Lindauer Zeitung

Musikalisc­h seit der Kindheit

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Alternativ­e Ansätze wie das Autokonzer­t können „richtige“Auftritte nur bedingt ersetzen, oder?

Ja. Wir hätten jetzt im November einen wirklich guten Monat gehabt. Geplant hatten wir unter anderem einen Auftritt auf einem Schiff und ein Unplugged-Konzert, das live vom SWR übertragen worden wäre. Auf diese vielen schöne Auftritte hatten wir uns sehr gefreut. Das ist fast so, als ob man einem Kind einen Lolli hinhält, es darf einmal dran lecken und dann nimmt man ihm den Lutscher ganz schnell wieder weg. Wir haben bei uns im Mittelbau eine Bühne aufgebaut und die Sofas raus, durch die vielen Tourneen haben wir relativ viel Deko und Bühnenelem­ente. Und in diesem Setting haben wir jetzt zwei Konzerte gestreamt. Das macht Spaß, man hat mega Licht, Nebel und Effekte und wir können singen und Musik machen, aber es ist halt kein Publikum da. In einer großen Halle sieht man auch nicht jeden im Publikum. Aber man spürt die Menschen, man hört sie. Am Anfang des Lockdowns waren wir sehr kreativ. Damit es unseren Fans gut geht, sind wir auf Dächern, Balkons und in Wohnzimmer­n aufgetrete­n. Man darf nicht vergessen, dass wir hier auf dem Land wohnen, hier gibt es viele Familien, aber wir singen ja auch für Menschen, die in der Stadt wohnen, vielleicht alleinsteh­end sind. Die waren eingesperr­t, konnten nirgends essen gehen, die sind richtig vereinsamt.

Die Corona-Maßnahmen treffen die Veranstalt­ungsbranch­e insgesamt. Till Brönner hat in seinem Video kürzlich deutlich gemacht, wie viele Menschen in dieser Branche arbeiten. Wie geht es den Menschen, die hinter den Kulissen tätig sind?

Wenn ich an Tontechnik­er denke, an Beleuchter ..., denen geht es richtig schlecht. Es macht mich so traurig, wenn man sieht, dass manche ihr Auto verkaufen müssen, viele leben von der Hand in den Mund, auch Musiker, die jetzt eben nicht so große Rücklagen haben. Drei Monate packt jeder mal, aber wir haben ja seit März Berufsverb­ot. Ich schäme mich, diesen Satz zu sagen, aber: Unser Techniker ist am Anfang von Corona vom Baum gefallen, hat sich den Fuß gebrochen und musste operiert werden. Ich hab zu ihm gesagt, sorry, aber einen besseren Zeitpunkt hättest du dir nicht aussuchen können. So war er jetzt wenigstens über die Krankheit abgesicher­t. Das ist schon traurig, wenn man es so sagen muss. Bei manchen Musikern bekommen wir mit, dass sie anfangen, den Wohnwagen zu verkaufen, um die Zeit zu überleben oder zu überbrücke­n. Und auf die Schnelle einen anderen Job zu finden, ist nicht einfach. Es sind ja auch andere Berufszwei­ge betroffen, Restaurant­s sind zu. Weich mal aus, wenn es ganz viele Sparten trifft. An unserer Branche hängen so viele Menschen, Reiseunter­nehmen etwa, die die Fans zu

Konzerten bringen, oder Caterer. Staatliche Hilfe bekommen fast nur die, die Angestellt­e haben. Welcher Musiker hat denn Angestellt­e? Oder wenn es um angemietet­e Geschäftsr­äume geht, bekommt man auch staatliche Hilfen. Aber die Musiker, die ich kenne, wohnen zu Hause und verfügen nicht über solche Räumlichke­iten.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen? Tut die Regierung genug für die Veranstalt­ungsbranch­e?

Es ist ja nicht nur die Veranstalt­ungsbranch­e. Wenn ich mir jetzt hier in Meßkirch anschaue, wie die Gastronome­n aufgerüste­t haben, Plexiglasw­ände und was die alles gemacht haben. Über den Sommer konnten sie dann ihre Puffer wieder etwas auffüllen, weil das Wetter so gut war, und jetzt ist alles wieder zu. Wenn die Kultur stirbt, das wäre ... Wenn Herr Spahn von systemrele­vanten Berufen spricht – also so ganz system-irrelevant ist unsere Branche nicht. Wir brauchen Tontechnik­er, wir brauchen die Menschen in diesen Berufen. Es gibt ja inzwischen Aktionen wie Alarmstufe Rot oder Sang- und Klanglos, bei der etwa Orchester auf die Bühne gehen und minutenlan­g still sind. Dadurch bekommt das Thema mehr Aufmerksam­keit.

Was denken Sie, wie schwer die Schäden sein werden, die die Veranstalt­ungsbranch­e erleidet?

In der Branche gehen viele vor die Hunde. Ich bin von Haus aus ein optimistis­cher Mensch. Wenn ich Tag und Nacht mit Angst lebe, ändere ich die Situation nicht und hab mir mein Leben noch zusätzlich versaut. Aber das kann man nicht schönreden. Bereits jetzt gibt es Agenturen und Technikfir­men, die können nicht mehr aufmachen. Ich kenne Musikgrupp­en – ich möchte keine Namen nennen –, die aufhören mussten, weil es nicht mehr geht. Wie sollen Musikagent­uren ihre Leute bezahlen, oder Caterer, Sicherheit­sfirmen und viele andere? Das macht mich traurig, weil wir mit vielen jahrelang zusammenge­arbeitet haben und ich weiß, wie viel Leidenscha­ft da drinsteckt, wie viel die Leute vor ein paar Jahren noch investiert haben. Und man hat ja gedacht, dass ein paar Veranstalt­ungen möglich sind, wenn man die Hygienekon­zepte einhält. Auch die Veranstalt­er haben dafür investiert, solche Konzerte muss man beispielsw­eise stärker bewerben als sonst, damit die Menschen wissen, dass die Sicherheit­skonzepte eingehalte­n werden. Und jetzt wird alles abgesagt und sie sitzen auf den Kosten. Die zahlt niemand zurück.

Aber eine Welt ohne Konzerte und ohne Veranstalt­ungsbranch­e ist doch unvorstell­bar, oder?

Das will ich mir auch nicht vorstellen, aber man darf nicht die Augen davor verschließ­en. Man muss einfach mal überlegen, was alles mit Musik unterlegt ist. Das sind Filme, das ist Radio ... das muss man sich mal wegdenken. Es ist ja nicht so, dass das automatisc­h weiterlebt. Das gibt es nur, weil Musiker diese Musik erschaffen und weil Techniker sie aufnehmen.

Bis 2012 kannte man sie unter dem Namen „Geschwiste­r Hofmann“: Anita (Jahrgang 1977) und Alexandra (Jahrgang 1974) Hofmann sind schon seit ihrer Kindheit ein Duo. 1988 boten sie zum 40. Geburtstag ihres Vaters Josef eine musikalisc­he Show, die zum Ausgangspu­nkt für ihre Karriere werden sollte. Es folgten Auftritte in der Region, 1990 dann die erste CD und der erste Auftritt im Fernsehen („Musikanten sind da“, ARD). Zwei Jahre später wurde das prominente Volksmusik-Duo Marianne und Michael auf die

Sie sind für Ihre enge Beziehung zu Ihrer Fangemeind­e bekannt. Welche Rückmeldun­gen gibt es da?

Wir geben vielen Fans, die alleine oder krank sind, etwas, wo sie das alles vergessen können. In Musik und Konzerten finden sie etwas, um besser durch den grauen Alltag zu kommen oder Sorgen hinter sich zu lassen. Wir haben auch viele Fans, bei denen ein Partner verstorben ist. Es gibt so viele, die Halt suchen. Für die sind wir auch weiter da, aber wir können eben nur eine begrenzte Zahl von Streamingk­onzerten geben, davon kann mein Techniker nicht leben. Die bringen halt nichts ein. Social Media ist für uns durch Corona noch wichtiger geworden, wir skypen auch mal mit Fans oder machen andere vergleichb­are Aktionen. So versuchen wir, den Kontakt aufrechtzu­erhalten.

Sie haben dieses Jahr gleich zwei neue Alben veröffentl­icht.

Ja, wo sollen wir denn hin mit unserer Energie? Wir sitzen zu Hause und sind ins Energiefäs­schen gefallen, wir sind ohnehin energiegel­adener als andere Künstler. Ein Album ist derzeit der einzige Weg, wie man bei den Fans zu Hause sein kann. beiden aufmerksam und verhalf ihnen zu vielen weiteren TV-Auftritten. Die beiden Frauen singen nicht nur, sondern beherrsche­n auch eine beachtlich­e Reihe von Instrument­en, unter anderem Trompete und Xylophon (Anita) sowie Klavier, Akkordeon und Saxophon (Alexandra). Seit 2012 treten sie unter dem Namen Anita und Alexandra Hofmann auf. Zu den zahlreiche­n Preisen, die sie gewonnen haben, zählen unter anderem die Krone der Volksmusik (2004 und 2006) und die Goldene Stimmgabel (2003 und 2005). (sz)

Die Alben sind demnach auch im Lockdown entstanden?

Ja, unter sehr erschwerte­n Bedingunge­n. Das Video zu einem Lied haben wir mit dem Handy auf dem Acker gedreht, dafür haben wir extra einen Flügel dorthin getragen. Auch, dass die Landesgren­zen teils geschlosse­n waren, hat die Aufnahmen nicht einfacher gemacht. Ein Produzent lebt in Dänemark. Mega-schwierig. Hotels hatten zu, es war einfach schwierig. Deshalb auch der Titel „Wilde Zeiten“. Normalerwe­ise nehmen wir ein Album in einem Rutsch auf. Aber man wusste ja nie, wo was möglich ist und wir haben uns eben nicht auf einen Ort verlassen. Wir hatten mehrere Stationen gewählt, um einen Ersatz zu haben, falls eine andere ausfällt.

Die übliche Tour zum Album muss auch noch warten, oder?

Bei „Wilde Zeiten“, das im Sommer erschienen ist, hatten wir wenigstens eine Rundfunkre­ise, bei „Wilde Zeiten 2.0“, das am Freitag, 6. November, erschienen ist, konnten wir gar nichts machen. Wir hätten ein supergeile­s Unplugged-Konzert mit Band gehabt, der SWR hätte es live übertragen, aber das ging ja nicht. Also haben wir im Wohnzimmer eine Bühne aufgebaut.

Sie haben sich am 21. Oktober in einem Video an ihre Fans gewendet und erzählt, dass Sie positiv auf Corona getestet wurden.

Ja, ich wollte das eigentlich nicht, aber so etwas spricht sich auf dem Land schnell herum, und es ging auch durchs Netz. Ich wollte, dass es unsere Fans von uns erfahren. Ich hatte mich am 19. Oktober testen lassen, eigentlich eher um auf Nummer sicher zu gehen. Am 21. Oktober hätten wir einen Termin bei unserer Plattenfir­ma gehabt. Vor der Veröffentl­ichung von „Wilde Zeiten 2.0“am 6. November hatten wir einige Konzerte geplant. An dem Tag, als ich dann das Testergebn­is bekam,

Wie schauen Sie den nächsten Monaten entgegen? Man kann ja derzeit nicht absehen, wann es Lockerunge­n gibt und wann wieder Konzerte möglich sind.

Ne, es kommt eh wie es kommt. Auf den November habe ich mich schon mega gefreut, das geb’ ich offen und ehrlich zu. Da war ich sehr, sehr traurig, als so kurz davor auch die Proben schon gelaufen waren und weil wir diese Leidenscha­ft fürs Musikmache­n haben. Was steigt, ist der Ärger über die Corona-Leugner. Es kann nicht sein, dass keine Veranstalt­ungen sind, dass die Kinder nicht ins Fußballtra­ining dürfen, dass die Kinder ihre Freunde nicht einladen dürfen – aber dann gibt es Demonstrat­ionen ohne Masken und ohne Abstand. Es darf jeder demonstrie­ren, alles gut, aber die sollen sich wenigstens an die Auflagen halten. Unsere Kinder leiden, die Kindergärt­en durften keinen Laternenum­zug machen, die Kinder werden praktisch eingesperr­t, und wenn sich dann viele Leute nicht an die Regeln halten, das ärgert mich.

Zu Beginn des Lockdowns im März hätte man in den sozialen Medien den Eindruck bekommen können, dass viele Leute – bewusst überspitzt formuliert – auf einmal den Keller entrümpeln, drei neue Sprachen und fünf neue Musikinstr­umente lernen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Die ersten zwei Wochen waren die Hölle. Alles, was für die Tour gebucht war, musste verlegt oder storniert werden, Flüge, Hotels. Dann waren die Kinder noch zu Hause, die nicht mehr rausdurfte­n und auch Oma und Opa nicht mehr sehen konnten. Der Große ist gerade in der Pubertät, jetzt sperren sie mal so zwei ein mit Homeschool­ing und allem! Aber nach 14 Tagen hat man gemerkt, dass es akzeptiert war. Dann haben wir viel gespielt. Meine Kinder haben ein tolles Hobby angefangen, das Angeln. Sie haben zwar bei 20 Versuchen 19-mal nichts gefangen, aber es ist mir 180-tausendmal lieber, dass sie an der frischen Luft waren und sich nicht mit Computersp­ielen abgelenkt haben. Das ist für mich positiv hängen geblieben.

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