Wasserstoff made im Allgäu?
In Kempten soll bis 2023 eine Anlage zur Produktion des Zukunfts-Treibstoffs entstehen
- Wasserstoff gilt als der Treibstoff der Zukunft: Er produziert keine Schadstoffe, lässt sich klimaneutral herstellen, ist vielseitig verwendbar und in riesigen Mengen verfügbar. Im Allgäu aber spielt er keine Rolle. Bislang. Denn am Müllheizkraftwerk Kempten soll bis 2023 eine Anlage zur Gewinnung von bis zu 4500 Tonnen im Jahr entstehen – genug, um 40 000 Autos zu betanken oder 92 Zuggarnituren auf der Strecke BuchloeOberstdorf fahren zu lassen.
Hinter dem Vorhaben stehen der Abfallzweckverband ZAK, der Kemptener Stromversorger AÜW sowie die Allgäuer Kraftwerke Sonthofen. Und die drücken auf dem Weg zur Modellregion Allgäu aufs Tempo: Anfang 2021 soll das Genehmigungsverfahren starten. Städte und Landkreise müssten daher bald ein verbindliches Signal abgeben, ob sie das Projekt unterstützen. Nur dann mache die Investition von gut elf Millionen Euro (davon 90 Prozent über Zuschüsse) Sinn.
Dabei geht es den drei Unternehmern nicht um große Renditen. Auch der eingesetzte Strom werde bei der Wasserstoffproduktion nicht verpulvert, sondern sinnvoll eingesetzt. „Wir nutzen vor allem Überschussmengen, die wir sonst an externe Abnehmer verkaufen“, erläutern ZAKGeschäftsführer Karl-Heinz Lumer und AÜW-Vertreter Volker Wiegand. So soll knapp die Hälfte der 50 Millionen Kilowattstunden, die das Müllheizkraftwerk jährlich ins öffentliche Netz einspeist, zur Wasserstoff-Herstellung dienen. Das AÜW bringt Strom aus dem Wasserkraftwerk Schwangau-Horn ein. „Zug um Zug würden wir auch Energie aus regenerativer Erzeugung nutzen, die aus der EEG-Bindung herausfällt“, ergänzt Wiegand. Insgesamt sind zur Herstellung von 1000 Tonnen Wasserstoff etwa 60 Millionen Kilowattstunden Strom nötig.
„Wasserstoff kann nicht alles, aber bei der Mobilität gehört ihm die Zukunft“, sagt der ZAK-Geschäftsführer und erwartet nun Rückenwind aus der Politik: „Alle sind begeistert und aufgeschlossen für das Thema. Aber keiner macht den Anfang.“Die Technologie, bei der eine Brennstoffzelle Wasserstoff in Antriebsstrom für einen Elektromotor umwandelt, bedeute übrigens keine Konkurrenz zur konventionellen Elektromobilität, sondern eine Ergänzung – dort etwa, wo reinrassigen Stromern wegen großer Steigungen die Puste ausgehe.
Darum haben Lumer und Wiegand auch kommunale Busflotten als Hauptabnehmer des Treibstoffs im Visier. Zumal im Öffentlichen Nahverkehr laut neuer EU-Richtlinie ab 2025 der Anteil emissionsfreier oder -armer Antriebe bei Neuanschaffungen mindestens 45 Prozent betragen müsse. Die Produktionsanlage in Kempten könnte bei einer JahresFahrleistung von jeweils 30 000 Kilometern 44 Busse versorgen. „Damit das Ganze Sinn macht, müssten wir zum Start zumindest zehn bis 20 Busse betanken.“Schwierig sei hier die an verschiedene Busunternehmen vergebenen Konzessionen. „Da können die Landkreise nur bei einer Neuvergabe Vorgaben machen“, sagt Lumer. Im Oberallgäu stehe diese 2026 an, im Kreis Lindau 2023. Ansonsten müsse man das mit dem jeweiligen Unternehmen absprechen. 16 Konzessionspartner sind es im Oberallgäu, drei im Ostallgäu. Nur Kempten verfügt über einen eigenen Verkehrsbetrieb mit 30 Stadtbussen.
Die Umrüstung einer Busflotte ist nicht billig: Ein neuer WasserstoffBus kostet mindestens 500 000 Euro, ein Modell mit Dieselmotor ist für die Hälfte zu haben. „Der Mehrpreis wird aber zu 80 Prozent gefördert“, sagt Lumer. Der hohe WasserstoffPreis werde sich aufgrund der neuen CO2-Abgabe nivellieren. Derzeit gibt es den Treibstoff nur an Tankstellen in Ulm, Augsburg oder Innsbruck – für etwa 9,50 Euro pro Kilo. Die Menge reicht, um einen durchschnittlichen Pkw 100 Kilometer fahren zu lassen. Ein Lastwagen schluckt etwa 7,5, ein Bus acht Kilo für dieselbe Strecke.
Der Kemptener Busunternehmer Helmut Berchtold, zugleich Vize-Aufsichtsratschef des Allgäuer Busverbunds Mona, begrüßt die Initiative sehr. „Für unsere Region glaube ich viel mehr an die Zukunft der Wasserstoff- als die der Elektrobusse.“Leider habe der Stadtrat bis 2024 kein Geld für derlei Investitionen eingeplant. Berchtold sagt aber auch, dass einzelne Busse auf lange Sicht zuwenig seien. So erfordere die Wartung spezielles Wissen und sei erst ab zehn Fahrzeugen effektiv.