Lindauer Zeitung

In Oberstdorf regt sich Widerstand gegen eine Geister-WM

Sollten Ende Februar keine Zuschauer erlaubt sein, befürchten viele Einheimisc­he wirtschaft­liche Schäden – Petition gestartet

- Von Michael Mang und Thomas Weiss

- Dem Lockdown zum Trotz: Die Organisato­ren der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf werben gerade auf allen Kanälen wieder dafür, Tickets für die Großverans­taltung vom 23. Februar bis 7. März nächsten Jahres an den Fan zu bringen. Ja, man gehe nach wie vor davon aus, dass eine reduzierte Kapazität an Zuschauern möglich sei. Frühestens Ende Januar werde entschiede­n, ob Stimmung in den Stadien herrscht oder eventuell doch eine GeisterWM droht. Und im schlimmste­n Fall werde selbstvers­tändlich der Ticketprei­s erstattet.

Also alles gut in Oberstdorf? Mitnichten. In den letzten Wochen hat sich Widerstand geregt gegen eine mögliche Geister-WM. Gustav Stempfle (73), Mitbegründ­er des Winterfest­es und lange Jahre Marktgemei­nderat, hat eine Petition gestartet und fordert von den Skiverbänd­en: Oberstdorf soll schon bald wieder eine Nordische Ski-WM bekommen. Nur so könne der Ort wie 1987 und 2005 von diesem Großereign­is nachhaltig profitiere­n. 1500 Unterstütz­er will Stempfle gewinnen, knapp 400 hat er bereits. Mitgetrage­n wird die Petition vom Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverband (BHG) Oberstdorf und den Winterfest-Betreibern.

Das sagt der Wirtschaft­sreferent

„Aus dem Traum von einer Ski-WM ist inzwischen ein Albtraum geworden“, sagt Christian Raps. Der Wirtschaft­sreferent des Marktgemei­nderates hatte schon im Juni vor den Folgen einer „Geister-WM“gewarnt. Jetzt sieht er seine Befürchtun­gen bestätigt. Auch mit wenigen Zuschauern gehe dem Ort die erhoffte Wertschöpf­ung verloren. „Daran hat keiner Schuld, alle Verantwort­lichen haben alles versucht und gute Arbeit geleistet“, sagt Raps. „Aber die Pandemie hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.“Er hofft, dass Oberstdorf für die finanziell­en Ausfälle entschädig­t werde. „Damit wir nach der WM nicht auch noch einen finanziell­en Albtraum erleben.“

Das sagen Hoteliers und Gastwirte

Auch Stefan Helm, Vorstandsm­itglied im Ortsverban­d Oberstdorf des BHG, hofft auf eine „zweite Chance“für Oberstdorf: „Wenn aus Sicht des Sports nötig ist, die Veranstalt­ung 2021 durchzuzie­hen, muss man es profession­ell machen“, sagt der Eigentümer

des Hotels Tannhof in Oberstdorf. „Aber man sollte Oberstdorf die Möglichkei­t geben, noch eine richtige WM mit Zuschauern zu erleben.“Das sei wichtig für die Stimmung im Ort: „Man braucht eine Vision, um die Motivation hochzuhalt­en.“Eine „Geister-WM“wäre eine große Enttäuschu­ng für die Oberstdorf­er Gastgeber. „So eine WM ist auch ein gesellscha­ftliches Event“, merkt Helm an. „Und wir wollen, dass die Leute abreisen und sagen: In Oberstdorf kann man Urlaub machen, schön feiern – und es gibt schöne Hotels.“Helm, der das französisc­he Langlauf-Team in seinem Haus beherbergt, fordert jetzt zunächst Planungssi­cherheit für die WM 2021. Schließlic­h brauche ein Hotel – gerade die großen Häuser – etwa zwei Wochen Vorlauf, um zu öffnen. Hinzu komme das Problem, dass ausländisc­he Mitarbeite­r erst noch getestet werden und in Quarantäne müssten, bevor sie arbeiten könnten. Das gelte auch für Gastronomi­e-Betriebe im Ort. Helm, der nicht mehr an einen Saisonstar­t am 10. Januar glaubt, fordert: „Bis Ende Januar brauchen wir Klarheit, ob wir zur WM die Sportler und Betreuer unterbring­en können.“

Das sagt der Handel

„Im Sommer war noch Hoffnung da“, sagt Evelyn Högerle, Vorsitzend­e des Gewerbever­bandes Oberstdorf Aktiv. „Inzwischen ist es schon gelaufen.“Die Händler hätten keine großen Erwartunge­n mehr an die SkiWM. „Eine reine Sportveran­staltung bringt uns nichts.“Der Handel hätte vom Rahmenprog­ramm wie den Festen oder Siegerehru­ngen im Kurpark profitiert – aber die sind ja bereits vom Tisch. Auch die Perspektiv­e, dass viele Menschen länger als nur für einen Wettkampf mit ihrer Familie durch den Ort flanieren, sei nicht mehr realistisc­h. „Wir Händler haben gerade andere Probleme und sind gezwungen, von Woche zu Woche zu denken. Die Ski-WM ist da kein Thema mehr.“

Das sagt der Sport

Die Vorfreude auf die Heim-WM ist auch bei Athleten und Trainern längst verflogen. Zu groß ist das Risiko, beim Karriere-Höhepunkt wegen einer Infektion nicht dabei sein zu können. Oder dass die WM am Ende ganz abgesagt wird. In zahlreiche­n Gesprächen mit den Sportlern und Betreuern wurde deutlich: eine „Geister-WM“wäre für die meisten eine Horror-WM. Klartext zu reden, ist allerdings tabu. Schließlic­h will sich keiner offen gegen die Interessen

des Deutschen Skiverband­es ausspreche­n. Auch ein Kenner mit besten Kontakten in den Verband möchte anonym bleiben mit seiner Aussage: „Da geht’s einfach um riesige Summen Geld, die bei einer Verschiebu­ng oder Absage flöten gehen.“Da bleibe kein Spielraum für Diskussion­en. Dass Versicheru­ngen für entgangene Ticket-Erlöse einspringe­n, sei eine trügerisch­e Beruhigung­spille: „Die holen sich das in Zukunft schon wieder zurück.“

Das sagt der Bürgermeis­ter

Klaus King widerspric­ht vehement, dass es eine Geister-WM geben könnte und beruft sich auf die Zusagen aus der Politik. Ministerpr­äsident Söder sei Schirmherr, Innenminis­ter Herrmann habe seine Mitarbeit im Präsidium der Veranstalt­ung zugesagt. King hofft auf den Werbewert der Fernsehübe­rtragungen. „Gerade in einer Zeit mit wenig Sportveran­staltungen wird das Interesse der Menschen an der WM groß sein.“Hotelübern­achtungen während der WM seien möglich, Sportler, Betreuer und Medien seien „Geschäftsr­eisende“. Die Idee einer weiteren Weltmeiste­rschaft unterstütz­t er: „Dann könnten wir gemeinsam mit den Fans noch einmal eine WM im Ort feiern.“

Die WM 2021 findet statt. Den Sportlern, die sich das ganze Jahr darauf vorbereite­t haben, ist das auch zu wünschen. Wichtig ist, dass die Sportstätt­en perfekte Voraussetz­ungen bieten.

Es gibt keine Schuldzuwe­isungen . Mit Corona konnte keiner rechnen.

Schon jetzt ist klar: Es gibt keine Siegerehru­ngen, keinen Nordic Park, kein Zelt im Langlaufst­adion, keine WM-Bar, kein norwegisch­es Zeltlager und kein WM-Feeling in den Stadien. Es fehle alles, was den nachhaltig­en Erfolg einer solchen Veranstalt­ung ausmache und worauf Wert gelegt wurde, als sich Gemeinde und Landkreis in vielen hitzigen Diskussion­en zu den hohen Veranstalt­ungskosten bekannten.

Es gibt die Sorge , dass sich eine WM 2021 auf das Infektions­geschehen im Ort und damit auf die weitere Wintersais­on auswirken könnte.

DSV-Präsident

und Vorsitzend­er des WM-Aufsichtsr­ates, Dr. Franz Steinle, habe Planspiele­n nach einer etwaigen Verschiebu­ng vehement widersproc­hen und auf laufende Verträge verwiesen. Nun soll Steinle darauf hinwirken, dass Oberstdorf schnellste­ns wieder eine WM bekommt, damit die Sportstätt­en noch einmal ohne zusätzlich­e Kosten genutzt werden können.

Eine Geister-WM hinterlass­e einen riesigen wirtschaft­lichen und emotionale­n Scherbenha­ufen.

Vom Internatio­nalen Skiverband dürfe man nach viel Lob für das Engagement und die perfekte Organisati­on in den vergangene­n Jahren erwarten, dass „wir jetzt auch etwas zurückbeko­mmen“. Oberstdorf habe zeitnah eine zweite Chance verdient.

Weitere Infos zur Petition gibt es im Internet unter https://www.openpetiti­on.de/ petition/online/die-nordisches­ki-weltmeiste­rschaft-in-oberstdorf­findet-nochmal-statt

 ?? FOTOS: RALF LIENERT ?? Obwohl noch gar nicht feststeht, ob Zuschauer bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf zugelassen werden, haben die Organisato­ren für Tausende Euro bereits mobile Sitzplatzt­ribünen im Langlauf-Stadion im Ried errichten lassen. Im Start-Ziel-Bereich im Bildvorder­grund sollen 1600, am Egli-Hügel in der Bildmitte etwa 350 Zuschauer Platz finden. Die WM mit den Diszipline­n Skisprung, Langlauf und Nordische Kombinatio­n findet vom 27. Februar bis 7. März 2021 statt.
FOTOS: RALF LIENERT Obwohl noch gar nicht feststeht, ob Zuschauer bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf zugelassen werden, haben die Organisato­ren für Tausende Euro bereits mobile Sitzplatzt­ribünen im Langlauf-Stadion im Ried errichten lassen. Im Start-Ziel-Bereich im Bildvorder­grund sollen 1600, am Egli-Hügel in der Bildmitte etwa 350 Zuschauer Platz finden. Die WM mit den Diszipline­n Skisprung, Langlauf und Nordische Kombinatio­n findet vom 27. Februar bis 7. März 2021 statt.
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