Radeln auf Raten
Das Modell Dienstfahrrad boomt im Südwesten – Doch was Mitarbeiter freut, ärgert Gewerkschaften
- Wenn sich die Mitarbeiter des Outdoor-Ausrüsters Vaude morgens auf den Weg zur Arbeit machen, setzen sich viele auf einen Sattel statt vor das Lenkrad eines Autos. Ob E-Bike, Pedelec oder normales Fahrrad – den Arbeitsweg per Rad zurückzulegen, wird immer beliebter. Entscheidend dazu beigetragen hat die Möglichkeit des Dienstfahrrad-Leasings: Per monatlicher Ratenzahlung kommen die Mitarbeiter des Tettnanger Unternehmens an ihr Wunschrad. „Mittlerweile nehmen rund 150 Kollegen, also mehr als ein Viertel der Belegschaft, das Angebot wahr“, sagt Vaude-Sprecher Benedikt Tröster.
Der Outdoor-Spezialist ist damit keine Ausnahme. Immer mehr Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ein Dienstfahrrad zu leasen. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht. Doch allein bei Deutschlands größtem Leasing-Anbieter, Jobrad mit Sitz in Freiburg, hat sich die Zahl der teilnehmenden Arbeitgeber innerhalb eines Jahres fast verdoppelt – auf mittlerweile mehr als 30 000, wie Jobrad auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilt. Damit seien etwa drei Millionen Beschäftigte in Deutschland berechtigt, das Angebot zu nutzen.
Neben Jobrad sind Unternehmen wie Business-Bike, Eurorad oder Mein-Dienstrad.de in der Branche aktiv. Laut Schätzungen des Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF) sind in Deutschland anbieterübergreifend bereits mehr als 500 000 geleaste Diensträder unterwegs – Tendenz steigend. Auch im Südwesten bieten immer mehr Unternehmen Dienstfahrräder an, von PharmaDienstleister Vetter in Ravensburg über den Batteriehersteller Varta in Ellwangen bis hin zum Autozulieferer ZF in Friedrichshafen.
Die wachsende Beliebtheit liegt vor allem an den steuerlichen Vorteilen, die das Modell bietet. In den meisten Unternehmen läuft das Leasing – was einer Nutzungsüberlassung gegen Gebühr entspricht – nämlich über eine Gehaltsumwandlung. Das bedeutet: Der Mitarbeiter sucht sich sein Wunschrad aus und schließt mit seinem Arbeitgeber einen Überlassungsvertrag ab. Die monatlichen Raten werden ihm dann vom Bruttogehalt abgezogen. Je nach Einkommen und Steuerklasse des Arbeitnehmers sinkt die Steuer- und Sozialabgabenlast – der Staat zahlt das neue Fahrrad oder E-Bike also ein bisschen mit.
Einen weiteren steuerlichen Vorteil gibt es beim sogenannten geldwerten Vorteil. Weil Angestellte ihr Dienstrad auch in der Freizeit nutzen dürfen, müssen sie es versteuern. Bis Ende 2018 lag die Bemessungsgrundlage dafür wie beim Dienstwagen bei ein Prozent der unverbindlichen Preisempfehlung. Mittlerweile fördert der Staat das Dienstrad allerdings mehr: Bezieht ein Mitarbeiter sein Rad per Gehaltsumwandlung, muss er es seit dem 1. Januar 2020 nur noch mit 0,25 Prozent versteuern.
Laut dem Marktführer Jobrad können Angestellte auf diese Weise bis zu 40 Prozent im Vergleich zum klassischen Kauf sparen. Und: Am Ende der Leasing-Laufzeit von drei Jahren kann der Mitarbeiter das Fahrrad oder EBike in den meisten Fällen für eine geringe Restsumme übernehmen.
Auch der Arbeitgeber hat einige Vorteile. Er spart ebenfalls Steuerund Sozialabgaben. Mit dem Angebot sammelt er außerdem nicht nur Pluspunkte bei den Beschäftigten – er lockt eventuell auch neue Bewerber an. „Neben dem reinen Entgelt sind solche Angebote – wie beispielsweise auch Kinderbetreuung oder die Möglichkeit, mobil zu arbeiten – wichtige Kriterien für Bewerber, sich für ein Unternehmen zu entscheiden“, sagt ein ZF-Sprecher. Auch in der Nachhaltigkeitsstrategie der Firmen macht sich die Förderung des grünen Verkehrsmittels Fahrrad gut. „Fakt ist: Immer mehr Menschen legen Wert auf ein umweltbewusstes Leben“, sagt Vetter-Sprecher Markus Kirchner. „In der Arbeitswelt achten Mitarbeiter und Bewerber neben dem Gehalt zunehmend auch darauf, ob und wie Themen rund um Nachhaltigkeit im Unternehmen gelebt werden.“
Kosten haben die Firmen, abgesehen von einem kleinen Verwaltungsaufwand, keine, wenn sie Anbieter wie Jobrad nutzen. „Für Arbeitgeber und ihre Mitarbeiter ist unsere Dienstleistung kostenfrei“, erklärt eine Sprecherin von Jobrad. Geld verdient der Dienstleister über die Fahrräder und E-Bikes selbst: „Wir beteiligen unsere Fachhandelspartner über einen Einkaufsrabatt an unseren Kosten“, erklärt die Sprecherin. Heißt: Jobrad bekommt die Räder, die sie dann an die Unternehmen weitergeben, von den Fachhändlern günstiger. Die Fahrradverkäufer haben dafür den Vorteil, dass sie mit den Angestellten der Jobrad-Firmen viele neue Kunden bekommen und damit mehr Umsatz machen.
Ein Modell also, bei dem sämtliche Beteiligten profitieren? Nicht alle sind dieser Meinung. „Das ist eine Mogelpackung, die schöngerechnet wird“, sagt Andreas Henke, Sprecher für die Gewerkschaft Verdi im Landesbezirk Baden-Württemberg im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der Kritikpunkt: Im Leasingmodell von Jobrad muss immer eine Versicherung für das Fahrrad, Pedelec oder E-Bike abgeschlossen werden. Und die ist laut Henke deutlich teurer als eine, die Privatleute zum Beispiel über ihre Hausratsversicherung abschließen könnten. In einer Beispielrechnung von Verdi zahlen Arbeitnehmer über den gesamten Leasingzeitraum so etwa 100 bis 200 Euro mehr als nötig.
Der Haupteinwand der Gewerkschaft ist aber ein anderer: Durch die Gehaltsumwandlung zahlen Mitarbeiter mit Dienstfahrrad weniger in die Rentenversicherung ein – und bekommen dann letztlich auch weniger heraus. „Befürworter des Modells sagen, dass das ja nicht viel sei – nur etwa 1,30 Euro im Monat oder sogar weniger“, erklärt Verdi-Sprecher Henke. „Aber das ist eine Milchmädchenrechnung. In Baden-Württemberg beziehen die Menschen im Schnitt mehr als 19 Jahre Rente.“Das läppert sich: Über den gesamten Rentenzeitraum können laut Henke so insgesamt mehr als 300 Euro bei der späteren Rente wegfallen. „Wenn man das nur einmal macht, ist das ja noch aushaltbar. Aber so ein Rad hält ja auch nicht ewig und bei vielen wird schon nach wenigen Jahren das nächste Dienstrad fällig.“
Die IG Metall Baden-Württemberg lehnt Leasing-Fahrräder auf Grundlage einer Umwandlung von Tarifentgelten ebenfalls ab. Auf Anfrage gibt die Gewerkschaft außerdem zu bedenken: „Auch die Rentenkassen selbst werden geschwächt, weil weniger Beiträge eingenommen werden. Vermindert werden in einem solchen Modell auch Ansprüche beim Arbeitslosengeld, beim Kurzarbeiter- und Krankengeld.“
In manchen Unternehmen gibt es genau aus diesen Gründen keine solchen Leasing-Angebote, obwohl es in der Belegschaft durchaus gewollt ist. Der Grund liegt in der Tatsache, dass es bei einer Gehaltsumwandlung um Vergütungsbestandteile geht und bei Änderungen in der Regel der Betriebsrat zustimmen muss. Und wie beim Friedrichshafener Motorenbauer
Rolls-Royce Power Systems (RRPS) tut er das eben nicht immer: „An sich ist das ja eine wünschenswerte Geschichte. Allerdings muss man bei all diesen Modellen immer auch steuerrechtliche Themen beachten“, sagt RRPS-Betriebsratschef Thomas Bittelmeyer der „Schwäbischen Zeitung“. Er schließe nicht aus, dass die Dienstfahrräder irgendwann eingeführt werden könnten – doch überzeugten ihn die aktuellen Modelle nicht: „Es ist möglich, dass da auf den Arbeitnehmer einige Jahre nach dem Kauf Steuernachzahlungen zukommen.“Zum Schutz der Mitarbeiter wolle man ein Leasingmodell deshalb erst einführen, wenn es dahingehend zu 100 Prozent sicher sei, erklärt Bittelmeyer. Für die Beschäftigten bei RRPS gibt es aber eine Alternative: „Das Unternehmen und der Betriebsrat kooperieren stattdessen mit mehreren Fahrradhändlern aus der Region, die den Mitarbeitern besondere Konditionen beim Erwerb eines Fahrrads oder eines E-Bikes bieten“, schreibt ein Sprecher von RRPS auf Anfrage.
Marktführer Jobrad weist die Kritik derweil zurück. Die individuellen Einbußen bei der Rente seien minimal und ihnen stünden „vielfältige gesamtgesellschaftliche wie auch individuelle Positiveffekte gegenüber“, wie das Unternehmen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“erklärt. „Studien zeigen, dass jeder neue Radfahrer das Gesundheitssystem im Schnitt um 2000 Euro pro Jahr entlastet. Das übersteigt die verminderten Sozialabgaben um ein Vielfaches“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. In der Praxis zeige sich, dass das Modell für viele Beschäftigte ein Anstoß sei, tatsächlich auf das Fahrrad umzusteigen.
Auch Verdis Vorwürfe zur Versicherung der Räder streitet Jobrad ab: „Der Preis für unsere Jobrad-Vollkaskoversicherung entspricht dem anderer marktüblicher Fahrradversicherungen mit vergleichbarem Leistungsumfang“, erklärt die Sprecherin. Hinzu komme, dass über 80 Prozent der Arbeitgeber sich an den Kosten beteiligen – zum Beispiel, indem sie einen Teil der Leasingrate oder die Kosten für die Versicherung übernehmen. „Unternehmen, die einen Zuschuss gewähren, machen das Modell für ihre Mitarbeiter noch attraktiver“, sagt die Jobrad-Sprecherin.
Tatsächlich profitieren auch bei einigen Unternehmen in der Region die Mitarbeiter von solchen Zuschüssen. ZF in Friedrichshafen und Vetter in Ravensburg übernehmen die Versicherungskosten für ihre Beschäftigten. Vaude in Tettnang geht noch einen Schritt weiter und bezahlt neben der Versicherung auch die Raten für den sogenannten Full Service, welcher Inspektionen und Verschleißreparaturen beinhaltet. Bei dem Tettnanger Unternehmen kommt das gut an. „Insgesamt haben Vaude-Mitarbeitende 2019 mehr als 80 000 Kilometer mit dem Rad zur Arbeit zurückgelegt“, sagt VaudeSprecher Tröster. Das ist immerhin zwei Mal um die Welt.