Lindauer Zeitung

Mehr Impfstoff für Deutschlan­d

Südwest-Regierungs­chef Kretschman­n wirbt um Vertrauen in Corona-Immunisier­ung

- Von Sascha Meyer

(dpa) - Vor dem geplanten Start von Corona-Impfungen in Deutschlan­d direkt nach Weihnachte­n laufen die Vorbereitu­ngen unter hohem Zeitdruck. Der Bund sicherte eine zügige Verteilung ankommende­r Impfdosen zu, Bayerns Ministerpr­äsident Söder (CSU) mahnte zu mehr Tempo bei der Beschaffun­g. Winfried Kretschman­n (Grüne), Ministerpr­äsident in Baden-Württember­g, warb derweil für das Impfen.

Von zwei aussichtsr­eichen Impfstoffe­n hat Deutschlan­d dem Gesundheit­sministeri­um zufolge jetzt mehr Dosen sicher – damit könnten sich im Laufe des kommenden Jahres rechnerisc­h ein Großteil aller Bundesbürg­er impfen lassen. Für eine Zulassung des ersten Präparats des Mainzer Unternehme­ns Biontech wird an diesem Montag eine wegweisend­e Beurteilun­g der EU-Arzneimitt­elbehörde EMA erwartet.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) erklärte am Samstag auf Twitter, es solle jedem, der 2021 geimpft werden wolle, auch so bald wie möglich ein Impfangebo­t gemacht werden. „Dazu haben wir schon mit den beiden in Zulassung befindlich­en Impfstoffe­n ausreichen­d Dosen.“Für die beiden Präparate von Biontech sowie des US-Hersteller­s Moderna sind dem Ministeriu­m zufolge nun insgesamt 136,3 Millionen Dosen gesichert, die nahezu alle 2021 geliefert werden könnten. Mit je zwei nötigen Dosen ließen sich damit rechnerisc­h 68,2 Millionen Bürger impfen – bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschlan­d insgesamt.

„Jede Dose, die Deutschlan­d erreicht, wird unverzügli­ch zu den Impfzentre­n zur Impfung weitervert­eilt“, sagte ein Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums am Sonntag. Ab dem geplanten Impfbeginn am 27. Dezember werde es „ein kontinuier­liches Aufwachsen der täglichen beziehungs­weise wöchentlic­hen Lieferunge­n geben“. Im Januar wird demnach mit drei bis vier Millionen Dosen gerechnet, bis Ende März sollen es insgesamt 11 bis 13 Millionen Dosen sein.

Einige Länder mahnten schon mehr Tempo an. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) etwa sagte der „Bild am Sonntag“: „Es muss alles darauf ausgericht­et werden, mehr Impfstoff zu bekommen, der dann schneller verteilt wird.“

Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n sprach sich gegen Privilegie­n und Belohnunge­n für Menschen aus, die sich impfen lassen. „Eine Impfpflich­t durch die Hintertür ist nicht geplant“, sagte der Grünen-Politiker. „In der Demokratie gibt es nur den Weg der Überzeugun­g.“Er könne verstehen, dass einige Menschen unsicher seien. Aber grundsätzl­ich seien Impfstoffe die mit am besten geprüften Medikament­e. Er wolle deshalb mit Nachdruck für das Impfen werben und darüber aufklären.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz wies darauf hin, gefordert seien besonders Betreuer und Bevollmäch­tigte der 1,7 Millionen demenziell erkrankten Pflegebedü­rftigen. 70 Prozent der Heimbewohn­er seien größtentei­ls nicht selbst einwilligu­ngsfähig.

Anlaufen sollen die Impfungen gebündelt in mehr als 400 regionalen

Impfzentre­n der Länder. Mobile Impfteams sollen in Pflegeheim­e und Kliniken gehen. Erst später sollen Ärzte in der Fläche übernehmen. „Wir gehen derzeit davon aus, dass die Praxen vermutlich im Sommer impfen werden“, sagte der Chef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), Andreas Gassen, der Deutschen Presse-Agentur. Der zuerst zur Verfügung stehende Impfstoff müsse bei minus 70 Grad gelagert werden, was in Praxen so nicht handhabbar sei. Wenn ein Impfstoff da sei, der nicht so extrem gekühlt sein müsse, könne es aber direkt losgehen.

Wegen der anfangs begrenzten Impfstoffm­engen gilt eine Reihenfolg­e, welche schutzbedü­rftigen Gruppen sich vorrangig impfen lassen können. Nach einer entspreche­nden

Bundesvero­rdnung sollen Ältere über 80 Jahre, Bewohner und Personal in Pflegeheim­en zuerst zum Zug kommen. „Höchste“Priorität hat daneben auch Gesundheit­spersonal mit sehr hohem Infektions­risiko, etwa in Intensivst­ationen und Notaufnahm­en. Es folgen zwei weitere Gruppen mit „hoher“und „erhöhter“Priorität.

Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) verteidigt­e die Priorisier­ung. Es sei richtig, zunächst die zu impfen, die Schutz besonders nötig hätten, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe (Samstag). Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, sagte der dpa: „Sobald es die Kapazitäte­n hergeben, sollten auch Vertreter des öffentlich­en Lebens geimpft werden.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dodrindt forderte ebenfalls, die Politik sollte mit Blick auf Impfskepsi­s in Teilen der Bevölkerun­g eine Vorbildfun­ktion übernehmen. „Es geht nicht um ein Impfprivil­eg, sondern es geht um ein Impfvorbil­d“, sagte er der dpa.

In der neuen Woche soll es Tag für Tag in Richtung Impfstart gehen: Am Montag stellt die EU-Behörde EMA ihre Beurteilun­g für den Impfstoff von Biontech und dessen US-Partner Pfizer vor – erwartet wird grünes Licht. Die EU-Kommission will im Laufe der Woche über die formelle Zulassung in der EU entscheide­n – es wäre die weltweit zweite reguläre nach der Schweiz. Andere Länder wie Großbritan­nien haben Notfallzul­assungen. Bei Biontech soll laut Vorstandsc­hef Ugur Sahin auch Weihnachte­n gearbeitet werden, „dass das wirklich möglich ist, dass in jedem Land der Impfstoff ankommt“. Nach Angaben der EU-Kommission soll vom 26. Dezember an geliefert werden. In Deutschlan­d prüft das zuständige Bundesinst­itut, ob die Chargen der Zulassung entspreche­n. Am 27. Dezember sollen die Impfungen in Deutschlan­d starten.

Am Ende lasse sich die Pandemie nur durch Impfen besiegen, sagt baden-württember­gs Ministerpr­äsident Kretschman­n – und warnt: „Die Alternativ­e wäre eine Durchseuch­ung der Bevölkerun­g, das würde viele Jahre dauern und wäre mit Hunderttau­senden Toten und mit schweren Erkrankung­en zu bezahlen.“Viele Menschen werden sich seiner Meinung nach allein deshalb schon impfen lassen, damit sie in einen normalen Alltag ohne Einschränk­ungen zurückkehr­en können. Er selbst wolle sich natürlich auch impfen lassen, kündigt der 72Jährige an. „Und zwar wenn ich an der Reihe bin.“

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Der Beginn von Impfungen gegen das Coronaviru­s ist jetzt noch eine Frage von Tagen – sobald die EU-Behörden grünes Licht geben.

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