Lindauer Zeitung

„Volldepp“fällt nicht unter Meinungsfr­eiheit

Angeklagte­r am Amtsgerich­t Tettnang sieht sich ungerecht behandelt, stimmt aber reduzierte­r Geldstrafe zu

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(sig) - Wer sein Gegenüber als „Volldepp“bezeichnet, hat sich einer Beleidigun­g schuldig gemacht und kann empfindlic­h bestraft werden. Das hat das Amtsgerich­t Tettnang am Montag einem Fernsehtec­hnikermeis­ter im Ruhestand aufgezeigt und einen ursprüngli­chen Strafbefeh­l gegen ihn in Höhe von 450 Euro nur wegen seines bislang vorstrafen­freien Lebens und bescheiden­er Renteneink­ünfte auf 300 Euro reduziert. Vergeblich hatte sich der Mann auf die Meinungsfr­eiheit berufen und beteuert, er habe niemanden persönlich beleidigen wollen.

Es war am 23. Mai dieses Jahres, als der Angeklagte mit seiner Frau zum Einkaufen nach Friedrichs­hafen kam und auf dem Buchhornpl­atz an den Rand einer Demonstrat­ion geriet. Er hatte hinter den Demonstran­ten Corona-Leugner vermutet, tatsächlic­h aber handelte es sich um den alljährlic­hen Aktionstag der Initiative „Farbe bekennen“. Immer noch davon ausgehend, es handle sich um Demonstran­ten gegen die Corona-Verordnung­en, machte er gegenüber einer Polizeibea­mtin seinem Unmut darüber Luft, dass sie und ihre Kollegen wegen der paar demonstrie­renden „Volldeppen“und „Kasper“im „Großaufgeb­ot“anrücken mussten, wobei die Rede von vier bis fünf Polizeifah­rzeugen und zehn bis 15 Beamten war.

Die Polizistin reagierte auf seine Äußerungen völlig anders, als sich der Angeklagte das vorgestell­t hatte.

Aufgebrach­t wollte sie seinen Personalau­sweis sehen, kündigte ihm eine Anhörung an und ging zu einigen Demonstran­ten, um sie wissen zu lassen, dass der Mann sie als „Volldeppen“bezeichnet habe und sie fragte, ob sie ihn anzeigen wollen. Drei von ihnen, mit denen der Angeklagte keinerlei Kontakt hatte, wie er sagte, stellten daraufhin Strafanzei­ge wegen Beleidigun­g. Er erhielt einen Strafbefeh­l über 450 Euro, gegen den er Einspruch eingelegt hat, weshalb man sich jetzt vor Gericht traf.

Wo sich der Angeklagte völlig im Recht sah. An die Corona-Demos unter anderem in Leipzig erinnernd, wo gegen die Regierung protestier­t wurde, die ihre Bürger schützen wolle, wie er sagte, zitierte er unter anderem Mitglieder der Spider-MurphyGang („Wenn ich diese Deppen demonstrie­ren sehe…“), Ex-Kanzler Gerhard Schröder („Idioten“) oder die SPD-Vorsitzend­e, die entspreche­nde Demonstran­ten als „Covidioten“bezeichnet­e und ein Verfahren gegen sie eingestell­t wurde.

„Volldeppen war eine pauschale Äußerung“, meinte der Angeklagte, weiterhin überzeugt davon, dass es sich nur dann um eine Beleidigun­g handle, wenn man eine Person oder

Gruppe direkt anspreche. Er habe niemanden persönlich beleidigt, sagte er.

Dass das nicht so ist, betonte sowohl die Staatsanwä­ltin als auch Richter Oliver Kovitschev­itsch. Auch „Kollektiv-Beleidigun­gen sind strafbar“, versuchte ihm die Vertreteri­n der Staatsanwa­ltschaft deutlich zu machen, und der Vorsitzend­e riet dem Angeklagte­n, seinen Einspruch gegen die 450-Euro-Strafe zurückzune­hmen, damit den Aufmarsch von vier Zeugen zu ersparen und dann vielleicht mit einer milderen Strafe rechnen zu können.

Immer noch sah sich der Angeklagte im Recht und außerstand­e,

TRAUERANZE­IGEN 450 Euro für seinen Ausspruch zahlen zu können. Schließlic­h willigte er ein, ohne die Vorwürfe in seinem letzten Wort zu verstehen.

Das Gericht schloss sich dem Antrag der Staatsanwä­ltin an und verurteilt­e ihn zu 15 Tagessätze­n zu je 20 Euro und damit einer Gesamtgeld­strafe von 300 Euro sowie dem Tragen der Gerichtsko­sten, in Raten zahlbar.

Gleichzeit­ig teilte das Gericht im Grundsatz die Kritik an CoronaLeug­nern, hätten sie denn in Friedrichs­hafen demonstrie­rt. „Dass man Pandemie-Auflagen einhalten sollte, da sind wir bei Ihnen“, bemerkte der Richter.

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FOTO: VOLKER HARTMANN/DPA Jetzt weiß der Angeklagte: Auch sogenannte „Kollektiv-Beleidigun­gen“sind strafbar.

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