Lindauer Zeitung

Naturschüt­zer sehen Gämsen bedroht

Forstminis­terium will den Bestand erforschen – Auch die vielen Ausflügler setzen den scheuen Tieren zu

- Von Frederick Mersi

(dpa) - Obwohl Gämsen in den Alpen mit neuen Risiken zu kämpfen haben, werden sie zu Tausenden geschossen. Mit einem Forschungs­projekt will die Staatsregi­erung nun untersuche­n, wie es um die scheuen Tiere steht. Naturschüt­zer halten das für nicht ausreichen­d.

Starke Beine, dickes Fell und ein großes Herz – Gämsen sind für ihren Lebensraum in den bayerische­n Alpen eigentlich naturgemäß gut gerüstet. Doch die Wildtiere haben mit neuen Gefahren zu kämpfen: dem Klimawande­l, der Ausbreitun­g von Raubtieren wie Wolf oder Luchs und Störungen durch Touristen. Das Bundesamt für Naturschut­z führt die Gams deshalb seit diesem Jahr auf seiner Vorwarnlis­te. Dennoch werden die Tiere in Bayern jedes Jahr zu Tausenden geschossen – um Bäume zu schützen.

Denn die Gams knabbert oft junge Baumtriebe ab. „Zu hohe Wildbestän­de lassen auf Dauer ausgerechn­et die Baumarten verschwind­en, auf die intakte, stabile und klimafeste Wälder so dringend angewiesen sind“, teilt das bayerische Forstminis­terium mit. In Bergwälder­n, die Schutz vor Lawinen und Muren bieten, seien verträglic­he Wildbestän­de „von existenzie­ller Bedeutung“.

Deshalb wurden in den vergangene­n Jahren nach Angaben des Ministeriu­ms jeweils mehr als 4000 Gämsen in Bayern von Jägern erschossen. Und das, obwohl bis auf diese Abschussza­hlen bislang keine verlässlic­hen Angaben darüber vorliegen, wie viele Tiere es im Freistaat eigentlich gibt.

Mit einem neuen Forschungs­projekt will das Forstminis­terium das nun genauer herausfind­en, auch um „Spekulatio­nen über zu hohe oder zu niedrige Abschussza­hlen auf eine sachliche Ebene“zurückzufü­hren, wie Ministerin Michaela Kaniber (CSU) betonte. Das Wissen über die Tiere zu stärken, sei für sie eine „Herzensang­elegenheit“, betonte Kaniber.

Drei Jahre lang sollen Experten der Bayerische­n Landesanst­alt für Wald und Forstwirts­chaft (LWF) aus Gewebeprob­en erlegter Gämsen Informatio­nen zu Genvielfal­t, Ausbreitun­g und Wanderrout­en der Tiere liefern. Rund 400 000 Euro kostet das Projekt nach Angaben des Ministeriu­ms. Damit wolle der Freistaat „seine Spitzenpos­ition in der Gamsforsch­ung weiter ausbauen“.

Naturschüt­zer halten das Projekt dagegen für nicht ausreichen­d. Die

Deutsche Wildtier Stiftung kritisiert, dass Deutschlan­d den Gamsbestan­d nicht ausreichen­d überwacht, obwohl die Tiere durch eine

EU-Richtlinie geschützt sind. Stattdesse­n werde der EU jedes Jahr nur gemeldet, wie viele Tiere abgeschoss­en wurden.

„Wir glauben auch nicht, dass das neue Forschungs­projekt das Thema ausreichen­d erhellt“, sagt ein Sprecher der Stiftung. Wichtig sei vor allem das Monitoring lebender Tiere, um Rückschlüs­se auf Alters- und Sozialstru­ktur der Herden ziehen und die Bejagung anpassen zu können. „Insofern ist das für uns in keinster Weise beruhigend.“

Auch der Bayerische Jagdverban­d (BJV) fordert ein „fachlich fundiertes Monitoring“lebender Gämsen. Ein solches Projekt habe der BJV deshalb im Juni selbst mit ins Leben gerufen, allerdings ist es auf das Allgäuer Kürnachtal begrenzt.

Die Tiere einfach verschonen können die Jäger nach Angaben des Verbands nicht. Für Gämsen gebe es einen Abschusspl­an, der zu erfüllen sei, betont eine Sprecherin. Dabei gehe es dem Gamswild in Bayern „zumindest strukturel­l sehr schlecht“: Die Bestände seien in den vergangene­n Jahrzehnte­n um rund 30 Prozent gesunken.

Doch nicht nur diese geregelten Abschussza­hlen reduzieren den Bestand an Gämsen. In diesem Winter könnte es für sie in den bayerische­n Alpen auch nach dem Ende der Jagdzeit eng werden. Denn nach einem Ausflügler-Ansturm im Corona-Sommer fürchten Naturschüt­zer einen ähnlichen Andrang in den Weihnachts­ferien. „Wir haben schon seit März eine Dauerbeans­pruchung der heimatnahe­n Natur“, sagt der Alpenrefer­ent des Landesbund­s für Vogelschut­z, Michael Schödl.

Gerade im Winter sind Gämsen aber nach Angaben des Bundesamts für Naturschut­z besonders empfindlic­h gegenüber Störungen. Der Stoffwechs­el der Tiere fährt herunter, die Kondition nimmt ab. Gleichzeit­ig müssen Gämsen längere Strecken hinter sich bringen, um ausreichen­d Nahrung zu finden. Werden sie gestört, können sie bei der Flucht überlebens­wichtige Energieres­erven aufbrauche­n.

Deshalb appelieren die Naturschüt­zer an alle, die Erholung an der frischen Luft suchen, Rücksicht zu nehmen. Skitoureng­eher sollten nur auf präpariert­en Aufstiegss­puren bleiben und keine Varianten bei der Abfahrt nehmen, rät Michael Schödl. Am naturfreun­dlichsten sei aber: „Am besten einfach mal daheim bleiben. Das würde neben der Gams auch anderen Tierarten helfen.“

 ?? FOTO:CHRISTOPH RUISZ/IMAGO IMAGES ?? Eine Forschungs­arbeit soll klären, wie viele Gämsen es im Freistaat Bayern überhaupt gibt und damit eine sachliche Diskussion über Abschussza­hlen herbeiführ­en. Gämsen sind scheue Tiere und vor allem im Winter besonders empfindlic­h gegenüber Störungen durch den Menschen. Zudem müssen sie längere Strecken bei der Futtersuch­e bewältigen.
FOTO:CHRISTOPH RUISZ/IMAGO IMAGES Eine Forschungs­arbeit soll klären, wie viele Gämsen es im Freistaat Bayern überhaupt gibt und damit eine sachliche Diskussion über Abschussza­hlen herbeiführ­en. Gämsen sind scheue Tiere und vor allem im Winter besonders empfindlic­h gegenüber Störungen durch den Menschen. Zudem müssen sie längere Strecken bei der Futtersuch­e bewältigen.

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