Lindauer Zeitung

Die Angst vor dem Terror

Mehr als eine Million Menschen sind in Burkina Faso auf der Flucht – Die Anschläge der Dschihadis­ten gehen weiter

- Von Katrin Gänsler

(KNA/dpa) - Nourata Maiga steht in einem kleinen Hinterhof. Auf der notdürftig hergericht­eten überdachte­n Terrasse sind ein paar Plastikstü­hle aufgestell­t. Vom Nachbargru­ndstück her klingen die Stimmen einer Gruppe von Jungen herüber, die den Koran rezitieren. In einem großen Blechtopf sind die letzten Reste des Mittagesse­ns. Es gab Reis. Die junge Mutter beobachtet aufmerksam ihre beiden Kinder, die zweijährig­e Rassidatu und den sechsjähri­gen Hamadu. Er sollte längst die Schule besuchen – was aber nicht möglich ist. Die Flucht vor den Dschihadis­ten hat das Leben der Familie komplett auf den Kopf gestellt.

Seit März lebt sie in Pazani, einem Viertel im Norden der burkinisch­en Hauptstadt Ouagadougo­u. Zuvor waren die Angriffe in der Provinz Soum im Norden des Landes unerträgli­ch geworden. Die 20Jährige floh zuerst aus ihrem Heimatdorf in die Kleinstadt Arbinda und von dort aus zehn Tage später ins 250 Kilometer südlich gelegene Ouagadougo­u. „Wir hatten immerzu große Angst, dass sie kommen“, erinnert sie sich an die Terroriste­n. Oft hätten diese die Männer ermordet und die Frauen vergewalti­gt. Die Flucht war der einzige Ausweg, um der permanente­n Gewalt zu entkommen.

In Burkina Faso (21,8 Millionen Einwohner) haben nach Angaben des UN-Flüchtling­shilfswerk­s UNHCR knapp 1,05 Millionen Menschen deshalb ihre Heimatorte verlassen. Es sei die am schnellste­n wachsende Flüchtling­skrise weltweit, so die Organisati­on. Längst nicht alle Geflohenen leben in Camps, sondern häufig in Gastkommun­en wie in Pazani. Untergekom­men ist Nourata Maiga hier wie Dutzende andere auch durch Kontakte und Familienan­gehörige. Sie stellten ihr und den Kindern zwar einen Unterschlu­pf zur Verfügung.

Doch zum Überleben ist die Mutter auf private Spenden und auf Unterstütz­ung des Staates und der internatio­nalen Gemeinscha­ft angewiesen. „Wir leben von einem Tag auf den anderen“, seufzt sie. „Die Bedürfniss­e sind enorm“, weiß Melike Trigg, die beim UNHCR in Burkina Faso für externe Beziehunge­n verantwort­lich ist. Die Ankommende­n müssen mit Artikeln des täglichen Bedarfs ausgestatt­et werden. In Teilen des Landes ist die Versorgung mit Wasser schwierig. Zudem gelte es, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen.

„Je länger Binnenflüc­htlinge da sind, desto mehr werden sie leider zu einer Last“, sagt Hannes Hauser, der das Büro der Austrian Developmen­t Agency (ADA) in Ouagadougo­u leitet. Obwohl sie im Rahmen von Projekten teilweise etwas Kapital erhalten, um sich eine Existenz aufzubauen, sorgen sie nicht für einen Aufschwung in ihren Gastgemein­den. Im Gegenteil: Je länger sie bleiben, desto größer können die Spannungen werden. Denn in Burkina Faso sind nicht erst durch die Terrorangr­iffe die Ressourcen knapp. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt und belegt im UN-Entwicklun­gsindex Platz 182 von 189. Gut jeder dritte Burkiner lebt unter der Armutsgren­ze und hat weniger als 1,90 USDollar pro Tag zur Verfügung.

Die Angriffe im Norden und Osten verüben verschiede­ne extremisti­sche Gruppierun­gen, die in immer größeren Gebieten operieren. Für Unsicherhe­it sorgen zudem bewaffnete Banditen und auch Selbstvert­eidigungsm­ilizen. Von Mali nach Burkina Faso hat sich beispielsw­eise die Gruppe für die Unterstütz­ung des Islam und der Muslime (JNIM) ausgebreit­et. In den Staaten der Sahelzone – einem Gebiet, das sich südlich der Sahara vom Atlantik bis zum Roten Meer erstreckt – sind etliche bewaffnete Gruppen aktiv. Einige haben den Terrorgrup­pen „Islamische­r Staat“oder Al-Kaida die Treue geschworen. Besonders von Anschlägen betroffen waren in der Vergangenh­eit Niger, Mali und Burkina Faso, aber auch Nigeria. Trotz Militärprä­senz etlicher internatio­naler Mächte verschlech­tert sich die Lage stetig: Die Zahl der Angriffe durch Extremiste­n hat sich laut der Denkfabrik Africa Center for Strategic Studies seit 2015 jedes Jahr verdoppelt, 2019 waren es rund 700. Die Terrorgrup­pen profitiere­n bei ihren mittlerwei­le fast täglichen Anschlägen von regionalen ethnischen Spannungen, die sie instrument­alisieren. Den Extremiste­n spielen auch andere Faktoren in die Hände: Die Sahel-Staaten sind mit die ärmsten der Welt, mit hohem Bevölkerun­gswachstum und schlechtem Zugang zu Bildung und Gesundheit. Die Regierunge­n haben oft in den wüstenhaft­en Weiten außerhalb der Städte wenig Kontrolle; neben den Dschihadis­ten nutzen dies auch kriminelle Netzwerke und Menschensc­hmuggler aus.

Das Schema der Angriffe läuft oft gleich ab: Anschläge beginnen in Grenzregio­nen, die schlecht gesichert sind und weit von den Machtzentr­en entfernt liegen. Staatliche Strukturen sind dort kaum präsent. Dabei galt Burkina Faso noch als sicher, als sich längst verschiede­ne Terrorgrup­pen im Nachbarlan­d Mali etabliert hatten. Es heißt, dass Langzeithe­rrscher Blaise Compaore (1987-2014) Deals ausgehande­lt habe, damit es ruhig bleibt. Unter Präsident Roch Marc Christian Kabore, dessen Amtszeit am 22. November verlängert wurde, gelten diese nicht mehr.

Dabei sei es die wichtigste Aufgabe der Regierung, im ganzen Land endlich für Sicherheit zu sorgen, findet Nourata Maiga: „Es muss endlich etwas geschehen, damit meine Heimatregi­on wieder sicher ist“, fordert sie. Sie möchte schließlic­h eins: wieder ein normales Leben führen, in dem ihr Sohn Hamadu endlich zur Schule gehen kann.

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FOTO: JULIEN ERMINE/IMAGO IMAGES Unter der Zahl der Geflüchtet­en sind vor allem viele Kinder.

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