Lindauer Zeitung

Kita-Eltern wollen keine Erzieherin­nen mit Maske

Eltern in Schlachter­s sammeln Unterschri­ften – Bürgermeis­ter zeigt Verständni­s für die Bedenken

- Von Christian Flemming und Dirk Augustin

- Vor allem die ganz kleinen Kinder seien verstört. Deshalb wenden sich Eltern aus Sigmarszel­l dagegen, dass Erzieherin­nen eine Maske tragen müssen. Der Bürgermeis­ter unterstütz­t sie.

„Kinder sind nicht die Treiber der Pandemie, sondern unsere Zukunft“, steht auf einem der Plakate, mit denen Julia Reichart und ihre Mitstreite­r am Freitag vor der Kita St. Raphael in Schlachter­s stehen. „Da heißt es immer, die Kinder sollen die letzten sein, die unter Maßnahmen gegen die Ausbreitun­g von Corona leiden sollen, und dann sind sie die ersten, die betroffen sind“, klagen Mütter wie Franziska Ziegler. Sie ist ziemlich geladen, wenn sie über die verordnete­n Maßnahmen nachdenkt, obwohl sie sich keineswegs in der Nähe von Coronaleug­nern sieht. „Dass gehandelt werden muss, ist doch völlig klar“, sagt sie, aber ihr leuchtet nicht ein, dass „mein Mann mit 21 anderen in der Halle kicken darf, ohne Maske, ohne Abstand, schwitzend, schnaufend, während die Erzieherin­nen mit den Kleinsten hier nur mit Maske arbeiten dürfen“. Da stimme das Verhältnis nicht.

Reichart, die selbst Pädagogin ist, erklärt, „die Kinder, vor allem die kleinsten in der Kinderkrip­pe, lernen extrem viel vom Abschauen. Also auch die Mimik und das Sprechen, von der Körperspra­che mal ganz abgesehen. Mit Maske fällt dies weg, zurück bleibt ein Bildungsrü­ckstand, der schwer wieder aufzuholen ist“. Zudem seien Kinder in diesem Alter kaum von Corona betroffen. Im Landkreis habe es bisher seit März nur fünf Infektione­n bei Kindern bis vier Jahre und elf bei Kindern zwischen fünf und 14 Jahren gegeben.

Währenddes­sen bringen Mütter – und vereinzelt Väter – ihre Sprössling­e in die Kita, genauer gesagt bis vor die Kita, denn rein dürfen sie nicht mehr. Das führt vor allem bei den Krippenkin­dern oft zum Weinen. „Die sind das Ritual gewohnt, dass sie von einem der Eltern in die Kita gebracht werden, dort ausgezogen und dann verabschie­det werden“, erklärt Reichart. Nun seien die Kinder verstört. Für weitere Verwirrung bei den Kleinen sorgen überdies die Masken der Erzieherin­nen, denn nur die Sprache der Augen reicht für die Einjährige­n nicht. Um alles verstehen und durch Nachahmen verinnerli­chen zu können, brauche es das ganze Gesicht.

Auch wenn ohne Masken für die Erzieherin­nen in Krippe und Kindergart­en ein gewisses Ansteckung­risiko bestehe, sei das vernachläs­sigbar im Vergleich zu dem Schaden, den die Kinder nehmen. Spontan hat Reichart deshalb zur Protestakt­ion aufgerufen. Viele Eltern helfen ihr. „Und wenn wir mit dieser Aktion nur ein wenig zum Nachdenken anregen, haben wir schon etwas erreicht“, sagt Reichart. Sie berichtet, dass die Probleme bei den Kindern dazu führen, dass manche Eltern inzwischen die ganzen Anti-Corona-Maßnahmen in Frage stellen.

54 Unterschri­ften sind an diesem Freitagmor­gen zusammenge­kommen, wie die Reichart erfreut feststellt. „Das sind bereits über 50 Prozent bei rund 100 Kindern hier“, wie Axel Meier bestätigt, der die Aktion unterstütz­t. Nicht alle Väter haben an diesem Morgen unterschri­eben, sind mit den Worten „Ja, ich weiß Bescheid“schnell weitergezo­gen. Am Montag werden sie wieder dastehen, denn freitags seien eh nicht alle Kinder da, außerdem sei eine ganze Reihe krank.

Am Montag will Reichart die Unterschri­ften Bürgermeis­ter Jörg Agthe überreiche­n, der Verständni­s hat für die Aktion der Eltern. Die Erzieherin­nen wollen sich zu dem Thema öffentlich nicht äußern, aber Agthe weiß, dass die Mitarbeite­rinnen in dem Gemeindeki­ndergarten sehr besorgt sind wegen der Folge der Masken für die Kleinkinde­r. Tatsächlic­h seien Kinder verstört, zudem leide unter dem mangelnden Verständni­s der Alltagsabl­auf in der Kita. Wenig Verständni­s hat Agthe auch dafür, dass die Erzieherin­nen sogar eine Maske tragen müssen, wenn sie mit den Kindern in den Wald gehen.

Trotz aller Bedenken habe er seinen Mitarbeite­rinnen gesagt, dass sie sich an das geltende Recht halten und Masken tragen müssen, erklärt Agthe im Gespräch mit der LZ. Er will aber gerne den Protest der Eltern weiter ans Landratsam­t tragen. Denn nur die Behörde könne die Regeln lockern. Zudem sei er sicher, dass die Verantwort­lichen dort prüfen, ob die Maßnahmen angemessen sind oder nicht. Deshalb bemüht sich Agthe zugleich, für seine Mitarbeite­rinnen möglichst schnell anstelle der Stoffmaske­n, transparen­te MundNasen-Schutz zu besorgen. Den damit ließe sich ein Teil des Problems sicher beheben.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Eltern und Elternbeir­at der Kinder in der Kita Schlachter­s um Julia Reichart (Dritte von links) sammeln Unterschri­ften, damit die Maskenpfli­cht für die Erzieherin­nen ausgesetzt wird.

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