Wenn der Postmann ständig klingelt
Verbraucher werden durch Geschäftsschließungen zu Onlineshoppern umerzogen – Die Lieferdienste kommen bei den Bestellungen kaum hinterher
Von Finn Mayer-Kuckuk
- Die Lieferdienste stellen in diesen Tagen täglich Millionen von Paketen zu – und erwarten für die kommenden Tage einen weiteren Anstieg des Volumens. Denn wenn die Einzelhändler am Mittwoch schließen, werden die Menschen ihre Weihnachtsgeschenke vor allem im Netz bestellen. „Die Rekordmengen zu Weihnachten und die noch weiter steigenden Sendungsmengen durch die Pandemie bringen unser Netzwerk an die Grenzen“, sagt Marco Schlüter, der Leiter des operativen Geschäfts beim Paketzusteller Hermes.
Aber man habe sich bei Hermes in den vergangenen Monaten auf die Lage eingestellt. „Uns spielt bei den neuerlichen Verschärfungen der CoronaMaßnahmen in die Karten, dass wir uns bereits auf die Pandemie-Situation vorbereitet haben.“Dem Bundesverband Paket und Expresslogistik zufolge hat die gesamte Branche allein für dieses Weihnachtsgeschäft 30 000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.
Corona wirkt in diesem Jahr verstärkend auf bestehende Trends im Einzelhandel. Die Verlagerung der Einkäufe ins Netz hat sich durch die Pandemie noch einmal deutlich beschleunigt. Der Anteil des Onlineshoppings am Weihnachtsgeschäft lag im vergangenen Jahr noch bei 14 Prozent, in diesem Jahr werden es über 20 Prozent sein, schätzt der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland. Viele Verbraucher sind in diesem Jahr sogar erstmals zum Shopping ins Netz gegangen statt in die Fußgängerzone. „Jeder zehnte Deutsche entdeckte 2020 diese Form des Einkaufs völlig neu für sich“, sagt eine Studie des Marktforschungsinstituts Heute und Morgen im Auftrag von Hermes.
In den vergangenen Jahren ist das Onlinegeschäft ohnehin jedes Jahr um rund elf Prozent gewachsen – ein guter Teil auf Kosten des stationären Einzelhandels. Dazu kam in diesem Jahr Corona. Es war nicht nur die neue Menschenscheu, die die Kunden ins Netz getrieben hat. Während die Verbraucher nicht mehr ins Restaurant durften, bestellten sie eben umso eifriger Waren im Netz. Dazu kommt noch einmal besonders erhöhter Bedarf nach Notebooks und Monitoren, weil viele Arbeitnehmer ihr Homeoffice aufmotzen möchten.
Der allgemeinde Trend zum Onlineshopping ist den Onlinehändlern und Lieferdiensten natürlich grundsätzlich hochwillkommen – doch die Nachfrage drängt sich immer extremer auf wenige Tage im Jahr zusammen. „Wenn ich mir aus LogistikSicht etwas wünschen dürfte, würde ich mich freuen, wenn die Konsumenten und Konsumentinnen ausgeglichener im Internet bestellen würden“, sagt Hermes-Manager Schlüter. Immerhin haben die Rabatt-Tage wie „Black Friday“und „Cyber Monday“im November das Weihnachtsgeschäft etwas entlastet. „Gerade diese besonderen Verkaufsschwerpunkte haben dafür gesorgt, dass viele ihre Weihnachtseinkäufe schon im Vorfeld erledigt haben“, sagt Martin Groß-Albenhausen, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des E-Commerce-Verbands.
Das hat zugleich dazu geführt, dass die Lager einiger Online-Anbieter schon vergleichsweise leer sind. Die Lieferungen aus Asien sind längst abgeschlossen; Nachschub kommt erst im Januar. Das betrifft vor allem Computer, Spielkonsolen und andere Heimelektronik. „Da viele Kunden ihr Homeoffice ausstatten möchten und gleichzeitig die Nachfrage auch international bei Behörden und Firmen gestiegen ist, sind erste Modelle nicht mehr lieferbar“, sagt Oliver Hellmold, Chef des großen Computer-Versenders Notebooksbilliger.de.
Die plötzliche Verlagerung von offline nach online ab diesem Mittwoch führt nun auch dazu, dass die Waren zum Teil am falschen Ort liegen: im Innenstadt-Geschäft statt draußen im Versandzentrum einer Onlineplattform. Anbieter, die sowohl physische Filialen als auch eine starke Digitalsparte haben, mussten diese Trennung überwinden, um auf die Lage reagieren zu können. „Unsere Mitglieder haben im ersten Shutdown in ihren Filialen Pakete gepackt und konnten so zum einen ihre Mitarbeiter dort beschäftigen“, sagt Groß-Albenhausen.
Im Vorteil sind nun also vor allem Läden, die sich rechtzeitig ein Onlinestandbein aufgebaut haben. „Stationäre Händler setzen zunehmend auf Onlineshops“, beobachtet der Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels (BVS). Der Online-Anteil am Gesamtmarkt mit Spielwaren sei sprunghaft gestiegen. Das bedeutet aber auch, dass viele altmodischere Geschäfte in den Fußgängerzonen in der Existenz bedroht sind – das Onlinegeschäft bekommen schließlich vor allem Plattformen mit bekanntem Namen, massivem IT-Einsatz und Hauptsitz in den USA ab.
Doch zumindest die größeren deutschen Onlineshops zeigen sich durchaus wettbewerbsfähig. „Wir sind wieder ein Spieler, den es lohnt, ernst zu nehmen“, sagt Bernhard Düttmann, der Chef der Ceconomy AG, zu der die Elektroketten Mediamarkt und Saturn gehören. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten waren die Ketten hinter die reinen Online-Anbieter wie Amazon und Notebooksbilliger zurückgefallen. „Wir waren von der Spur abgekommen“, gibt Düttmann zu. Seitdem hat das Unternehmen jedoch kräftig in den Aufbau guter Onlineshops investiert.
Die Generalüberholung der Digitalsparte war gerade rechtzeitig vor Beginn der Pandemie abgeschlossen: Die Gruppe konnte vom Trend zu Neuanschaffungen von Elektronik in diesem Jahr voll profitieren. Der Online-Umsatz von Mediamarkt-Saturn stieg im Geschäftsjahr bis Ende September um 44 Prozent auf 4,2 Milliarden Euro, wie Ceconomy am Dienstag mitteilte. Auch der neue Lockdown schreckt Mediamarkt-Saturn nicht. „Wir sind heute viel besser vorbereitet als im Frühjahr“, sagte Düttmann. „Mit unserem starken Onlinegeschäft können wir die Situation gut bewältigen.“Lieferengpässe gebe es in seinem Haus nicht. Das Unternehmen ist in Deutschland der drittgrößte Onlinehändler nach Amazon und Otto.
Tatsächlich haben die mittelgroßen europäischen Anbieter in diesem
Jahr gezeigt, was sie können. Ihre Aktienkurse sind sogar noch stärker gestiegen als der von Amazon, wie der Wirtschaftsdienst Bloomberg feststellt. Als Beispiel nennt er Westwing, einen Online-Anbieter von Möbeln und Dekoartikeln aus München. Westwing konnte in diesem Jahr von dem Doppeltrend zur Verschönerung der eigenen vier Wände und zugleich weg vom physischen Möbelhaus profitieren. Der Schnellkurs im Onlinehandel beschleunigt damit jedoch das Innenstadtsterben. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet mit einem Verlust von 13 Milliarden Euro für die Läden. Innerhalb von acht Wochen habe sich eine Entwicklung abgespielt, die sonst zehn Jahre gedauert hätte, hat die Unternehmensberatung McKinsey errechnet. Wer jetzt keine „nahtlose Multikanal-Experience“anbieten könne – also sowohl online als auch offline unterwegs ist – werde es künftig schwer haben.
Zugleich rettet der Onlinekanal in dieser Pandemie den Handel insgesamt. Was, wenn die Geschäfte hätten schließen müssen, ohne dass es für den Konsum eine Alternative gibt? Der Onlinebereich hält derzeit die Wirtschaft am Laufen. Der Umsatz im Netz werde um sechs Milliarden Euro steigen, sagt das IW voraus. Amazon gewinne zusätzlich an Attraktivität, wenn viele ehemals rein stationäre Geschäfte die Plattform nutzen, um ihre Waren anzubieten – schließlich sei dann im Netz eine umso größere Auswahl zu finden.
Hermes sieht noch einen weiteren Vorteil der digitalen Möglichkeiten. „Paketsendungen werden in der Krise zum Retter gegen Einsamkeit und Social Distancing“, ist ein Ergebnis der Marktstudie des Unternehmens. Viele Bürger sitzen jetzt traurig zu Hause, Feiern und Feste fallen aus. Da bekomme das Päckchen mit dem Geburtstagsoder Weihnachtsgeschenk eine ganz neue Bedeutung.