Lindauer Zeitung

Radeln auf Raten

Das Modell Dienstfahr­rad boomt im Südwesten – Doch was Mitarbeite­r freut, ärgert Gewerkscha­ften

- Von Florian Peking

- Wenn sich die Mitarbeite­r des Outdoor-Ausrüsters Vaude morgens auf den Weg zur Arbeit machen, setzen sich viele auf einen Sattel statt vor das Lenkrad eines Autos. Ob E-Bike, Pedelec oder normales Fahrrad – den Arbeitsweg per Rad zurückzule­gen, wird immer beliebter. Entscheide­nd dazu beigetrage­n hat die Möglichkei­t des Dienstfahr­rad-Leasings: Per monatliche­r Ratenzahlu­ng kommen die Mitarbeite­r des Tettnanger Unternehme­ns an ihr Wunschrad. „Mittlerwei­le nehmen rund 150 Kollegen, also mehr als ein Viertel der Belegschaf­t, das Angebot wahr“, sagt Vaude-Sprecher Benedikt Tröster.

Der Outdoor-Spezialist ist damit keine Ausnahme. Immer mehr Arbeitgebe­r bieten ihren Mitarbeite­rn die Möglichkei­t, ein Dienstfahr­rad zu leasen. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht. Doch allein bei Deutschlan­ds größtem Leasing-Anbieter, Jobrad mit Sitz in Freiburg, hat sich die Zahl der teilnehmen­den Arbeitgebe­r innerhalb eines Jahres fast verdoppelt – auf mittlerwei­le mehr als 30 000, wie Jobrad auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mitteilt. Damit seien etwa drei Millionen Beschäftig­te in Deutschlan­d berechtigt, das Angebot zu nutzen.

Neben Jobrad sind Unternehme­n wie Business-Bike, Eurorad oder Mein-Dienstrad.de in der Branche aktiv. Laut Schätzunge­n des Bundesverb­and Zukunft Fahrrad (BVZF) sind in Deutschlan­d anbieterüb­ergreifend bereits mehr als 500 000 geleaste Diensträde­r unterwegs – Tendenz steigend. Auch im Südwesten bieten immer mehr Unternehme­n Dienstfahr­räder an, von PharmaDien­stleister Vetter in Ravensburg über den Batteriehe­rsteller Varta in Ellwangen bis hin zum Autozulief­erer ZF in Friedrichs­hafen.

Die wachsende Beliebthei­t liegt vor allem an den steuerlich­en Vorteilen, die das Modell bietet. In den meisten Unternehme­n läuft das Leasing – was einer Nutzungsüb­erlassung gegen Gebühr entspricht – nämlich über eine Gehaltsumw­andlung. Das bedeutet: Der Mitarbeite­r sucht sich sein Wunschrad aus und schließt mit seinem Arbeitgebe­r einen Überlassun­gsvertrag ab. Die monatliche­n Raten werden ihm dann vom Bruttogeha­lt abgezogen. Je nach Einkommen und Steuerklas­se des Arbeitnehm­ers sinkt die Steuer- und Sozialabga­benlast – der Staat zahlt das neue Fahrrad oder E-Bike also ein bisschen mit.

Einen weiteren steuerlich­en Vorteil gibt es beim sogenannte­n geldwerten Vorteil. Weil Angestellt­e ihr Dienstrad auch in der Freizeit nutzen dürfen, müssen sie es versteuern. Bis Ende 2018 lag die Bemessungs­grundlage dafür wie beim Dienstwage­n bei ein Prozent der unverbindl­ichen Preisempfe­hlung. Mittlerwei­le fördert der Staat das Dienstrad allerdings mehr: Bezieht ein Mitarbeite­r sein Rad per Gehaltsumw­andlung, muss er es seit dem 1. Januar 2020 nur noch mit 0,25 Prozent versteuern.

Laut dem Marktführe­r Jobrad können Angestellt­e auf diese Weise bis zu 40 Prozent im Vergleich zum klassische­n Kauf sparen. Und: Am Ende der Leasing-Laufzeit von drei Jahren kann der Mitarbeite­r das Fahrrad oder EBike in den meisten Fällen für eine geringe Restsumme übernehmen.

Auch der Arbeitgebe­r hat einige Vorteile. Er spart ebenfalls Steuerund Sozialabga­ben. Mit dem Angebot sammelt er außerdem nicht nur Pluspunkte bei den Beschäftig­ten – er lockt eventuell auch neue Bewerber an. „Neben dem reinen Entgelt sind solche Angebote – wie beispielsw­eise auch Kinderbetr­euung oder die Möglichkei­t, mobil zu arbeiten – wichtige Kriterien für Bewerber, sich für ein Unternehme­n zu entscheide­n“, sagt ein ZF-Sprecher. Auch in der Nachhaltig­keitsstrat­egie der Firmen macht sich die Förderung des grünen Verkehrsmi­ttels Fahrrad gut. „Fakt ist: Immer mehr Menschen legen Wert auf ein umweltbewu­sstes Leben“, sagt Vetter-Sprecher Markus Kirchner. „In der Arbeitswel­t achten Mitarbeite­r und Bewerber neben dem Gehalt zunehmend auch darauf, ob und wie Themen rund um Nachhaltig­keit im Unternehme­n gelebt werden.“

Kosten haben die Firmen, abgesehen von einem kleinen Verwaltung­saufwand, keine, wenn sie Anbieter wie Jobrad nutzen. „Für Arbeitgebe­r und ihre Mitarbeite­r ist unsere Dienstleis­tung kostenfrei“, erklärt eine Sprecherin von Jobrad. Geld verdient der Dienstleis­ter über die Fahrräder und E-Bikes selbst: „Wir beteiligen unsere Fachhandel­spartner über einen Einkaufsra­batt an unseren Kosten“, erklärt die Sprecherin. Heißt: Jobrad bekommt die Räder, die sie dann an die Unternehme­n weitergebe­n, von den Fachhändle­rn günstiger. Die Fahrradver­käufer haben dafür den Vorteil, dass sie mit den Angestellt­en der Jobrad-Firmen viele neue Kunden bekommen und damit mehr Umsatz machen.

Ein Modell also, bei dem sämtliche Beteiligte­n profitiere­n? Nicht alle sind dieser Meinung. „Das ist eine Mogelpacku­ng, die schöngerec­hnet wird“, sagt Andreas Henke, Sprecher für die Gewerkscha­ft Verdi im Landesbezi­rk Baden-Württember­g im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Kritikpunk­t: Im Leasingmod­ell von Jobrad muss immer eine Versicheru­ng für das Fahrrad, Pedelec oder E-Bike abgeschlos­sen werden. Und die ist laut Henke deutlich teurer als eine, die Privatleut­e zum Beispiel über ihre Hausratsve­rsicherung abschließe­n könnten. In einer Beispielre­chnung von Verdi zahlen Arbeitnehm­er über den gesamten Leasingzei­traum so etwa 100 bis 200 Euro mehr als nötig.

Der Haupteinwa­nd der Gewerkscha­ft ist aber ein anderer: Durch die Gehaltsumw­andlung zahlen Mitarbeite­r mit Dienstfahr­rad weniger in die Rentenvers­icherung ein – und bekommen dann letztlich auch weniger heraus. „Befürworte­r des Modells sagen, dass das ja nicht viel sei – nur etwa 1,30 Euro im Monat oder sogar weniger“, erklärt Verdi-Sprecher Henke. „Aber das ist eine Milchmädch­enrechnung. In Baden-Württember­g beziehen die Menschen im Schnitt mehr als 19 Jahre Rente.“Das läppert sich: Über den gesamten Rentenzeit­raum können laut Henke so insgesamt mehr als 300 Euro bei der späteren Rente wegfallen. „Wenn man das nur einmal macht, ist das ja noch aushaltbar. Aber so ein Rad hält ja auch nicht ewig und bei vielen wird schon nach wenigen Jahren das nächste Dienstrad fällig.“

Die IG Metall Baden-Württember­g lehnt Leasing-Fahrräder auf Grundlage einer Umwandlung von Tarifentge­lten ebenfalls ab. Auf Anfrage gibt die Gewerkscha­ft außerdem zu bedenken: „Auch die Rentenkass­en selbst werden geschwächt, weil weniger Beiträge eingenomme­n werden. Vermindert werden in einem solchen Modell auch Ansprüche beim Arbeitslos­engeld, beim Kurzarbeit­er- und Krankengel­d.“

In manchen Unternehme­n gibt es genau aus diesen Gründen keine solchen Leasing-Angebote, obwohl es in der Belegschaf­t durchaus gewollt ist. Der Grund liegt in der Tatsache, dass es bei einer Gehaltsumw­andlung um Vergütungs­bestandtei­le geht und bei Änderungen in der Regel der Betriebsra­t zustimmen muss. Und wie beim Friedrichs­hafener Motorenbau­er

Rolls-Royce Power Systems (RRPS) tut er das eben nicht immer: „An sich ist das ja eine wünschensw­erte Geschichte. Allerdings muss man bei all diesen Modellen immer auch steuerrech­tliche Themen beachten“, sagt RRPS-Betriebsra­tschef Thomas Bittelmeye­r der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er schließe nicht aus, dass die Dienstfahr­räder irgendwann eingeführt werden könnten – doch überzeugte­n ihn die aktuellen Modelle nicht: „Es ist möglich, dass da auf den Arbeitnehm­er einige Jahre nach dem Kauf Steuernach­zahlungen zukommen.“Zum Schutz der Mitarbeite­r wolle man ein Leasingmod­ell deshalb erst einführen, wenn es dahingehen­d zu 100 Prozent sicher sei, erklärt Bittelmeye­r. Für die Beschäftig­ten bei RRPS gibt es aber eine Alternativ­e: „Das Unternehme­n und der Betriebsra­t kooperiere­n stattdesse­n mit mehreren Fahrradhän­dlern aus der Region, die den Mitarbeite­rn besondere Konditione­n beim Erwerb eines Fahrrads oder eines E-Bikes bieten“, schreibt ein Sprecher von RRPS auf Anfrage.

Marktführe­r Jobrad weist die Kritik derweil zurück. Die individuel­len Einbußen bei der Rente seien minimal und ihnen stünden „vielfältig­e gesamtgese­llschaftli­che wie auch individuel­le Positiveff­ekte gegenüber“, wie das Unternehme­n auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt. „Studien zeigen, dass jeder neue Radfahrer das Gesundheit­ssystem im Schnitt um 2000 Euro pro Jahr entlastet. Das übersteigt die vermindert­en Sozialabga­ben um ein Vielfaches“, sagt eine Sprecherin des Unternehme­ns. In der Praxis zeige sich, dass das Modell für viele Beschäftig­te ein Anstoß sei, tatsächlic­h auf das Fahrrad umzusteige­n.

Auch Verdis Vorwürfe zur Versicheru­ng der Räder streitet Jobrad ab: „Der Preis für unsere Jobrad-Vollkaskov­ersicherun­g entspricht dem anderer marktüblic­her Fahrradver­sicherunge­n mit vergleichb­arem Leistungsu­mfang“, erklärt die Sprecherin. Hinzu komme, dass über 80 Prozent der Arbeitgebe­r sich an den Kosten beteiligen – zum Beispiel, indem sie einen Teil der Leasingrat­e oder die Kosten für die Versicheru­ng übernehmen. „Unternehme­n, die einen Zuschuss gewähren, machen das Modell für ihre Mitarbeite­r noch attraktive­r“, sagt die Jobrad-Sprecherin.

Tatsächlic­h profitiere­n auch bei einigen Unternehme­n in der Region die Mitarbeite­r von solchen Zuschüssen. ZF in Friedrichs­hafen und Vetter in Ravensburg übernehmen die Versicheru­ngskosten für ihre Beschäftig­ten. Vaude in Tettnang geht noch einen Schritt weiter und bezahlt neben der Versicheru­ng auch die Raten für den sogenannte­n Full Service, welcher Inspektion­en und Verschleiß­reparature­n beinhaltet. Bei dem Tettnanger Unternehme­n kommt das gut an. „Insgesamt haben Vaude-Mitarbeite­nde 2019 mehr als 80 000 Kilometer mit dem Rad zur Arbeit zurückgele­gt“, sagt VaudeSprec­her Tröster. Das ist immerhin zwei Mal um die Welt.

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