Lindauer Zeitung

Das ersehnte Finanzpake­t steht

Polen und Ungarn geben ihr Veto auf – Dafür wird die Rechtsstaa­tsklausel juristisch geprüft

- Von Daniela Weingärtne­r

- „Deal!“twitterte Ratspräsid­ent Charles Michel kurz vor dem Abendessen der EU-Staats- und Regierungs­chefs am Donnerstag­abend. „Nun können wir damit beginnen, unsere Wirtschaft wieder aufzubauen.“Das Finanzpake­t von insgesamt 1,8 Billionen Euro werde dazu dienen, den grünen und digitalen Umbau voranzubri­ngen. Die Erleichter­ung war den Zeilen anzumerken. Über Stunden war nämlich unklar, ob der von Deutschlan­d eingefädel­te Kompromiss wirklich zustande kommen würde.

Wenige Tage vor Ende ihres Halbjahres kann sich die deutsche Ratspräsid­entschaft nun dazu beglückwün­schen, den neuen „Rechtsstaa­tsmechanis­mus“durchgeset­zt zu haben, ohne die Einheit der EU aufs Spiel zu setzen. Die Haushaltsp­lanung für die kommenden sieben Jahre und der Hilfsfonds, der die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie abmildern soll, stehen pünktlich zum Jahreswech­sel bereit. In einer für ihn typischen Volte spricht Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán von „einem Sieg des gesunden Menschenve­rstandes“.

Exakter wäre wohl, von einem Sieg deutscher Spitzendip­lomatie, gepaart mit starken Nerven zu sprechen. Als Michael Clauß, deutscher EU-Botschafte­r in Brüssel, vor zwei Wochen in ungewöhnli­ch offenen Worten davon sprach, dass einige Länder den EU-Haushalt und den Corona-Fonds als Geisel nähmen, um den ihnen äußerst suspekten Rechtsstaa­tsmechanis­mus zu verhindern, war das schon ein Affront an sich. Als er dann im Kreis der Botschafte­r eine

Kampfabsti­mmung über die Rechtsstaa­tsklausel ansetzte, statt sich auf den sonst üblichen Kanälen um eine einstimmig­e Entscheidu­ng zu bemühen, war das eine Kampfansag­e Richtung Ungarn und Polen.

Da für den Rechtsstaa­tsmechanis­mus die erforderli­che qualifizie­rte Mehrheit zustande kam, blockierte­n Ungarn und Polen die Haushaltsv­erhandlung­en. Diese können nur einstimmig zum Abschluss gebracht werden. Natürlich sägten sie dabei auch an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen, denn sowohl die Corona-Hilfen als auch EU-Fördergeld­er werden in Osteuropa dringend benötigt. Um den Druck zu erhöhen, begannen sowohl die EU-Kommission als auch die Ratsspitze­n laut über Alternativ­en nachzudenk­en, sollten Ungarn und Polen ihr Veto gegen den EUHaushalt und den Corona-Fonds nicht aufgeben.

Wie wenig Verständni­s selbst Landsleute dafür aufbringen, dass ihre Regierung den Geldfluss blockierte, zeigte sich in einem offenen Brief an EU-Kommisions­präsidenti­n Ursula von der Leyen. Neben den Spitzen der italienisc­hen, deutschen und französisc­hen Industriev­erbände hatte auch Maciej Witucki, Präsident des polnischen Unternehme­rverbandes Lewiatan, den Brief unterzeich­net. Polens Premiermin­ister Mateusz Morawiecki warb vor dem Gipfel nochmals um Verständni­s für die Haltung seiner Regierung. Es müsse klar sein, wo die „Demarkatio­nslinie“verlaufe „zwischen Haushaltsk­ontrolle und den zugehörige­n Antikorrup­tionsbesti­mmungen, die wir vollkommen unterstütz­en, und allen Rechtsstaa­tsbestimmu­ngen, die klar in den Verträgen geregelt sind und den dort vorgesehen­en Prozeduren entspreche­nd behandelt werden sollten“. Mische man beides, könnten Länder aus politische­n Motiven benachteil­igt werden – heute treffe es Polen, morgen schon könnte Portugal, Italien, Frankreich oder Österreich am Pranger stehen.

Diese Sorge soll nun durch eine Zusatzerkl­ärung ausgeräumt werden. Danach kann der Rechtsstaa­tsmechanis­mus erst in Kraft treten, wenn der Europäisch­e Gerichtsho­f ein Gutachten dazu erstellt hat und die EUKommissi­on dazu passende Leitlinien beschlosse­n hat. Insider fürchten, dass diese Prozedur nicht abgeschlos­sen sein dürfte, wenn Ungarn 2022 die nächste Parlaments­wahl durchführt. Der Fraktionsc­hef der Konservati­ven im Europaparl­ament, der CSU-Abgeordnet­e Manfred Weber, warnte am Donnerstag schon einmal vorsorglic­h gegen derartige Verschlepp­ungstaktik­en. „Die politische Erklärung des Rates ist rechtlich nicht bindend, der Rechtsstaa­tsmechanis­mus aber schon. Deshalb erwarten wir von der EU-Kommission, dass sie ihn dem Buchstaben des Gesetzes getreu ab dem 1. Januar 2021 anwendet.“

 ?? FOTO: OLIVIER HOSLET/AFP ?? Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán (rechts) und Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki blockierte­n das Finanzpake­t bislang – am Donnerstag gaben sie ihr Veto auf.
FOTO: OLIVIER HOSLET/AFP Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán (rechts) und Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki blockierte­n das Finanzpake­t bislang – am Donnerstag gaben sie ihr Veto auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany