Per Eilverfahren zum Abkommen
Briten machen Zugeständnisse bei Brexitverhandlungen – EU-Parlament plant Sondersitzung zwischen den Jahren
- Im Streit über einen Brexit-Handelspakt macht das Europaparlament Druck. Spätestens am Sonntag müsse ein Deal stehen, dann sei man bereit, zur Ratifizierung eine Sondersitzung Ende Dezember anzusetzen, forderte die Parlamentsspitze am Donnerstag.
Mitte Oktober ist das wirklich allerletzte Ultimatum verstrichen, bis zu dem ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien hätte fertig sein müssen. Andernfalls, so hatte Chefunterhändler Michel Barnier immer wieder betont, könnte die Vereinbarung nicht mehr rechtzeitig bis Jahresende von den Parlamenten gebilligt werden. Zwei Monate später ringen beide Seiten noch immer um eine Lösung. Von Ultimaten spricht inzwischen niemand mehr, die Öffentlichkeit hat das Interesse an dem Spektakel weitgehend verloren.
Das Europaparlament, das monatelang auf seinem Recht beharrt hatte, den Vertrag in Ruhe prüfen zu können, hat am Mittwoch den Weg für ein Eilverfahren zwischen den Jahren freigemacht. Konservative, Sozialdemokraten und Liberale vereinbarten, dafür das parlamentarische Verfahren ausnahmsweise abzukürzen. Die kleineren Parteien kritisieren das scharf. Anna Cavazzini von der grünen Fraktion, die den Binnenmarktausschuss leitet, sagte am Donnerstag: „Damit geben wir als Europaparlament de facto unser Recht für eine ordentliche demokratische Prüfung eines der bedeutendsten Handelsabkommen der Geschichte der EU auf.“Es sei unmöglich, ein so komplexes Abkommen in so kurzer Zeit zu bewerten. „Die drei Fraktionen werfen hart erkämpfte parlamentarische Rechte einfach so über Bord. Andere mögliche Lösungen, wie eine technische Übergangszeit, wurden heute gar nicht diskutiert“, so Cavazzini.
Während sowohl der britische Premier Boris Johnson als auch EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonen, die Chancen auf eine Einigung in letzter Minute seien gering, die Vorbereitungen für einen harten Brexit abgeschlossen, verhalten sich doch in der Praxis alle Beteiligten so, als sei ein sanfter Übergang garantiert. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit und bereits zum fünften Mal tagte am Donnerstag
der europäisch-britische Ausschuss zur Umsetzung des Austrittsabkommens. Diese Vereinbarung greift, wenn es bis zum 31. Dezember kein neues Handelsabkommen gibt.
Nach Ende der Sitzung zog der EU-Vertreter und Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic eine überraschend positive Bilanz. Er dankte seinem Verhandlungspartner Michael Gove und sagte, die Sitzung sei „ein Meilenstein“auf dem Weg zur reibungslosen Umsetzung des Austrittsabkommens gewesen. „Großbritannien hat sich dazu verpflichtet, alle strittigen Passagen des Binnenmarktgesetzes zurückzuziehen.“Alle Beteiligten teilten den Willen, den Geist des nordirischen Friedensabkommens
zu bewahren. Eine „robuste Präsenz“von EU-Kontrolleuren in Nordirland sei sichergestellt. London habe sich verpflichtet, die dafür erforderliche Infrastruktur und Software bereitzustellen.
Dieser Teil des Abkommens, der de facto die Zollgrenze in die irische See verlegt und Nordirland dem EUBinnenmarkt zurechnet, war von Johnson und den eingefleischten Brexiteers in seiner Umgebung stets scharf kritisiert worden, weil er die Abspaltung Ulsters vom Königreich und dessen Anschluss an Irland beschleunigen könnte. Mit dem Binnenmarktgesetz wären Teile der Vereinbarung einseitig aufgekündigt worden, was Großbritannien schockierte Reaktionen eintrug, weil es damit vertragsbrüchig geworden wäre. Mitte letzter Woche kündigte Johnson an, die umstrittenen Passagen zu streichen.
Je näher der Brexit rückt, desto mehr scheinen die Verantwortlichen in London einzusehen, dass holperige Handelsketten für ihre Landsleute fatale Folgen haben könnten. Nun aber seien gute Lösungen für alle möglich – einschließlich der Lieferung medizinischer Produkte, betonte Sefcovic
Ein Durchbruch bei den Verhandlungen für ein neues Handelsabkommen lässt derweil weiter auf sich warten. Noch immer wird darum gestritten, ob europäische Fischer Zugang zu den britischen Fischgründen erhalten. Dennoch beschlossen die EU-Agrarminister am Donnerstag provisorische Nordsee-Fangquoten für das kommende Jahr – als glaubten sie noch immer nicht daran, dass es zum 1. Januar Ernst wird mit dem Brexit.