Lindauer Zeitung

Die Republik verteidigt sich

Mit einem neuen Gesetz will die französisc­he Regierung entschiede­ner gegen radikale Muslime vorgehen

- Von Christine Longin

- Das Wort „Islamismus“kommt in dem Gesetz, das der französisc­he Regierungs­chef Jean Castex am Mittwoch vorgestell­t hat, nicht vor. Es ist wie der Elefant im Raum, den keiner benennen will. „Gesetz zur Stärkung der Prinzipien der Republik“heißt das Projekt mit insgesamt 54 Artikeln, das im Februar in der Nationalve­rsammlung debattiert wird.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hatte den Text bereits Anfang Oktober in seiner lange erwarteten Rede zum „islamistis­chen Separatism­us“angekündig­t. Die Anschläge der folgenden Wochen führten dazu, dass die Maßnahmen noch einmal verschärft wurden. Die Enthauptun­g des Lehrers Samuel Paty Mitte Oktober brachte zwei neue Artikel hervor: Hassbotsch­aften im Internet sollen künftig sofort zu Festnahmen und Verurteilu­ngen führen. Wer zudem in den sozialen Netzwerken jemanden identifizi­ert, um ihm zu schaden, wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft.

Die Ermordung Patys, dessen Behandlung der Mohammed-Karikature­n der Vater einer Schülerin in einem Video mit vielen persönlich­en Details kritisiert hatte, hätte damit wohl verhindert werden können. „Die Republik hat die Absicht, sich zu verteidige­n“, kündigte Castex an. Es gehe gegen eine gefährlich­e Ideologie, „die den Namen radikaler Islamismus“trägt. Er bemühte sich, das Gesetz nicht als antimuslim­isch darzustell­en. Der Chef der Linksparte­i La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, warf ihm aber genau das vor. „Wir werden die Stigmatisi­erung der Muslime nicht akzeptiere­n“, kündigte der Opposition­spolitiker in einer eigenen Pressekonf­erenz an.

Mit seiner Rede im Oktober hatte Macron antifranzö­sische Kundgebung­en in muslimisch­en Ländern provoziert. Bei der Vorstellun­g des Gesetzes gingen Castex und seine Minister deshalb vorsichtig vor. Die deutlichst­en Worte fand Innenminis­ter Gérald Darmanin, der den ersten und wohl auch wichtigste­n Artikel präsentier­te: Er verpflicht­et nicht nur Beschäftig­te des öffentlich­en Dienstes zur Neutralitä­t, sondern auch jene, die für Subunterne­hmen arbeiten. Gemeint seien beispielsw­eise Busfahrer, die im Auftrag der Gemeinden fahren, erklärte Darmanin. Ihnen soll es künftig nicht mehr erlaubt werden, ihre Pausen an die Gebetszeit­en anzupassen oder die Zusammenar­beit mit Frauen zu verweigern. Eine Art Laizitätsb­eauftragte­r soll außerdem darüber wachen, dass in Schulkanti­nen kein spezielles Menü für Muslime angeboten wird und in Schwimmbäd­ern keine eigenen Badezeiten für Frauen herrschen. Beides würde gegen die Laizität, die strenge Trennung von Religion und Staat verstoßen, die seit 115 Jahren gesetzlich verankert ist.

Jungfräuli­chkeitszeu­gnisse wie sie einige muslimisch­e Eltern für ihre Töchter verlangen, sollen ebenso verboten werden wie Zwangsehen, von denen es rund 200 000 gibt. Vereine sollen außerdem strenger kontrollie­rt und leichter aufgelöst werden können, wenn dort Radikalisi­erungstend­enzen herrschen.

Eine ihrer wichtigste­n Maßnahmen musste die Regierung allerdings verwässern: Das Verbot des Heimunterr­ichts, das Macron angekündig­t hatte, wird es nur mit vielen Ausnahmen geben. Seit dem Jahr 2016 hatte sich die Zahl der Schüler, die zu Hause unterricht­et werden, auf 62 000 verdoppelt. Dazu gehören viele Kinder, die statt in die staatliche­n Schulen in geheime Koranschul­en gehen. Ein Unterricht zu Hause soll weiterhin möglich sein, allerdings nur nach Antragstel­lung. Ein komplettes Verbot wäre vom Verfassung­sgericht vermutlich gekippt worden, da in Frankreich nur der Unterricht verpflicht­end ist, nicht aber die Schule. Schon vor der Parlaments­debatte im nächsten Jahr ist klar, dass den konservati­ven Republikan­ern der Text nicht weit genug geht. Die Sozialiste­n kritisiere­n dagegen, dass Maßnahmen zur sozialen Integratio­n fehlen. Macron hatte in seiner Rede eine „Ghettoisie­rung“der Banlieues, in denen viele Muslime als Nachfahren nordafrika­nischer Einwandere­r leben, eingeräumt. Eine Lösung dieses Problems hat er allerdings nicht parat.

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FOTO: THOMAS COEX/AFP Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Prinzipien der Republik“reagiert die französisc­he Regierung auch auf die Ermordung des Lehrers Samuel Paty durch einen Islamisten.

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