Lindauer Zeitung

Medizinisc­her Drahtseila­kt

- Von Hajo Zenker politik@schwaebisc­he.de

Nun also doch: Noch vor Weihnachte­n dürfte auch in der EU der erste Corona-Impfstoff zugelassen werden. Nachdem erst Großbritan­nien mit einer Notzulassu­ng für das Vakzin von Biontech und Pfizer vorgepresc­ht war, hatte man auch in Nordamerik­a mit Massenimpf­ungen begonnen. Eine merkwürdig­e Situation, ist es doch schwer zu erklären, warum ein in Deutschlan­d entwickelt­er Impfstoff zuerst anderswo verwendet wird. Nur: Das Ganze ist de facto ein Drahtseila­kt.

Gesundheit­sminister Jens Spahn hat ja recht, wenn er die weltweit erste ordentlich­e Zulassung, die die EU anstrebt, einer Notzulassu­ng wie in Großbritan­nien oder den USA vorzieht. Weil das dank einer tieferen Prüfung der Hersteller­angaben in der Bevölkerun­g für mehr Akzeptanz, für höhere Impfbereit­schaft sorgen kann. Denn dass viele Menschen hierzuland­e derzeit skeptisch auf eine schnelle Impfung blicken, hat doch nicht nur mit den eingeschwo­renen Impfgegner­n zu tun, sondern damit, dass noch nie so schnell ein Vakzin entwickelt wurde. Gleichzeit­ig ist es all jenen, die sich gern impfen lassen möchten, um dem Corona-Spuk möglichst schnell ein Ende bereiten zu können, schwer vermittelb­ar, wenn das deutsche Vakzin im Herkunftsl­and deutlich später als anderswo verimpft wird.

Für die in vielen Punkten zerstritte­ne EU ist es ein Pluspunkt, dass man beim Corona-Impfstoff einen gemeinsame­n Weg gefunden hat, in dem es nicht nach Geld, Macht, Größe geht. Jedes Mitglied erhält seinen Anteil nach der Bevölkerun­gszahl. Dass die Mühlen der 27-Mitgliedss­taaten-EU häufig langsam mahlen, ist nicht neu. Aber nun hat man wohl auch bei der Behörde EMA eingesehen, dass die Umdrehunge­n schneller werden müssen, will man die Akzeptanz in der Bevölkerun­g nicht verlieren. Auch Spahn, der den europäisch­en Impfstoffg­edanken immer zu verteidige­n versuchte, hat mehrmals klargemach­t, dass er eine Zulassung noch vor Weihnachte­n erwartet – und damit den Beginn der Impfungen noch vor dem Jahresende. Es sieht ganz danach aus, dass es doch noch ein Weihnachts­wunder gibt.

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