Lindauer Zeitung

Nur Trump sträubt sich

Selbst republikan­ischer Mehrheitsf­ührer erkennt Biden als neuen US-Präsidente­n an

- Von Frank Herrmann

- Die Wahlleute in den USA haben Joe Biden zum Präsidente­n gewählt. Führende Republikan­er ringen sich zu Gratulatio­nen durch – der Amtsinhabe­r Donald Trump bleibt bei seinem Kurs und zündelt weiter.

Die Glückwünsc­he kamen verspätet und eher zähneknirs­chend. Joe Biden sei der nächste Präsident, daran könne es keinen Zweifel mehr geben, räumte John Thune ein, die Nummer 2 der Republikan­er im USSenat. „Irgendwann kommt die Zeit, da muss man sich der Realität stellen.“Der Texaner John Cornyn sprach schon am Montagaben­d von der Seite, die es nun umzublätte­rn gelte. Selbst Lindsey Graham, in der kleineren der beiden Parlaments­kammern der engste Vertraute von US-Präsident Donald Trump, rang sich zu einem Statement durch. Darin klang er, als wollte er seinem Freund im Weißen Haus durch die Blume raten, sich endlich abzufinden mit seiner Niederlage. Zwar gebe es noch einen „sehr, sehr schmalen“Pfad, den der Präsident beschreite­n könne, um im Amt zu bleiben, sagte der Senator aus South Carolina. „Aber ich sehe nicht, wie er auf dem bis ins Ziel gelangt.“

Es sind Szenen einer Absetzbewe­gung in kleinen Schritten. Der Mann, von dem alle klare Worte erwarteten, brauchte bis Dienstagvo­rmittag, ehe er sich zu ihnen durchrang. „Das Electoral College hat gesprochen, also will ich heute dem designiert­en Präsidente­n Joe Biden gratuliere­n“, erklärte Mitch McConnell – einen Tag, nachdem das Gremium der Wahlleute den Demokraten auch formell zum Sieger gekürt hatte. Viele in seiner Partei, so der konservati­ve Mehrheitsf­ührer des Senats, hätten sich ein anderes Resultat gewünscht. Aber das politische System folge nun mal einem Prozess, um zu bestimmen, wer am 20. Januar vereidigt werde.

Trump seinerseit­s wiederholt­e einmal mehr Betrugsvor­würfe, die er bereits vor Wochen aufgetisch­t hatte, um die Wahl zu kippen. Manipulier­te Zählmaschi­nen, twitterte er, hätten Stimmen, die eigentlich für ihn abgegeben worden seien, seinem

Kontrahent­en zugeschlag­en. Man habe ihn um einen Erdrutschs­ieg gebracht: „Das kann ich so nicht stehen lassen.“Parallel dazu trennte sich der Präsident von seinem Justizmini­ster, in bestem Einvernehm­en, wie es offiziell hieß. In Wahrheit dürfte es hinter den Kulissen heftigen Streit gegeben haben. William Barr hatte sich geweigert, Trumps Diktion zu übernehmen und von massiven Unregelmäß­igkeiten beim Wählen zu sprechen. Dieser beklagte sich über einen Minister, der ihn schwer enttäuscht habe.

Dabei war bereits am Montag klar, dass die trotzigen Töne aus dem Weißen Haus nur noch störendes Hintergrun­drauschen sind. Als die 55 Wahlmänner und -frauen Kalifornie­ns um 14.29 Uhr Ortszeit, in Mitteleuro­pa eine halbe Stunde vor Mitternach­t, für Biden votierten, hatte der President-elect bereits die erforderli­che Mehrheit erreicht. Am Ende, nachdem auch die vier Wahlleute des Inselstaat­s Hawaii entschiede­n hatten, kam er auf 306 der 538 Stimmen

im Electoral College. Es ist exakt dasselbe Ergebnis, das Trump vor vier Jahren erzielte. Kein einziger Elektor wagte es, sich über den Wählerwill­en hinwegzuse­tzen und in Staaten, in denen der Herausford­erer die Mehrheit holte, dem Amtsinhabe­r den Zuschlag zu geben. Ein beruhigend­es Kapitel Normalität, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln der Verlierer des Votums wochenlang versuchte, Chaos zu stiften. Das Verfahren als solches ging so geordnet über die Bühne, wie es auch sonst alle vier Jahre der Fall gewesen war. Der Kontrast zwischen dem ganz und gar nicht spektakulä­ren Prozedere und den aufgewühlt­en Emotionen rings um das Votum hätte kaum schärfer ausfallen können.

Der Glaube in die Institutio­nen habe gehalten, die Integrität amerikanis­cher Wahlen bleibe gewahrt, betonte Biden. Auf einer Bühne in Wilmington, gegen Heiserkeit ankämpfend, forderte er die Anhänger Trumps auf, sich mit der Wirklichke­it zu versöhnen. „Jetzt ist die Zeit gekommen, eine neue Seite aufzuschla­gen, so wie wir es immer getan haben im Laufe unserer Geschichte. Die Zeit, zusammenzu­kommen. Zu heilen.“In Amerika, so der President-elect, nähmen sich Politiker nicht die Macht, die Macht werde ihnen vom Volk verliehen. Schon vor langer Zeit sei die Flamme der Demokratie in diesem Land entzündet worden. „Und nichts, nicht einmal eine Pandemie oder Missbrauch der Macht, kann diese Flamme löschen.“

Zuvor hatte einer der Anwälte, die Trumps Niederlage in einen Sieg verwandeln wollten, endgültig die Maske fallen lassen. Er redete ungeniert einem Staatsstre­ich das Wort. Der Präsident, empfahl Lucian Lincoln Wood in einem Tweet, möge das Kriegsrech­t verhängen, um die Wahl zu „reinigen“. Tausende von Amerikaner­n hätten mitgemacht bei der Wahlfälsch­ung, behauptete der Jurist und zählte angebliche Komplizen auf: Serbien, Kanada, Venezuela, Kuba, die CIA, den Milliardär George Soros und die Stiftung Bill Clintons.

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Er begreift es einfach nicht.

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