„Maria und Josef hatten sich die Geburt ihres Sohnes anders vorgestellt“
Weihbischof Karrer zu Gottesdiensten in der Weihnachtszeit, Lernkurven nach Ostern und „Kirche goes digital“
ROTTENBURG - Weihnachten kann trotz Corona stattfinden: anders als in den Vorjahren, aber auch feierlich „und mit dem besonderen Blick auf den Nächsten“, fordert der aus dem Allgäu stammende Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Matthäus Karrer, im Gespräch mit Ludger Möllers.
Herr Weihbischof, angesichts drastisch steigender Corona-Zahlen stellt sich die Frage: Wo ist eigentlich Gott in dieser Krise? Wo ist sein Handeln spürbar? Viele Menschen fühlen sich von Gott verlassen.
Sie stellen damit eine klassische Frage, die der Theologe die Theodizee-Frage nennt. Man kann sie nicht leicht beantworten, denn der Gott, an den wir glauben, ist kein Gott, der uns wie eine Marionette führt. Unser Auftrag ist es, die Welt in seinem, in Gottes Sinn, zu gestalten.
Geht es ein wenig konkreter?
Die Weihnachtsgeschichte selbst gibt die Antwort: Maria und Josef hatten sich die Geburt ihres Kindes gewiss anders vorgestellt als unterwegs, fern der Heimat, in Bethlehem. Sie hätten auch die Frage stellen können: Was soll das? Diese Frage haben sie aber nicht gestellt, sondern sie haben sich der Situation gestellt und sie gemeistert. Sie sind unsere Vorbilder.
Wo ist die Botschaft für das Corona-Weihnachten in diesem Jahr, in dem Besuche, persönliche Begegnungen und Traditionen so schwierig sind?
Die Botschaft hinter der Weihnachtsbotschaft, dass Gott Mensch geworden ist, lautet in diesem Corona-Jahr besonders: Schaut aufeinander! Bildet und sucht die Gemeinschaft, wo es geht. Kümmert euch umeinander! Seid füreinander da!
Woher beziehen Sie Kraft?
Ich finde Halt im Gebet, in der Lektüre der Bibel, bin auf Spaziergängen draußen in der Natur und habe den Rosenkranz für mich wiederentdeckt.
Ostern waren die Kirchen zwangsweise leer. Was ist passiert, dass nun Weihnachten Gottesdienste gefeiert werden dürfen?
Da gab es klare Signale. Nach Ostern, als die Gottesdienste ausfallen mussten, kam das Feedback aus den Reihen der Gläubigen: Gottesdienste sind wichtig, sie müssen Weihnachten stattfinden.
Und warum dürfen die Menschen im Südwesten in die Kirche gehen, die Bayern aber nicht?
Wir haben gelernt, aber auch die Politik hat eingesehen, dass die freie Ausübung der Religion Verfassungsrang hat. Dazu gehören eben auch Gottesdienste.
Und was ist mit der Ausgangssperre?
Anders als in Bayern dürfen bei uns Christmetten stattfinden: mit Abstand, mit Maske, ohne Gesang. Die Ausgangssperre gilt nicht für den Gottesdienstbesuch, der als triftiger Grund angesehen wird. Gott sei Dank auch an Heiligabend!
Zurück zu Ostern: Da gab es Prügel wegen angeblicher Untätigkeit.
Ostern waren wir schlicht nicht gut genug vorbereitet. Jetzt aber haben wir Zeit gehabt. Und an der Vorbereitung auf Weihnachten haben wir gearbeitet. Die Herausforderung war groß, die Kreativität beeindruckend.
Was erwartet uns?
Es wird klare und kurze Formate für Gottesdienste geben. In Ravensburg zum Beispiel, auf dem Marienplatz, können bis zu 200 Personen gemeinsam feiern: „Gottesdienste im Vorübergehen“.
Und wenn ich mein Haus nicht verlassen will?
Wir ermutigen hier zu häuslicher Gestaltung – Hausgottesdienste, kleine Krippenfeiern, man kann sich gestreamte Gottesdienste im Internet anschauen. Und auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben dazugelernt: Sie übertragen jetzt auch Kinderkrippenfeiern.
Was rät der Weihbischof? Christmette oder Streaming?
Jeder muss für sich selbst die Entscheidung treffen, ob er oder sie in den Gottesdienst geht oder nicht. Wir bieten Gottesdienste an, können dem religiösen Bedürfnis Angebote entgegensetzen. Sie müssen aber auch sehen, dass wir nicht nur liturgische Angebote bereithalten. Wir begleiten Alleinstehende. Der Bischof hat die Pfarrer gebeten, verlässliche Telefonzeiten für seelsorgerische Gespräche mit einsamen Menschen bekannt zu geben. Auch hier kann ich rückblickend sagen: Ostern war ein Schock, aus dem wir gelernt haben.
Was ist an Ostern schiefgelaufen?
Ostern waren die Abläufe in der Klinikseelsorge nicht eingespielt. Daher haben wir mit den Klinikseelsorgern gesprochen und sie gebeten, für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Und zwar nicht nur für Patienten, sondern auch für Pflegekräfte und Verwaltungsmitarbeiter.
Lassen Sie uns über die weitere Lernkurve reden. „Kirche goes digital“: Klappt das jetzt?
An vielen Stellen: ja. Ein Beispiel: Wir bieten mit dem Format „Hoffnungszeit“im Netz jeden Tag um 19.30 Uhr einen geistlichen Impuls an, bei dem die ganze Bandbreite der kirchlichen Berufungen deutlich wird, vom Betriebsseelsorger über die Jugendreferentin bis zum Bischof. 1000 bis 1500 Aufrufe jeden Abend beweisen, dass wir hier ein treues Publikum haben.
Und wo klappt es nicht?
Nach der Pandemie wird es viele Strukturen nicht mehr so geben wie vor der Pandemie. Ja, wir haben Abbrüche: Vor allem dort, wo beispielsweise Chöre schon vor der Pandemie überaltert waren, werden sie nicht wieder zusammenkommen. Das Ehrenamt wird sich wandeln. Es wird mehr punktuelle, eigenverantwortliche Engagements geben.
Gibt es ein Zurück in die analoge Kirchenwelt?
Die anderen, elektronischen Kanäle werden die bisherigen Kanäle ergänzen. Und die Menschen werden dort zurückkommen, wo die Qualität stimmt: in der Liturgie, in der Predigt, in der Musik.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Wo sind Sie an Weihnachten?
Ich bin Seelsorger und Priester, werde in meiner Heimat aushelfen und die Pfarrer im Allgäu unterstützen.