Naturschützer sehen Gämsen bedroht
Forstministerium will den Bestand erforschen – Auch die vielen Ausflügler setzen den scheuen Tieren zu
(dpa) - Obwohl Gämsen in den Alpen mit neuen Risiken zu kämpfen haben, werden sie zu Tausenden geschossen. Mit einem Forschungsprojekt will die Staatsregierung nun untersuchen, wie es um die scheuen Tiere steht. Naturschützer halten das für nicht ausreichend.
Starke Beine, dickes Fell und ein großes Herz – Gämsen sind für ihren Lebensraum in den bayerischen Alpen eigentlich naturgemäß gut gerüstet. Doch die Wildtiere haben mit neuen Gefahren zu kämpfen: dem Klimawandel, der Ausbreitung von Raubtieren wie Wolf oder Luchs und Störungen durch Touristen. Das Bundesamt für Naturschutz führt die Gams deshalb seit diesem Jahr auf seiner Vorwarnliste. Dennoch werden die Tiere in Bayern jedes Jahr zu Tausenden geschossen – um Bäume zu schützen.
Denn die Gams knabbert oft junge Baumtriebe ab. „Zu hohe Wildbestände lassen auf Dauer ausgerechnet die Baumarten verschwinden, auf die intakte, stabile und klimafeste Wälder so dringend angewiesen sind“, teilt das bayerische Forstministerium mit. In Bergwäldern, die Schutz vor Lawinen und Muren bieten, seien verträgliche Wildbestände „von existenzieller Bedeutung“.
Deshalb wurden in den vergangenen Jahren nach Angaben des Ministeriums jeweils mehr als 4000 Gämsen in Bayern von Jägern erschossen. Und das, obwohl bis auf diese Abschusszahlen bislang keine verlässlichen Angaben darüber vorliegen, wie viele Tiere es im Freistaat eigentlich gibt.
Mit einem neuen Forschungsprojekt will das Forstministerium das nun genauer herausfinden, auch um „Spekulationen über zu hohe oder zu niedrige Abschusszahlen auf eine sachliche Ebene“zurückzuführen, wie Ministerin Michaela Kaniber (CSU) betonte. Das Wissen über die Tiere zu stärken, sei für sie eine „Herzensangelegenheit“, betonte Kaniber.
Drei Jahre lang sollen Experten der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) aus Gewebeproben erlegter Gämsen Informationen zu Genvielfalt, Ausbreitung und Wanderrouten der Tiere liefern. Rund 400 000 Euro kostet das Projekt nach Angaben des Ministeriums. Damit wolle der Freistaat „seine Spitzenposition in der Gamsforschung weiter ausbauen“.
Naturschützer halten das Projekt dagegen für nicht ausreichend. Die
Deutsche Wildtier Stiftung kritisiert, dass Deutschland den Gamsbestand nicht ausreichend überwacht, obwohl die Tiere durch eine
EU-Richtlinie geschützt sind. Stattdessen werde der EU jedes Jahr nur gemeldet, wie viele Tiere abgeschossen wurden.
„Wir glauben auch nicht, dass das neue Forschungsprojekt das Thema ausreichend erhellt“, sagt ein Sprecher der Stiftung. Wichtig sei vor allem das Monitoring lebender Tiere, um Rückschlüsse auf Alters- und Sozialstruktur der Herden ziehen und die Bejagung anpassen zu können. „Insofern ist das für uns in keinster Weise beruhigend.“
Auch der Bayerische Jagdverband (BJV) fordert ein „fachlich fundiertes Monitoring“lebender Gämsen. Ein solches Projekt habe der BJV deshalb im Juni selbst mit ins Leben gerufen, allerdings ist es auf das Allgäuer Kürnachtal begrenzt.
Die Tiere einfach verschonen können die Jäger nach Angaben des Verbands nicht. Für Gämsen gebe es einen Abschussplan, der zu erfüllen sei, betont eine Sprecherin. Dabei gehe es dem Gamswild in Bayern „zumindest strukturell sehr schlecht“: Die Bestände seien in den vergangenen Jahrzehnten um rund 30 Prozent gesunken.
Doch nicht nur diese geregelten Abschusszahlen reduzieren den Bestand an Gämsen. In diesem Winter könnte es für sie in den bayerischen Alpen auch nach dem Ende der Jagdzeit eng werden. Denn nach einem Ausflügler-Ansturm im Corona-Sommer fürchten Naturschützer einen ähnlichen Andrang in den Weihnachtsferien. „Wir haben schon seit März eine Dauerbeanspruchung der heimatnahen Natur“, sagt der Alpenreferent des Landesbunds für Vogelschutz, Michael Schödl.
Gerade im Winter sind Gämsen aber nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz besonders empfindlich gegenüber Störungen. Der Stoffwechsel der Tiere fährt herunter, die Kondition nimmt ab. Gleichzeitig müssen Gämsen längere Strecken hinter sich bringen, um ausreichend Nahrung zu finden. Werden sie gestört, können sie bei der Flucht überlebenswichtige Energiereserven aufbrauchen.
Deshalb appelieren die Naturschützer an alle, die Erholung an der frischen Luft suchen, Rücksicht zu nehmen. Skitourengeher sollten nur auf präparierten Aufstiegsspuren bleiben und keine Varianten bei der Abfahrt nehmen, rät Michael Schödl. Am naturfreundlichsten sei aber: „Am besten einfach mal daheim bleiben. Das würde neben der Gams auch anderen Tierarten helfen.“