„Das halte ich für einen Riesenfehler“
SPD-Landrätin Röhrl im Super-Hotspot-Kreis Regen über die Lockerungen zu Weihnachten
Der niederbayerische Landkreis Regen gilt als Super-Hotspot in Deutschland. Seit Wochen gibt es nirgendwo in Deutschland höhere Infektionszahlen als im Kreis von Landrätin Rita Röhrl (SPD). Vor allem die anstehenden Weihnachtsfeiertage bereiten ihr Sorgen. Lockerungen hält Röhrl für einen Fehler. Im Gespräch mit Ralf Müller erklärt sie: „Woher soll denn das Virus wissen, dass es an Weihnachten untätig sein soll?“
Frau Landrätin, die Inzidenz liegt zum Zeitpunkt, in dem wir dieses Gespräch führen, für Ihren Landkreis bei 607 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche. Damit ist der Landkreis Regen Top-Corona-Hotspot in Deutschland. Haben Sie inzwischen nähere Erkenntnisse, wie es so weit kommen konnte?
Eigentlich nicht. Schwerpunkte sind Alten- und Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und die Krankenhäuser. Dazu kommt diffuses Geschehen, das quer durchgeht.
Man weiß ja nun schon lange, dass man bei Alten- und Pflegeheimen besonders aufpassen muss. War man bei Ihnen doch nicht sorgfältig genug?
In der ersten Welle waren wir bei diesen Einrichtungen überhaupt nicht betroffen. Dann trat ein Fall auf und es ging wie eine Walze über alle drüber. Wir sind im Moment dabei, mögliche Verbindungen aufzudröseln, wo Hygienepläne vielleicht nicht so genau eingehalten wurden. Nach Monaten dieses Zustands schleift sich ja alles ein bisserl ab. Wenn das Virus erst einmal in einer Einrichtung drin ist, ist es äußerst schwierig in den Griff zu bekommen. Es ist aber nicht erklärbar, warum es manche so schlimm betrifft. Die Größe der Einrichtung und die Kontakte nach außen scheinen eine Rolle zu spielen.
Wie gehen Sie jetzt mit dem Problem um? Machen Sie von der neuen Möglichkeit Gebrauch, infizierte Personen aus den Heimen zu verlegen?
Nein. Man muss wissen, dass in einer zweiten Testung diese Größenordnung nicht mehr aufgetreten ist. Unser Ziel war zunächst, die Mitarbeiter zweimal wöchentlich zu testen. Maximal ein Besucher durfte nach Testung für eine halbe Stunde pro Tag ins Haus. Inzwischen haben die Heime den Besucherverkehr ganz unterbunden. Wir müssen uns aber überlegen, was wir zu Weihnachten machen. Die Besuchsbeschränkung auf eine halbe Stunde nach Test mit FFP-2-Maske bleibt auf jeden Fall.
Gibt es bei Ihnen über die für Corona-Hotspots vorgesehenen Maßnahmen hinaus noch weitere Beschränkungen wie etwa Ladenschließungen?
Wir haben die Schulen schon geschlossen. Ab Freitag schließen wir die Kindertagesstätten. Geschlossen wurden die Behinderteneinrichtungen wie Werkstätten. Wir haben schon alles Mögliche an Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, ohne dass uns dies jemand vorgeschrieben hätte. Tatsächlich ist die Schließung nicht lebensnotwendiger Geschäfte der nächste Schritt.
Ab wann?
Es wäre zunächst nicht unklug, die Geschäfte zu verpflichten, nur einen Kunden pro 20 Quadratmeter einzulassen. Es ist auch möglich, dass am Montag die Schließung der nicht notwendigen Geschäfte kommt – mit den Ausnahmen Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Getränkemärkte und so weiter.
Sie haben sich Kritik eingefangen für Ihre Vermutung, dass der eine oder andere Kontakte mit Leuten, die sich als infiziert erweisen, nicht angibt, um Quarantäne zu vermeiden. Bleiben Sie dabei?
Das ist sicherlich ein Grund. Mir persönlich haben das einige erzählt. Manchmal passiert es aber auch ganz unabsichtlich. Könnten Sie schlagartig sagen, mit wem Sie in den letzten fünf Tagen Kontakt gehabt haben? Wenn die Kontaktperson auch noch völlig ohne Symptome ist, geht so etwas unter und kann wieder zur Verbreitung beitragen. Aber da sind wir alle bei Vermutungen.
Apropos Vermutungen: Spielt die geografische Lage Ihres Landkreises mit einer langen Grenze zur Tschechischen Republik eine Rolle bei dem besonders starken Infektionsgeschehen?
Dass jetzt der kleine Grenzverkehr eingeschränkt wird, halte ich für völlig richtig. Tschechien ist mit den Infektionszahlen nach wie vor ziemlich weit oben. Wenn es dort Weihnachtsmärkte gibt und die Gaststätten und Cafés geöffnet sind, sucht unsere Bevölkerung diesen Ausweg.
Wie nimmt es denn die Bevölkerung auf, dass jetzt ausgerechnet zu Weihnachten alles Mögliche dicht und verboten ist?
Wer freut sich schon über so was? Bisher war der größte Teil der Bevölkerung sehr vernünftig und jeder wird einsehen, dass wir bei diesen hohen Zahlen weitere Maßnahmen treffen müssen. Da kann ich nur auf das Verständnis der Bevölkerung hoffen. Niemandem macht es Spaß, solche Einschränkungen zu verkünden.
Zu Weihnachten können sich ja bis zu zehn Personen aus mehreren Haushalten treffen. Was halten Sie davon?
Das halte ich für einen Riesenfehler. Woher soll den das Virus wissen, dass es an Weihnachten untätig sein soll? Da wollen wir Kontakte aus verschiedensten Hausständen zulassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass damit neue Infektionsketten geschaffen werden, ist doch mehr als groß. Daher halte ich die Öffnung zu Weihnachten für völlig falsch.
Falls es in Bayern bei dieser Öffnung bleibt, könnten Sie das für Ihren Landkreis anders bestimmen?
Das werden wir uns tatsächlich überlegen. Unsere nächste Allgemeinverordnung wird zunächst bis zum 22. Dezember gelten. Wenn sich unsere Zahlen nicht wesentlich verändern, wäre es für mich eine Katastrophe, wenn wir nach Weihnachten schon wieder mit neuen Einschränkungen arbeiten müssten.
Rita Röhrl (SPD, Foto: Tobias Bals) ist seit dem 1. Dezember Landrätin des niederbayerischen Landkreises Regen. Dort kämpft sie derzeit gegen die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in ganz Deutschland. (sz)