„Keine Frage, dass wir in den Gebets-Lockdown gehen“
Stichwort Kommunikation: Hatten die Schwestern die Möglichkeit, miteinander zu telefonieren?
Eine Schwester hat normalerweise kein Handy und auch kein Telefon auf dem Zimmer. Wir haben in unserem Alten- und Pflegeheim eine Sprechanlage. Über diese Anlage konnte man Durchsagen machen und jedes Zimmer erreichen. Dadurch konnten wir auch Gebetszeilen vorsprechen, sodass alle in diesen Zimmern verbunden waren. In unserem Mutterhaus und in den sonstigen Konventen haben wir das nicht. Das hat natürlich schon Isolierung bedeutet. Bei mir und bei ein paar Schwestern, die in Verantwortung stehen, liefen die Fäden zusammen. Wir mussten die aktuelle Situation täglich so zu Papier bringen, dass die Schwestern in den einzelnen Zimmern wussten, was am Tag gelaufen ist und was der nächste bringen wird. Das hat für mich zu langen Tagen geführt, auf der anderen Seite aber auch zu einer täglichen Reflexion: Was war denn heute und was ist so wichtig, dass es alle Schwestern wissen müssen? Diese schriftliche Information hat jede Schwester vor ihr Zimmer gelegt bekommen, damit alle informiert sind.
Welche Herausforderungen hat der Umgang mit der Krise außerdem mit sich gebracht?
Wir haben mehrmalige Umzüge hinter uns. Wir haben Stockwerke gebildet, auf denen ausschließlich positiv getestete Schwestern sind. Da ist der große Vorteil, dass sie sich nicht mehr gegenseitig anstecken können und sich gegenseitig besuchen dürfen. Die negativ getesteten müssen allerdings mit MordsSchutzausrüstung rein. Die negativ getesteten Schwestern mussten regelmäßig nachgetestet werden. Die Tests sind leider nicht so, dass man sagen kann „du hast es“oder „du hast es nicht“. Sie schlagen nur in einer bestimmten Phase der Krankheit an. Deshalb war es auch ganz wichtig, oft zu testen und gleichzeitig immer gewappnet zu sein, dass ein anderes Ergebnis als noch vor ein paar Tagen herauskommen kann. Das war ziemlich anstrengend.
Es gab drei Todesfälle in Ihrem Kloster seit dem Corona-Ausbruch. Auf das Virus waren diese nicht zurückzuführen, richtig?
Das ist korrekt. Wir haben einen sehr nahen Umgang mit Leben und Tod. Eine der Schwestern hat sogar zwei Wochen vor dem Ausbruch zu mir gesagt: „Schwester Maria Hanna, kannst du mal beten, dass ich endlich sterben darf?“Sie war 94, und ich hab zu ihr gesagt, dass ich sie schon noch gern bei mir hätte. Sie wollte aber, dass ich dafür bete, dass sie eine gute Sterbestunde hat. Zwei Wochen später ist sie gestorben. Sie ist mit Corona gestorben, aber nicht an Corona.
Hätten Sie zu Anfang der Pandemie gedacht, dass Sie davon so unmittelbar betroffen sein würden?
Wenn etwas weit weg ist, hat man das Gefühl, es geht einen nichts an. Das war auch bei Ebola so. Da ich sehr nahe Verbindungen nach China habe, bekam ich aber bei Corona sehr viel von der Anfangsphase dort mit und war schon sehr beunruhigt. Allerdings hatte ich gehofft, dass das einfach alles übertrieben ist. Auch wenn die meisten Schwestern bei uns wenig Symptome haben, ist es doch so, dass diese Krankheit sehr schwerwiegende Folgen haben kann, wenn sie einen trifft und man überlebt. Es geht ja nicht nur auf die Lunge, es geht auch aufs Gehirn, es geht ins Nervensystem ... es ist eine Krankheit, die wünscht man niemandem. Und selbst bei den leichten Verläufen, die wir hatten, da fragt man sich schon, sitzt das jetzt wie Herpes in einem drin und bricht wieder mal aus oder ist es wirklich weg.
Erfahren Sie Zuspruch aus der Bevölkerung? Wie drückt sich die Solidarität aus?
Die Solidarität drückt sich in ganz vielen Mails aus, in ganz viel Post, in ganz vielen Anrufen und in ganz vielen Zeichen. Wir haben beispielsweise von der St.-ElisabethStiftung schachtelweise Schokolade bekommen. Ganz toll war: Ich hatte eine Situation, in der ich ganz schnell Vollschutzanzüge gebraucht habe. Ich dachte, ich bräuchte sie zur nächsten Frühschicht. Es war schon relativ spät am Abend, ich hatte viele Telefonate hinter mir. In meiner Verzweiflung hab ich die Notfallnummer 19222 angerufen. Der nette Mensch am Telefon hat mich mit dem Leiter des Deutschen Roten Kreuzes verbunden, der mir dann 20 Schutzanzüge geschenkt hat. Es war einfach ganz viel Hilfsbereitschaft in dieser Notsituation da und das ist immer noch so. Bei uns kommen Blumen an, die Schwestern bekommen Bilder aus Kindergärten geschickt, Briefe aus Altenheimen, unsere Behindertenheime der St.Elisabeth-Stiftung schreiben uns, es ist wirklich überwältigend. Die Untermarchtaler Schwestern haben uns ein Sauerstoffgerät gebracht (geschenkt), das wir anderweitig nirgends herbekommen haben. Die Schwestern von Kellenried haben geschrieben, dass sie ganz ganz fest für uns beten. Es gibt eine Welle der Solidarität, die sehr guttut.
Die Solidarität ist ein positiver Aspekt der Pandemie. Glauben Sie, dass sich gesellschaftlich etwas zum Guten verändern wird?
Ich weiß nicht, ob es die gesamte
Gesellschaft kapieren wird. Wir leben in einer sehr egozentrischen Gesellschaft. Solidarität und Miteinander sind Dinge, die wir neu einüben müssen. Wir, die wir so direkt betroffen waren, mussten unsere Bedürftigkeit zeigen und haben Hilfe erfahren. Wir werden das nicht vergessen und die Menschen, die uns geholfen haben, sicher auch nicht. Das ist eine Keimzelle, die etwas verändern kann. Aber nur allein aus Schlagzeilen und „Ich hab gehört, dass“– daraus ergibt sich keine Veränderung. Zu spüren, wie es guttut, einander zu helfen, das ist entscheidend.
Sie bekommen Unterstützung von der Bundeswehr. Scheinbar ein großer Gegensatz: Auf der einen Seite Frauen, die ihr Leben Gott widmen, auf der anderen Seite Soldaten, die ausgebildet sind, im Ernstfall zu töten. Ist dieser Kontrast ein Thema?
Natürlich ist es ungewöhnlich, dass Soldaten und Schwestern miteinander eine Krise stemmen. Als der Vortrupp kam, waren schon einige wichtige Schwestern und Mitarbeiter ausgefallen und nach einem positiven Test in Quarantäne. Niemand wusste so richtig, wie wir unsere Abläufe weiter organisieren. Dann kamen die ersten vier Soldaten und sind mit mir über den Klosterberg gelaufen. Und überall gingen die Fenster von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch von den Schwesternzimmern auf und es wurde geklatscht. Ein Soldat, der da mitging, sagte: „Das hab ich mein Lebtag noch nicht erlebt.“Da hab ich gesagt: „Ich ehrlich gesagt auch nicht.“Die Soldaten sind ja auch im Kloster untergebracht. Bei uns war ein bisschen Chaos, weil alles durcheinander war. Als die Soldaten die erste Nacht hier hinter sich hatten und die Zahl der positiven Tests stieg, fragte ein höherrangiger Soldat, ob die Männer denn hier sicher seien. Dann sagte der mir zugeordnete Soldat etwas, das mir Gänsehaut machte: „Wir Soldaten sind gerufen worden, um in der Not zu helfen. Hier ist Not. Wir bleiben bei den Schwestern.“Mit diesem Soldaten hatte ich dann viel zu tun. Was mich sehr beeindruckt hat: Er sagte, dass sich die Soldaten alle freiwillig für diese Corona-Einsätze gemeldet haben. Und er sagte: „Wir stehen unseren Mann an der Seite der Menschen in Not.“Wir Schwestern haben das Leitmotiv „Gott in der leidenden Menschheit dienen“. Diesbezüglich sind wir uns sehr nahe. Die Soldaten hat natürlich auch unsere Form beeindruckt. Es ging uns nicht darum, irgendjemanden zu missionieren. Wir haben miteinander zugepackt, und das verbindet mehr als irgendeine missionarische Predigt.
Und zum Beruf des Soldaten gehört ja auch nicht nur Dienst an der Waffe.
Ich bin vom Mut und der Entschiedenheit dieser Männer stark beeindruckt. Und von wegen Dienst an der Waffe. Die haben hier Brote für unsere Schwestern geschmiert. Sie haben für uns gespült, sind rumgerannt und haben Sauerstoffkompressoren umeinandergetragen. Sie haben Wäsche weggebracht, desinfiziert, standen in der Küche und haben geguckt, dass das Essen warm ist ... die haben den Dienst an einer anderen Waffe sehr ernst genommen und waren an unserer Seite.
Wie soll es die nächsten Wochen weitergehen?
Wir haben in Zusammenarbeit mit einer Spezialfirma ein Hygienekonzept entwickelt. Dabei gibt es regelmäßige Tests für unsere Mitarbeiter, damit sichergestellt ist, dass sofort Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden können, wenn jemand positiv getestet werden sollte. Dann gibt es auch Testreihen für unsere Schwestern, damit wir da auch klarkriegen, ob jemand positiv wird. So haben wir den Überblick über das pandemische Geschehen für den gesamten Klosterberg. Mitarbeiter werden zweimal die Woche und Schwestern dreimal die Woche getestet, damit wir auch beweisen können, dass das Infektionsgeschehen abflaut. Das ist unser Eindruck. Und jede, die aus der Quarantäne kommt, soll die Sicherheit haben, dass sie wirklich negativ ist. Wie es dann weitergeht – ich habe gelernt, dass man in so einer Situation von Stunde zu Stunde denken muss. Dass wir jetzt für eine Woche denken können, ist schon eine riesige Perspektive, die ich neu einnehmen kann.
Ändert diese Situation etwas an Ihrem Glauben? Hadert man da mit Gott oder ist es leicht, das anzunehmen?
Ich lass’ Gott da nicht raus. Da muss er sich auch fragen lassen, was er sich dabei gedacht hat (lacht). Es ist es schon ein Ringen mit der Situation. Aber ich merke auch, dass ganz viel trägt. Witzigerweise hab ich die Corona-Erkrankung selbst gehabt, ohne es zu merken. Und zwar im Vollstress. Ich bin am 27. November negativ getestet worden. Da ist man sich dann sicher, dass man nix hat. Am 4. Dezember war mein nächster Test und da war ich plötzlich positiv, aber so schwach, dass klar war, ich hab’ es schon überstanden. Am 6. Dezember war ich wieder negativ. Man hat mir erklärt, wie da der Verlauf ist: Ich habe unmittelbar nach meinem negativen Test die Erkrankung bekommen, aber vor lauter Stress nicht bemerkt. Weil ich dauernd mit Maske herumgelaufen bin, hab’ ich hoffentlich auch niemanden angesteckt. Als man es gemerkt hat, war es schon rum. Auf diese Art habe ich quasi eine göttlich Schutzimpfung bekommen. Ich bin nun für die nächsten drei bis sechs Wochen immun. Es gibt Kuriositäten, bei denen ich merke: Da steckt auch Gott dahinter. Klar, ich hab meine Quarantäne zu machen, aber ich darf zu den Positiven. Sonst bin ich in meinem Zimmer und in meinem Amtszimmer und schalte und walte. Ich bin auch getestet und nicht mehr ansteckend und geschützt. Das sind fast Gottesbeweise. Und ich spüre, wie stark ich vom Gebet meiner Schwestern gehalten bin. Da betet nicht nur eine jeden Tag Rosenkranz für mich. Gebet und Gottesbeziehung schützen nicht vor Krankheit und Pandemien. Aber beides hilft, das durchzustehen.
Sr. Maria Hanna Löhlein (54, Foto: pr) ist seit November 2016 Generaloberin der Franziskanerinnen von Reute. Für das Ordensleben entschied sich die Frau, die ursprünglich aus dem Hohenlohekreis kommt, mit Anfang 20. Das war im November 1989 – „unmittelbar nach dem Mauerfall“, wie sie sagt. (dre)