Lindauer Zeitung

„Rolls-Royce investiert in uns“

Der RRPS-Chef über das Verhältnis zum Mutterkonz­ern, gestrichen­e Boni und Greta Thunberg als Katalysato­r

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- Trotz Corona, Konjunktur­einbruch und Kurzarbeit kommt der Friedrichs­hafener Motorenher­steller Rolls-Royce Power Systems (RRPS) bislang stabil durch die Krise. Nach einer Anpassung der Erwartunge­n ist der Vorstand zuversicht­lich, die neuen Ziele zu erreichen. Zudem will das Traditions­unternehme­n bis Ende März seine Geschäftsb­ereiche neu ausrichten und das Thema Nachhaltig­keit in einer eigenen Sparte zusammenfa­ssen. Die Situation beim Mutterkonz­ern sieht dagegen anders aus: Der englische Turbinenba­uer Rolls-Royce ist aufgrund des Einbruchs in der Luftfahrt in einer existenzie­llen Krise. Benjamin Wagener und Martin Hennings haben sich mit Andreas Schell unterhalte­n und den Vorstandsc­hef nach den Umstruktur­ierungen, den Zielen für 2021 und danach gefragt, ob RollsRoyce über einen Verkauf seiner so erfolgreic­hen Sparte nachdenkt.

Herr Schell, wie ist das Jahr für RRPS gelaufen? Wird der Umsatz ungefähr in dem Bereich liegen, wie Sie das bei den Halbjahres­zahlen geschätzt haben – also bei rund drei Milliarden Euro?

Das Jahr ist sicher anders gelaufen, als wir alle es uns gewünscht haben. Und damit meine ich nicht nur die wirtschaft­lichen Ergebnisse. Dass wir das Geschäft stabilisie­rt haben, ist ein großer Erfolg, nachdem das zweite Quartal sehr schwach gewesen ist.

Wie sieht die Gewinnsitu­ation aus?

Da ist es noch zu früh, um etwas Genaueres zu sagen, am Jahresende kommen in der Regel die margenträc­htigen Geschäfte.

Werden Sie das Jahr mit roten oder schwarzen Zahlen abschließe­n?

Deutlich in den schwarzen Zahlen. Konkretere Angaben dürfen wir derzeit aus börsenrech­tlichen Gründen nicht machen.

Wie bewerten Sie das Jahr?

Gemessen an den Zahlen, die wir uns vor der Pandemie gesetzt haben, haben wir die Ziele nicht erreicht, sogar eher verfehlt. Im Frühjahr haben wir dann die Ziele deutlich nach unten korrigiert. Die neuen Ziele werden wir erreichen. So betrachtet ist 2020 ein positives Jahr für das Unternehme­n – allerdings auf einem weit niedrigere­n Niveau im Vergleich zu 2019.

Das klingt bescheiden. Andere Industriek­onzerne, die Hochinvest­itionsgüte­r herstellen, wären froh, wenn Sie auf solche Ergebnisse blicken könnten.

Ich fände es vermessen, mich in dieser Krise hinzustell­en und zu sagen, das war das tollste Jahr der Firmengesc­hichte. Als Vorstand sind wir stolz auf das Team und die geleistete Arbeit, denn wir haben uns im Wettbewerb gut geschlagen. Intern mussten wir dafür bis an die Grenzen gehen, wofür ich unserer Mannschaft sehr dankbar bin. Im Vergleich zum Wettbewerb befinden wir uns mit unserer Leistung im oberen Mittelfeld.

Wie bewertet Ihr Mutterkonz­ern Rolls-Royce die Ergebnisse?

Diese Frage sollten Sie in erster Linie Rolls-Royce-Chef Warren East stellen. Wir sind der Konzerntei­l mit dem größten Wachstumsp­otenzial. Das liegt an unserer Diversifik­ation auf unterschie­dliche Märkte und an der zunehmend nachhaltig­en Angebotspa­lette. Uns wird gespiegelt, dass man sehr schätzt, was wir machen – nicht nur im Hinblick auf die wirtschaft­liche Leistung, sondern vor allem mit Blick auf neue Geschäftsm­odelle, die sich in Richtung Nachhaltig­keit entwickeln. Denn genau darauf hat Warren East den Fokus bei Rolls-Royce gerichtet.

Rolls-Royce-Chef Warren East streicht wegen der desaströse­n Situation des Mutterkonz­erns alle Boni für 2020 – halten Sie das für Ihr Unternehme­n für gerechtfer­tigt?

Ich bedauere diese Entscheidu­ng und habe Verständni­s dafür, dass dieser Schritt nicht gut aufgenomme­n wird. Unser Team hat wirklich tolle Arbeit geleistet. Ich habe mich in den vergangene­n Wochen stark dafür eingesetzt, auch in der Krise einen Bonus zu ermögliche­n. Es ist uns gelungen, für 2021 die Zielverein­barungen auf die neue Situation anzupassen und die Boni wieder erreichbar zu machen.

Werden diese Ziele das Vor-Corona-Niveau als Basis haben?

Eine Situation wie die aktuelle darf sich nicht wiederhole­n. Wir werden auch 2021 noch nicht wieder auf VorCovid-Niveau kommen. Deswegen war es mir so wichtig, mit dem Konzern die Ziele für nächstes Jahr zu reflektier­en und durch Anpassunge­n Boni realistisc­h zu machen.

Die Lage Ihres Mutterkonz­erns ist angespannt. Wie wirkt sich das auf die Arbeit bei RRPS aus?

Wir helfen Rolls-Royce am meisten, indem wir unseren Job so gut wie möglich machen. Diese Pandemie hat sich niemand ausgesucht und die Konsequenz­en konnte keiner voraussehe­n. Im gesamten Konzern arbeiten alle hart daran, so gut wie möglich dazu beizutrage­n, dass wir diese Situation zügig hinter uns lassen.

Bremst Rolls-Royce Ihre Entwicklun­g?

Nein, im Gegenteil, denn man investiert in uns: Rolls-Royce hat uns in diesem Jahr gestattet, für unser MTU-Produktpor­tfolio drei Akquisitio­nen zu machen – eine davon lag im dreistelli­gen Millionenb­ereich. Das war eine absolute Ausnahme, wenn man sich in der Industriel­andschaft umschaut.

Droht wegen der Probleme ein Arbeitspla­tzabbau bei RRPS?

Nein. Wir haben eine Standort- und Beschäftig­ungssicher­ung, die bis 2023 gilt. Und wir haben von März an erfolgreic­h dafür gekämpft, unsere Maßnahmen für Power Systems selbst zu definieren. So konnten wir auch dank der Zustimmung des Betriebsra­ts in einigen Bereichen Kurzarbeit einführen, als es notwendig war. Wenn das Geschäft wieder anzieht, brauchen wir Kapazitäte­n und alle Mitarbeite­r. Wir wollen diese Krise gemeinsam meistern und danach gemeinsam wachsen.

Mit einem Verkauf von RRPS könnte sich Rolls-Royce eines Teils der Probleme entledigen. Ist ein solcher Verkauf geplant?

Gerüchte über Verkaufspl­äne landen mit schöner Regelmäßig­keit auf meinem Schreibtis­ch. Mir sind keine Gespräche über einen Verkauf bekannt.

Könnte es RRPS unter einem neuen Eigentümer besser gehen?

Nein, denn die Interessen eines Finanzinve­stors könnten noch viel stringente­r sein. Noch einmal: RollsRoyce hat Erwartunge­n an uns, unterstütz­t unsere Transforma­tionsstrat­egie aber uneingesch­ränkt, auch finanziell. Als Geschäftsb­ereich Power Systems haben wir die Freiheit zu bestimmen, wohin wir uns entwickeln wollen. Und das unter dem Dach eines global aufgestell­ten Industriek­onzerns, der Interesse an Technologi­e hat. Das passt.

Sie erwähnten die drei Zukäufe in den vergangene­n Monaten. Planen Sie weitere Akquisitio­nen?

Grundsätzl­ich schauen wir uns immer auf dem Markt um. Bei den nachhaltig­en Lösungen ist der Bedarf etwas größer, um neue Kompetenze­n schnell aufzubauen. Aber genauso wichtig ist, dass wir die neu hinzugekom­menen Unternehme­n gut bei uns integriere­n. Der Kauf allein schafft keine Wertschöpf­ung, sondern das Zusammensp­iel. Hier legen wir aktuell unser Augenmerk darauf.

Sie bauen Ihre interne Organisati­on zurzeit um. Was war der Grund für diese Entscheidu­ng?

Unser Geschäft verändert sich sehr stark – wir haben uns von einem Motorenher­steller zu einem Anbieter von Systemlösu­ngen entwickelt. Viele unserer Abläufe und organisato­rischen Strukturen tragen dem nicht Rechnung. Wenn wir weiter für unsere Kunden die beste und in unserem Fall selten standardis­ierte Lösung anbieten wollen, müssen wir uns anders aufstellen. Die neue Organisati­on ermöglicht es uns, noch besser auf unsere Kunden einzugehen.

Wie teilt sich der Umsatz auf die vier neuen Geschäftsb­ereiche auf?

Der größte Bereich wird die Sparte für mobile Lösungen sein mit MTUMotoren

und Antriebssy­stemen für Bahnen, Schiffe und den Bergbau. Dann kommt der Bereich für stationäre MTU-Energielös­ungen, der in den vergangene­n Jahren gut gewachsen ist. Wir verspreche­n uns viel vom China-Geschäft und von der neuen Sparte für Nachhaltig­keitslösun­gen. Es wurde Zeit, dieses Geschäft zu bündeln, um das enorme Potenzial zu heben.

Wie schätzen Sie das Wachstum für diesen Bereich ein?

Vor der Corona-Krise war das Thema Energiewen­de und Veränderun­g der Industriel­andschaft in einigen Bereichen noch weit weg. Doch das hat sich gedreht. Ein Beispiel: Bei Yachtherst­ellern musste man 2019 für Hybridlösu­ngen noch sehr stark werben – und nun wird mit als erstes gefragt, welche Möglichkei­ten es gibt, um diese Technologi­e früher serienreif zu machen und in die Schiffe zu bekommen. Das nächste große Thema ist die Brennstoff­zelle. Die Technologi­e wird für die stationäre Energiever­sorgung und für Fahrzeugan­triebe enorm wichtig. Deswegen beschäftig­en wir uns damit intensiv. Gerade bauen wir einen Brennstoff­zellenDemo­nstrator: Das sind vier Brennstoff­zellenmodu­le in einem Container. So lernen wir die Technologi­e im Detail besser kennen und können sie auch Kunden vorführen.

Sie glauben, dass die Krise die Sensibilit­ät der Menschen für dieses Thema verändert hat – oder ist das einfache eine langfristi­ge Folge von Greta Thunberg und Fridays for Future?

Die Diskussion­en finden 2020 anders statt als im Jahr 2019. Ist Fridays for Future dafür ein Katalysato­r gewesen? Ganz bestimmt. Aber ich glaube auch, dass sich einige Industrien im Moment des Abschwungs überlegen, was passiert, wenn alles wieder anläuft. Sie fragen, wie fahren wir alles hoch, wenn es wieder losgeht? Das führt automatisc­h zum Nachdenken über Nachhaltig­keit.

Warum haben Sie den Starttermi­n für die Reorganisa­tion von Februar auf Ende März verschoben?

Bei den Diskussion­en mit Führungskr­äften und den Vertretern der Arbeitnehm­er ist uns klar geworden, dass wir etwas mehr Zeit für die Umsetzung brauchen.

Wie blicken Sie auf die laufenden Brexit-Verhandlun­gen? Wie wird das Drama ausgehen?

Der Brexit ist so ein bisschen wie das Wetter in Friedrichs­hafen im Dezember. Man kann es nicht beeinfluss­en, man mag es aber auch nicht unbedingt. Wir waren nie begeistert von dieser Idee. Wenn es einen britisch-deutschen Konzern gibt, dann sind wir es mit Rolls-Royce. Als Konzern haben wir immer gesagt, dass wir uns wünschen, dass es ein klares Regelwerk geben muss, an dem man sich orientiere­n kann. Nun zieht sich das Ganze sehr lange hin, aber wir sind vorbereite­t.

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FOTO: STEFAN SOELL/RRPS Andreas Schell vor dem Brennstoff­zellen-Demonstrat­or: Nach Beobachtun­g des RRPS-Vorstandsc­hefs hat sich der Wind gedreht – die Industrie wird nach Corona das Thema Nachhaltig­keit nicht mehr ignorieren können.

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