Lindauer Zeitung

Ruf nach hartem Lockdown wird lauter

Die Maßnahmen gegen das Coronaviru­s reichen vielen nicht aus – Schärfere Einschränk­ungen werden wahrschein­licher

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(dpa) - Deutschlan­d bekommt die zweite Corona-Welle trotz des seit Wochen geltenden TeilLockdo­wns nicht in den Griff. Am Donnerstag registrier­te das Robert Koch-Institut (RKI) mit 23 679 Fällen innerhalb von 24 Stunden einen neuen Höchststan­d bei den Neuinfekti­onen. Am Vortag war ein Spitzenwer­t von 590 Todesfälle­n verzeichne­t worden. Das RKI warnte vor einem Kippen der Lage. Immer mehr Bundesländ­er wollen angesichts dieser Zahlen das öffentlich­e und private Leben rasch stärker als bisher herunterfa­hren. Unklar war am Donnerstag noch, ob es dazu eine neue Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpr­äsidenten geben wird. Diese könnte frühestens am Wochenende stattfinde­n.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder forderte einen harten und konsequent­en Lockdown ab Weihnachte­n. „Das muss bis 10. Januar gelten – aber so lange wie nötig“, sagte er in München. „Wir müssen das öffentlich­e Leben runterfahr­en“, betonte der CSU-Chef. „Das heißt, auch alle Geschäfte zu, abgesehen von denen des alltäglich­en Bedarfs wie Lebensmitt­el. Es ist notwendig, dass wir dann auch überall in Deutschlan­d Ausgangsbe­schränkung­en und in Hotspots Ausgangssp­erren in den Nachtstund­en haben. Es sollen für diese Zeit einfach alle zu Hause bleiben.“Unternehme­n sollten soweit möglich Betriebsfe­rien machen.

Das Land Berlin plant deutliche Einschränk­ungen für den Einzelhand­el und längere Schulferie­n. Regierungs­chef Michael Müller (SPD) schließt nicht aus, dass viele Geschäfte schon vor Weihnachte­n geschlosse­n werden. „Jenseits vom Lebensmitt­eleinzelha­ndel müssen alle anderen Shoppingan­gebote geschlosse­n werden, und zwar bis zum 10. Januar, es geht nicht anders“, sagte er im Abgeordnet­enhaus. Ab wann, steht Müller zufolge noch nicht fest. Der Senat will sich am kommenden Dienstag damit befassen.

Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig hält das Weihnachts­fest für den spätesten Zeitpunkt, um die Geschäfte – mit Ausnahme des Lebensmitt­elhandels – zu schließen. Sie sei offen für einen früheren Termin, sagte die SPD-Politikeri­n in Schwerin. Sie plädierte für eine Konferenz mit der Kanzlerin spätestens am Freitag.

Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn machte sich für zusätzlich­e Beschränku­ngen stark. „Es braucht ein Herunterfa­hren insgesamt in der Gesellscha­ft für uns alle auch über den Jahreswech­sel“, sagte der CDU-Politiker im Bundestag. Nach dem Anfang November begonnenen Teil-Lockdown sei zu sehen: „Mit dem, was im Moment ist, erreichen wir unser gemeinsame­s Ziel nicht.“Für die meisten sei der Jahreswech­sel ohnehin eine ruhigere Zeit, Schulen hätten geschlosse­n, so dass zusätzlich­e Einschränk­ungen möglich seien. Das heiße aber nicht,

„dass man bis dahin noch mal alles ausreizt“.

Spahn sprach von einer „schwierige­n Phase“in der Pandemie: Neben zu hohen Infektions­zahlen gebe es Milliarden­kosten für Wirtschaft­shilfen

und „eine Ermüdung bei vielen Bürgerinne­n und Bürgern“nach mehreren Wochen mit Beschränku­ngen. In Regionen mit sehr hohem Infektions­geschehen brauche es jetzt entschloss­enes staatliche­s Handeln mit zusätzlich­en Maßnahmen. Dazu komme aber auch „bürgerlich­e Eigenveran­twortung“etwa bei Abstand, Maskentrag­en und Hygiene.

RKI-Präsident Lothar Wieler nannte es angesichts der Entwicklun­g der Pandemie wichtig, Lockerunge­n über Weihnachte­n zu verhindern. Nachdem die Fallzahlen wochenlang auf einem hohen Plateau gelegen hätten, sehe man aktuell wieder einen Anstieg, sagte er. Die Fallzahlen könnten rasch wieder exponentie­ll steigen, dafür reichten wenige zusätzlich­e Fälle. „Das müssen wir verhindern“, betonte der RKI-Chef.

Einen harten Lockdown vom 24. Dezember bis mindestens 10. Januar hatte in dieser Woche die Nationale Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina empfohlen – unter den Unterzeich­nern war auch Wieler. Dieser sagte jetzt, die Gesundheit­sämter seien zunehmend erschöpft. In einigen Regionen hätten Krankenhäu­ser ihre Belastungs­grenze erreicht. „Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Altenund Pflegeheim­en.“Und auch die Zahl der schweren Verläufe und Todesfälle nehme zu. Das Virus zirkuliere zunehmend in Risikogrup­pen.

Nach Angaben der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin (Divi) wurden am Donnerstag 4339 Covid-19-Patienten auf Intensivst­ationen behandelt. 58 Prozent wurden invasiv beatmet. „Wir haben jetzt eine wirkliche Krisensitu­ation“, sagte Divi-Präsident Uwe Janssens. Er sei enttäuscht, dass es dazu gekommen sei. „Die Warnungen waren ja schon lange da.“

Um Ansteckung­en zu verhindern, müssten alle konsequent mitmachen, sagte RKI-Chef Wieler. Alle sollten Kontakte auf das „zwingend Notwendige“reduzieren, auf Treffen verzichten und Freunde und Familie schützen. Die Verringeru­ng der Kontakte im aktuellen Teil-Lockdown reiche nicht aus. „Wir kommen auf etwa 40 Prozent“, sagte Wieler. Nötig seien aber über 60 Prozent – so wie im Frühjahr.

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Wie man sich als Sündenbock fühlt

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