen astreinen Ruf genießt und in der Blutdopingaffäre viele Spuren nach Slowenien führen? „Ich habe eine reine Weste“, sagte Tadej Pogacar der ARD.