Lindauer Zeitung

„Will verstehen, warum er sterben musste“

Ein umstürzend­er Baum erschlug 2019 einen Jogger in Kempten – Witwe erwägt Klage

- Von Kerstin Schellhorn

- Es war ein tragischer Unfall, der sich am 4. März 2019 auf dem Kemptener Haubenstei­gweg ereignete: Motoi Masubuchi, Ehemann und Vater eines Sohnes, verließ am Abend seine Wohnung, um Joggen zu gehen. Draußen begann es zu regnen und zu winden. Wenig später stürzte ein Baum um. Der Stamm traf den 39jährigen Bauingenie­ur. Einen Tag später starb er an seinen Verletzung­en. Seine Witwe Ikumi Masubuchi sieht nicht allein ihren Mann in der Verantwort­ung, sondern auch die Stadt Kempten. Doch eine Einigung ist bisher nicht in Sicht.

„Ich will verstehen, warum mein Mann sterben musste“, sagt die heute 41-jährige Witwe. Mit ihrem vierjährig­en Sohn auf sich alleine gestellt, zog die selbststän­dige Klavierleh­rerin Mitte 2019 wieder zurück nach Berlin.

Weil sie dort schon einmal zehn Jahre gelebt habe, noch Freunde kenne und vor allem einen Job an einer Musikschul­e gefunden habe. „Mein Sohn und ich leben seit dem Tod meines Mannes am Existenzmi­nimum“, sagt sie. Die Corona-Pandemie

habe ihre Lage zusätzlich verschärft.

Masubuchi beklagt, dass sie bisher keinerlei Unterstütz­ung seitens der Stadt bekommen habe – nicht einmal ein Kondolenzs­chreiben. Andreas Weber, Leiter des Oberbürger­meister-Büros, bedauert das, erklärt aber: „Als Beteiligte­r in einem Versicheru­ngsverfahr­en, das in solchen Fällen eröffnet wird, äußern wir uns üblicherwe­ise nicht direkt gegenüber den anderen Beteiligte­n, hier die Angehörige­n.“Aber natürlich sei Oberbürger­meister Thomas Kiechle damals sehr erschütter­t gewesen, dass so etwas passieren konnte und habe öffentlich – im Rahmen des rechtlich Möglichen – seine Bestürzung kundgetan.

Im Raum steht die Frage, ob der Unglücksba­um ordnungsge­mäß gepflegt worden war. Nach dem Unfall hatte die Kemptener Kriminalpo­lizei Ermittlung­en aufgenomme­n. Aus den Unterlagen zu dem Fall, die der „Allgäuer Zeitung“vorliegen, geht hervor, dass gegen den zuständige­n Förster ein Ermittlung­sverfahren wegen fahrlässig­er Tötung eingeleite­t worden war. Gegenstand dessen war auch ein Sachverstä­ndigenguta­chten,

das die Staatsanwa­ltschaft in Auftrag gegeben hatte. Das ergab, dass der Baum, welchen den Jogger traf, offenbar von einem Pilz befallen war.

Zwar hatte der zuständige Förster noch im November 2018 angeordnet, diesen und einige andere absterbend­e Bäume am Haubenstei­gweg bis zum Ende des Winters zu fällen. Doch der Baum brach, bevor mit den Arbeiten begonnen worden war. Im Gutachten heißt es, dass der Bearbeitun­gszeitraum zu lang gewählt worden sei, „als dass man den eingetrete­nen Schaden sicher hätte abwenden können“.

Die Staatsanwa­ltschaft stellte das Verfahren mit dem Hinweis ein, dass nicht sicher festgestel­lt werden könne, ob der Schaden des Baumes in seinem ganzen Ausmaß für den Förster sichtbar war. Zudem sei am Unfalltag vor einem Sturm und herabfalle­nden Ästen gewarnt worden. Sturmtief „Bennet“zog über das Allgäu. Es könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass der Baum ohnehin gebrochen wäre, heißt es in der Begründung der Staatsanwa­ltschaft.

Peter von Borch aus München vertritt Ikumi Masubuchi als Rechtsanwa­lt.

Er ist überzeugt, dass es – wäre der Baum gefällt worden – nicht zu dem Unfall mit Todesfolge gekommen wäre. Er bestreitet zudem, dass es am betreffend­en Tag gestürmt hat. Es habe lediglich ein „steifer Wind“geweht, sagt er. Von Borch beruft sich dabei auf die Aufzeichnu­ngen der Polizei.

Seine Mandantin betont, dass sie kein Interesse an einem Rechtsstre­it habe. Sie wolle mit der Stadt ins Gespräch und zu einer Einigung kommen. Ihr Anwalt erklärt, dass sich die Beteiligte­n in solchen Fällen meist zusammense­tzen und einen Vergleich schließen. Die Versicheru­ng der Stadt Kempten, die Versicheru­ngskammer Bayern, habe ihm aber bereits mitgeteilt, dass sie die Schadeners­atzansprüc­he als unbegründe­t zurückweis­t.

Das Rechtsamt der Stadt bestätigt das auf Anfrage, äußert sich aber nicht näher, da das Verfahren nach wie vor laufe. Denn die Witwe könne Klage erheben. Genau das erwägt nun von Borch als nächsten Schritt. Der Anwalt stellt klar: „Wenn gar nicht gezahlt wird, bleibt mir nichts anderes übrig als ein zivilrecht­licher Prozess.“

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