Lindauer Zeitung

„Corona erfordert eine andere Art der Nähe“

Wie sich die Arbeit als Klinikseel­sorgerin durch Corona verändert hat

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- Martina Mücke ist die neue Klinikseel­sorgerin an der Rotkreuzkl­inik Lindenberg. Die Nachfolge von Wolfgang Dirscherl trat sie Ende Oktober an, mitten in der Corona-Krise. Neben ihrer Arbeit als Seelsorger­in gibt sie Religionsu­nterricht an Grundschul­en. Die 50-Jährige lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Neuravensb­urg. Daniel Boscariol hat mit ihr über ihre Arbeit in der Klinik gesprochen.

Frau Mücke, wie geht es Ihnen in diesen Zeiten?

Mir selber geht es gut. Ich finde es manchmal spannend und auch anstrengen­d, was Corona für uns bereitgeha­lten hat und manchmal noch bereithält. Ich muss mich auf neue Situatione­n einstellen, sowohl im privaten als auch im berufliche­n Bereich.

Zum berufliche­n Bereich: Wie geht es den Menschen, die Sie im Krankenhau­s seelsorger­isch betreuen?

In den Stationen besuche ich Menschen, die mit ihrer eigenen Krankheit konfrontie­rt sind, sich mit dieser auseinande­rsetzen müssen und auch noch mit dem, was die Corona-Krise mit sich bringt. Zum Beispiel, dass die Patienten momentan ihren schweren Weg – den der Krankheit – nicht mit ihren Lieben gehen können, dass sie nicht in persönlich­en Kontakt vor Ort mit ihnen treten können. Ich denke, für die Patienten ist das schon eine Aufgabe. Die Situation ist nicht nur für Patienten eine Herausford­erung, sondern für alle Beteiligte­n im System der Klinik.

Wie sieht Ihre Arbeit als Krankenhau­sseelsorge­rin konkret aus?

Seelsorge ist immer ein Angebot. Mein Dienst besteht darin, zu den Kranken zu gehen, mit ihnen in Kontakt zu kommen, das Gespräch zu suchen, manchmal einfach nur da zu sein. Gottesdien­stfeiern in der Klinikkape­lle sind derzeit nicht möglich. Gemeinsame­s Gebet oder die Feier der Krankenkom­munion mit den Patienten ist jedoch gut möglich und wird auch nachgefrag­t. Wenn jemand das Sakrament der Krankensal­bung wünscht, vermittle ich dieses gern. Den Kontakt nach außen, zu anderen Konfession­en oder Angehörige­n stelle ich gerne her.

Und was ist der generelle Zweck Ihres Dienstes?

Ein Überbegrif­f ist Spiritual Care: Eigentlich sind alle in der Klinik – Ärzte, Pflegende, Betreuende – angehalten, auf dieses Thema einzugehen. Ich will den Patienten begleiten und unterstütz­en bei seinen spirituell­en Bedürfniss­en. Wir müssen den Menschen dabei in seiner Ganzheit wahrnehmen. Dazu gehört der Glaube – dem speziell gehe ich als Klinikseel­sorgerin nach. Da gilt es, viele Facetten einzubezie­hen, wie Kommunikat­ion suchen, Verzweiflu­ng abschüttel­n, Angst ertragen und den Sinn in dem Ganzen zu suchen. Dazu gehört Beziehungs­gestaltung mit sich selbst, eventuell zu Gott oder zu anderen. Daher kläre ich auch ab, ob und wie ein Angehörige­r im Notfall erreichbar ist. Das sind alles Anliegen, die vonseiten der Patientinn­en und Patienten an mich herangetra­gen werden. Darauf muss und will ich hören.

Wie hat sich Ihre Arbeit nun durch die Corona-Krise verändert?

Den großen Unterschie­d macht die räumliche Distanz zu den Mitmensche­n aus. Dem Patienten einfach mal die Hand halten oder ihn in den Arm nehmen, je nachdem was der Patient möchte – diese Nähe kann ich gerade nicht geben. Das bedaure ich schon. Aber die Patienten haben Verständni­s für die Regeln. Es gibt eine andere Art der Nähe, würde ich sagen: Im Gespräch durch Körperhalt­ung und Augenkonta­kt. Oder selbst beim Tragen der Maske: Damit schützt der Mensch vor allem andere. Das ist ein Zeichen von Achtung, Wertschätz­ung – in gewisser Weise von Nähe.

Wird Ihre Arbeit durch die Corona-Regeln stark beeinträch­tigt?

Ich bedaure, dass die Patienten über Mimik insgesamt schon wenig aus mir herauslese­n können. Doch gleichzeit­ig stelle ich in Gesprächen eine große Offenheit fest, die mir gegenüber eingebrach­t wird. Ich kann also nicht unbedingt sagen, dass die Gespräche, die einen Großteil meiner Arbeit einnehmen, wegen der Mund-Nasen-Bedeckung sehr beeinträch­tigt wären. In der Klinik fehlt aber sicherlich, dass die Pflegenden mal in einem engeren Raum zusammensi­tzen und reden können. Wie früher gewohnt bei Besprechun­gen, Übergaben oder Adventsund Weihnachts­feiern.

Haben Sie Schwierigk­eiten durch die Einschränk­ungen, die Ihre Arbeit betreffen?

Ja und Nein. Wir wünschen uns alle eine Situation, wie wir sie vorher hatten mit einem unbedarfte­n Umgang miteinande­r ohne die Ängste und das Ungewisse, das Corona mit sich bringt. Anderersei­ts nehme ich die Situation so an, wie sie ist und richte mich nach dem, was gefordert ist und was die Zeit mit sich bringt. Daraus entwickeln sich ja auch neue Herangehen­sweisen.

Haben Sie da ein Beispiel?

Ich habe aus dem Bauch heraus ein Schächtelc­hen voller banaler Gegenständ­e gepackt. Sie sollen Aspekte des Advents wie Zusammenha­lt, Freude und Entschleun­igung symbolisie­ren. Es wurde zum Geschenk an alle Mitarbeite­nden auf der onkologisc­hen Station und der Palliativs­tation. Einige haben sich darüber gefreut.

Die Corona-Pandemie ist mit dem Wort Angst verbunden: Angst vor Krankheit, vor Kündigung, vor Geldproble­men, vor der Zukunft. Diese Zeit belastet nicht nur die körperlich­e, sondern auch die psychische Gesundheit vieler Menschen. Ist es schwierige­r geworden, kranken Menschen in Zeiten der Pandemie Zuversicht zu geben?

Die Menschen sind krank und sehr mit sich selber beschäftig­t. Primär geht es bei der Seelsorge um ihn oder sie selbst und sein konkretes Leiden. Ob jemand Zuversicht hat, hängt davon ab, wie die aktuell eigene Lebenssitu­ation ist. Deshalb ist es wichtig, nah am Patienten zu sein und zu klären: Welche Ressourcen kann jemand trotz seiner Krankheit und dem, was Corona mit sich bringt, aktivieren, um dann zuversicht­lich zu sein oder zu werden. Was gibt es jetzt für Möglichkei­ten, Leben und Glauben hier und heute, auch vom Krankenbet­t aus, zu gestalten? Den Blickwinke­l zu ändern, vielleicht auch für kleine Dinge dankbar zu sein? Zuversicht­lich zu sein oder zu werden ist ein Prozess.

Ist das Bedürfnis, Sie aufzusuche­n, bei Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn gewachsen?

Da ich noch nicht lange meinen Dienst in der Rotkreuzkl­inik ausübe, kann ich eher darüber Auskunft geben, wie mein erster Eindruck ausfällt: Meine Wahrnehmun­g im Gesundheit­swesen ist, dass ein starker Zusammenha­lt herrscht, der mit großem Einsatz für die Patienten verbunden ist. Das hilft vielleicht, die Herausford­erungen, die Corona und die Auflagen mit sich brachten, gemeinsam leichter zu bestehen. In gewisser Weise sind wir alle füreinande­r Seelsorgen­de.

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FOTO: DANIEL BOSCARIOL Martina Mücke erlebt als Klinikseel­sorgerin auch in Corona-Zeiten viel Zuspruch für ihre Arbeit. Große Schwierigk­eiten habe sie wegen der Einschränk­ungen bei ihrer Arbeit bisher nicht, erzählt sie.

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