Trumps Aufholjagd bleibt aus
Joe Biden macht beim zweiten TV-Duell gegen den US-Präsidenten für viele Kommentatoren die bessere Figur
- Diese Debatte werde in die Geschichtsbücher eingehen. Das schrieb US-Präsident Donald Trump in einer E-Mail, lange nachdem er das Auditorium der Belmont University in Nashville verlassen hatte. Er habe deutlich gemacht, was am Wahltag auf dem Spiel stehe. Entweder werde Amerika weiter vorankommen auf dem Weg zu wahrer Größe oder aber in einer Abwärtsspirale in Richtung Sozialismus taumeln. Letzteres hätten die Demokraten Joe Biden und Kamala Harris zu verantworten. Diese Interpretation teilt am Tag danach kein seriöser Kommentator auch nur annähernd. Es gibt niemanden, der das Bild von den Geschichtsbüchern bemüht.
Der Präsident, zieht Matthew Dowd ein nüchternes Fazit, habe sich diesmal, anders als beim ersten Aufeinandertreffen Ende September, nicht wie ein Elefant im Porzellanladen benommen. „Das heißt aber nicht, dass er gewonnen hat. Biden lag in den Umfragen vorn, bevor beide ins Scheinwerferlicht traten, und als die Scheinwerfer ausgingen, hat sich daran nichts geändert.“
Dowd war einst Berater George W. Bushs, seine Meinung hat Gewicht, vor allem in konservativen Kreisen. Und so wie er den Ausgang des Duells einschätzt, sehen es am Freitag auch die meisten neutralen Beobachter. Dem Amtsinhaber, so der Tenor, ist es nicht gelungen, den Herausforderer aufs Glatteis zu führen und im Wahlkampf zur Aufholjagd zu blasen. Der Versuch, Biden als eine Art frühdementen Greis zu porträtieren, scheiterte daran, dass der 77-Jährige bei jedem Schlagabtausch über gut neunzig Minuten Paroli bot. „Er ist nicht ins Straucheln gekommen, und das war im Grunde schon alles, was er beweisen musste“, urteilt Charlie Cook, Verfasser viel gelesener Wahlprognosen. „Bestenfalls hat Trump ein Remis erreicht“, schreibt der Kolumnist Dan Balz in der „Washington Post“. Um auf der Zielgeraden des Rennens aufzuholen, hätte er allerdings zu einem furiosen Endspurt ansetzen müssen.
Trump wirkte beherrschter als beim ersten Aufeinandertreffen, das ganz im Zeichen beleidigender Attacken stand. Vertraute sollen ihm geraten haben, einen seriöseren Ton anzuschlagen, um gerade Frauen in den gepflegten Vorstadtsiedlungen nicht noch mehr zu verprellen. Diese Wählergruppe könnte am 3. November das Zünglein an der Waage bilden.
Dass es diesmal nicht zu einem Schreiduell ausartete, war nicht zuletzt der Moderatorin zu verdanken. Kristen Welker, Korrespondentin des
Senders NBC im Weißen Haus, brachte mit ihrer resoluten Art Ordnung ins Streitgespräch. Was zusätzlich geholfen haben mag: Zu Beginn des Diskurses über den jeweiligen Themenkreis schaltete die Regie jeweils ein Mikrofon für jeweils zwei Minuten stumm. Das alles bedeutete freilich nicht, dass nicht mit härtesten Bandagen gekämpft worden wäre. Nur ging es diesmal, zumindest in der Hauptsache, um inhaltliche Substanz.
Erwartungsgemäß war die Pandemie das Thema, das gleich zu Beginn im Mittelpunkt stand. Biden warf
Trump einmal mehr vor, die Gefahr wider besseres Wissen heruntergespielt zu haben. Und noch immer, betonte er, habe das Oval Office keinen Plan, wie es mit einer Krankheit umgehe, die 220 000 Amerikaner das Leben kostete. „Wer für so viele Tote Verantwortung trägt, sollte nicht Präsident
der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben“, wetterte er und warnte davor, Trumps optimistischen Szenarien zu glauben. Was die Amerikaner erwarte, sei ein dunkler Winter. Ein Impfstoff werde vor Mitte 2021 nicht zur Verfügung stehen.
Mit einem Vakzin sei binnen Wochen zu rechnen, prophezeite dagegen Trump und nannte Unternehmen, die aus seiner Sicht dafür stehen: Johnson & Johnson, Moderna, Pfizer. Nein, er glaube keineswegs, dass man einen dunklen Winter ansteuere, „wir sind ja dabei, unser Land wieder zu öffnen, wir lernen, mit dem Virus zu leben“. Darauf Biden: „Wir lernen, mit ihm zu sterben.“
Die persönlichen Angriffe blieben auch diesmal nicht aus, trotz des etwas moderateren Tons. Trump wechselte in die Rolle des Rebellen im Kampf gegen die politische Elite, die ihm 2016 zum Sieg verhalf. Obwohl er seit fast vier Jahren regiert, gab er den Außenseiter, der dem durch Biden verkörperten Establishment vorwirft, nur schöne Reden zu halten und nicht zu handeln. Zudem versuchte er seinen Widersacher als einen Politiker zu porträtieren, der sich im Amt massiv bereichert habe. Er unterstellte ihm, von Geschäften seines Sohnes Hunter in China profitiert zu haben. Auch behauptete er, ohne Belege zu nennen, die Familie Biden habe 3,5 Millionen Dollar von der Frau des Moskauer Bürgermeisters kassiert. Der Attackierte antwortete, statt auf Details einzugehen, mit einem Satz, mit dem er gleichsam den Stecker zu ziehen versuchte: „In meinem ganzen Leben habe ich nicht einen Penny von einer ausländischen Quelle angenommen“. Trump, konterte er, besitze ein geheimes Bankkonto in China, bis heute habe er nicht eine seiner Steuererklärungen offengelegt. „Was haben Sie zu verbergen?“
Emotional wurde es, als es um Kinder ging, die auf Weisung Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, nachdem sie gemeinsam – ohne gültige Einreisepapiere – über die Grenze aus Mexiko gekommen waren. In 545 Fällen sind Minderjährige auf sich allein gestellt, weil es den Behörden bisher nicht gelang, ihre abgeschobenen Eltern ausfindig zu machen. Die Kinder, sagte Trump, seien von Koyoten, von Menschenschmugglern, in die USA gebracht worden, worauf Biden energisch widersprach. „Es waren keine Koyoten, sie kamen mit ihren Eltern. Sie wurden von ihren Eltern getrennt. Das verletzt alles, wofür wir als Nation stehen.“
Es ist ein Moment, einer von mehreren, der Biden besser aussehen lässt als den Mann, den er am 20. Januar im Oval Office ablösen will.