In Oberstdorf regt sich Widerstand gegen eine Geister-WM
Sollten Ende Februar keine Zuschauer erlaubt sein, befürchten viele Einheimische wirtschaftliche Schäden – Petition gestartet
- Dem Lockdown zum Trotz: Die Organisatoren der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf werben gerade auf allen Kanälen wieder dafür, Tickets für die Großveranstaltung vom 23. Februar bis 7. März nächsten Jahres an den Fan zu bringen. Ja, man gehe nach wie vor davon aus, dass eine reduzierte Kapazität an Zuschauern möglich sei. Frühestens Ende Januar werde entschieden, ob Stimmung in den Stadien herrscht oder eventuell doch eine GeisterWM droht. Und im schlimmsten Fall werde selbstverständlich der Ticketpreis erstattet.
Also alles gut in Oberstdorf? Mitnichten. In den letzten Wochen hat sich Widerstand geregt gegen eine mögliche Geister-WM. Gustav Stempfle (73), Mitbegründer des Winterfestes und lange Jahre Marktgemeinderat, hat eine Petition gestartet und fordert von den Skiverbänden: Oberstdorf soll schon bald wieder eine Nordische Ski-WM bekommen. Nur so könne der Ort wie 1987 und 2005 von diesem Großereignis nachhaltig profitieren. 1500 Unterstützer will Stempfle gewinnen, knapp 400 hat er bereits. Mitgetragen wird die Petition vom Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband (BHG) Oberstdorf und den Winterfest-Betreibern.
Das sagt der Wirtschaftsreferent
„Aus dem Traum von einer Ski-WM ist inzwischen ein Albtraum geworden“, sagt Christian Raps. Der Wirtschaftsreferent des Marktgemeinderates hatte schon im Juni vor den Folgen einer „Geister-WM“gewarnt. Jetzt sieht er seine Befürchtungen bestätigt. Auch mit wenigen Zuschauern gehe dem Ort die erhoffte Wertschöpfung verloren. „Daran hat keiner Schuld, alle Verantwortlichen haben alles versucht und gute Arbeit geleistet“, sagt Raps. „Aber die Pandemie hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.“Er hofft, dass Oberstdorf für die finanziellen Ausfälle entschädigt werde. „Damit wir nach der WM nicht auch noch einen finanziellen Albtraum erleben.“
Das sagen Hoteliers und Gastwirte
Auch Stefan Helm, Vorstandsmitglied im Ortsverband Oberstdorf des BHG, hofft auf eine „zweite Chance“für Oberstdorf: „Wenn aus Sicht des Sports nötig ist, die Veranstaltung 2021 durchzuziehen, muss man es professionell machen“, sagt der Eigentümer
des Hotels Tannhof in Oberstdorf. „Aber man sollte Oberstdorf die Möglichkeit geben, noch eine richtige WM mit Zuschauern zu erleben.“Das sei wichtig für die Stimmung im Ort: „Man braucht eine Vision, um die Motivation hochzuhalten.“Eine „Geister-WM“wäre eine große Enttäuschung für die Oberstdorfer Gastgeber. „So eine WM ist auch ein gesellschaftliches Event“, merkt Helm an. „Und wir wollen, dass die Leute abreisen und sagen: In Oberstdorf kann man Urlaub machen, schön feiern – und es gibt schöne Hotels.“Helm, der das französische Langlauf-Team in seinem Haus beherbergt, fordert jetzt zunächst Planungssicherheit für die WM 2021. Schließlich brauche ein Hotel – gerade die großen Häuser – etwa zwei Wochen Vorlauf, um zu öffnen. Hinzu komme das Problem, dass ausländische Mitarbeiter erst noch getestet werden und in Quarantäne müssten, bevor sie arbeiten könnten. Das gelte auch für Gastronomie-Betriebe im Ort. Helm, der nicht mehr an einen Saisonstart am 10. Januar glaubt, fordert: „Bis Ende Januar brauchen wir Klarheit, ob wir zur WM die Sportler und Betreuer unterbringen können.“
Das sagt der Handel
„Im Sommer war noch Hoffnung da“, sagt Evelyn Högerle, Vorsitzende des Gewerbeverbandes Oberstdorf Aktiv. „Inzwischen ist es schon gelaufen.“Die Händler hätten keine großen Erwartungen mehr an die SkiWM. „Eine reine Sportveranstaltung bringt uns nichts.“Der Handel hätte vom Rahmenprogramm wie den Festen oder Siegerehrungen im Kurpark profitiert – aber die sind ja bereits vom Tisch. Auch die Perspektive, dass viele Menschen länger als nur für einen Wettkampf mit ihrer Familie durch den Ort flanieren, sei nicht mehr realistisch. „Wir Händler haben gerade andere Probleme und sind gezwungen, von Woche zu Woche zu denken. Die Ski-WM ist da kein Thema mehr.“
Das sagt der Sport
Die Vorfreude auf die Heim-WM ist auch bei Athleten und Trainern längst verflogen. Zu groß ist das Risiko, beim Karriere-Höhepunkt wegen einer Infektion nicht dabei sein zu können. Oder dass die WM am Ende ganz abgesagt wird. In zahlreichen Gesprächen mit den Sportlern und Betreuern wurde deutlich: eine „Geister-WM“wäre für die meisten eine Horror-WM. Klartext zu reden, ist allerdings tabu. Schließlich will sich keiner offen gegen die Interessen
des Deutschen Skiverbandes aussprechen. Auch ein Kenner mit besten Kontakten in den Verband möchte anonym bleiben mit seiner Aussage: „Da geht’s einfach um riesige Summen Geld, die bei einer Verschiebung oder Absage flöten gehen.“Da bleibe kein Spielraum für Diskussionen. Dass Versicherungen für entgangene Ticket-Erlöse einspringen, sei eine trügerische Beruhigungspille: „Die holen sich das in Zukunft schon wieder zurück.“
Das sagt der Bürgermeister
Klaus King widerspricht vehement, dass es eine Geister-WM geben könnte und beruft sich auf die Zusagen aus der Politik. Ministerpräsident Söder sei Schirmherr, Innenminister Herrmann habe seine Mitarbeit im Präsidium der Veranstaltung zugesagt. King hofft auf den Werbewert der Fernsehübertragungen. „Gerade in einer Zeit mit wenig Sportveranstaltungen wird das Interesse der Menschen an der WM groß sein.“Hotelübernachtungen während der WM seien möglich, Sportler, Betreuer und Medien seien „Geschäftsreisende“. Die Idee einer weiteren Weltmeisterschaft unterstützt er: „Dann könnten wir gemeinsam mit den Fans noch einmal eine WM im Ort feiern.“
Die WM 2021 findet statt. Den Sportlern, die sich das ganze Jahr darauf vorbereitet haben, ist das auch zu wünschen. Wichtig ist, dass die Sportstätten perfekte Voraussetzungen bieten.
Es gibt keine Schuldzuweisungen . Mit Corona konnte keiner rechnen.
Schon jetzt ist klar: Es gibt keine Siegerehrungen, keinen Nordic Park, kein Zelt im Langlaufstadion, keine WM-Bar, kein norwegisches Zeltlager und kein WM-Feeling in den Stadien. Es fehle alles, was den nachhaltigen Erfolg einer solchen Veranstaltung ausmache und worauf Wert gelegt wurde, als sich Gemeinde und Landkreis in vielen hitzigen Diskussionen zu den hohen Veranstaltungskosten bekannten.
Es gibt die Sorge , dass sich eine WM 2021 auf das Infektionsgeschehen im Ort und damit auf die weitere Wintersaison auswirken könnte.
DSV-Präsident
und Vorsitzender des WM-Aufsichtsrates, Dr. Franz Steinle, habe Planspielen nach einer etwaigen Verschiebung vehement widersprochen und auf laufende Verträge verwiesen. Nun soll Steinle darauf hinwirken, dass Oberstdorf schnellstens wieder eine WM bekommt, damit die Sportstätten noch einmal ohne zusätzliche Kosten genutzt werden können.
Eine Geister-WM hinterlasse einen riesigen wirtschaftlichen und emotionalen Scherbenhaufen.
Vom Internationalen Skiverband dürfe man nach viel Lob für das Engagement und die perfekte Organisation in den vergangenen Jahren erwarten, dass „wir jetzt auch etwas zurückbekommen“. Oberstdorf habe zeitnah eine zweite Chance verdient.
Weitere Infos zur Petition gibt es im Internet unter https://www.openpetition.de/ petition/online/die-nordischeski-weltmeisterschaft-in-oberstdorffindet-nochmal-statt