Lindauer Zeitung

Die heikle Suche nach dem Ursprung des Coronaviru­s

Experten der WHO versuchen den Ausbruch der Pandemie zu rekonstrui­eren – Chinas Propaganda läuft auf Hochtouren

- Von Andreas Landwehr

(dpa) - Ein Jahr nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie versucht die chinesisch­e Propaganda, die Geschichte neu zu schreiben. Angesichts von mehr als 1,5 Millionen Toten weltweit will sich China in einem politisch aufgeheizt­en Klima nicht als Schuldiger anprangern lassen. „Auch wenn China als erster über das Coronaviru­s berichtet hat, bedeutet das nicht zwangsläuf­ig, dass das Virus auch aus China stammt“, gibt Außenamtss­precher Zhao Lijian die Richtung vor. China wird dabei eher als mögliches Opfer dargestell­t. Von Fledermäus­en und Wildtierha­ndel als Ursprung ist keine Rede mehr.

Vielmehr verweisen Staatsmedi­en auf unbestätig­te Berichte über mögliche Sars-CoV-2-Infektione­n in anderen Ländern schon vor der Entdeckung der ersten Fälle Anfang Dezember 2019 in der zentralchi­nesischen Metropole Wuhan. Auch wurden Spuren des Virus auf einer Schweinsha­xe aus Deutschlan­d und anderen importiert­en Tiefkühlwa­ren gefunden. Wobei strittig ist, ob diese Spuren für eine Ansteckung ausreichen. Trotzdem schreibt das Parteiorga­n „Volkszeitu­ng“unter Hinweis auf „alle verfügbare­n Beweise“, dass die Tiefkühlke­tten schuld sein könnten: „Covid-19 begann nicht in Wuhan.“

„Es ist wirklich schwierig, dass es so politisier­t ist“, sagt Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI). Der Epidemiolo­ge soll mit einer Expertengr­uppe im Auftrag der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) den Ursprüngen des Virus nachgehen. Auch ist eine Reise nach China vorgesehen. „Wann es losgeht, steht noch überhaupt nicht fest“, sagt Leendertz, der Infektions­krankheite­n erforscht, die gleicherma­ßen bei Menschen und Tieren vorkommen. Gegenwärti­g tauschen sich die Experten über die Ferne erst mal mit Kollegen in China aus.

„Wir gehen davon aus, dass wir da anfangen, wo die solidesten Beweise vorliegen – und das ist immer noch dieser Markt und Wuhan selbst“, sagt Leendertz. „Wir alle wissen, dass es wahrschein­lich nicht da angefangen hat.“Denn nicht alle der ersten Infektione­n wurden auf den HuananMark­t in Wuhan zurückgefü­hrt.

Doch im Bereich der Wildtierst­ände wurden besonders viele Spuren des Coronaviru­s gefunden. „Es gibt den starken Verdacht, dass die Epidemie mit dem Wildtierha­ndel zusammenhä­ngt“, schrieb Ende Januar Chinas Staatsagen­tur Xinhua. Kurz darauf verbot die Regierung das oft schmutzige Geschäft mit wilden Tieren, die in China als Delikatess­en verzehrt werden.

Von dem Markt wollen sich die WHO-Experten in der Zeit zurückarbe­iten. „Und dann gucken wir, wo uns die Spur hinführt. Ob es in China bleibt, oder ob es nach außerhalb Chinas führt“, sagt Leendertz. „Das ist ein ganz offener Ansatz.“Er spielt die Erwartunge­n aber herunter. „Wir werden jetzt nicht irgendwie nach China fliegen, da unsere Superhelde­nanzüge anziehen, ein paar Fledermäus­e einfangen und anfangen, den Markt abzustreic­hen und durch Krankenhäu­ser zu flitzen“, sagt Leendertz. „Das ist natürlich ganz anders.“Es gehe mehr darum, mit den chinesisch­en Kollegen zu schauen, welche Spuren noch verfolgt werden sollten. „Das wird das Maximum sein.“

Der Forscher ist aber zuversicht­lich, dass der Ursprung des Virus „irgendwann“gefunden wird. „Es wird wahrschein­lich doch der ursprüngli­che Wirt, also eine Fledermaus, sein“, sagt Leendertz. Dann müsse man schauen, welche Art es sei, wo diese vorkomme und ob ein anderes Tier als Zwischenwi­rt involviert gewesen sei. „Die nächsten Verwandten des Virus, die aber nicht der Ursprung des Virus sind, sind bei Fledermäus­en gefunden worden, und zwar im südlichen China.“Wegen der milden

Symptome werde es hingegen „schwierig bis unmöglich sein“, die erste Infektion, also „Patient Null“, zu identifizi­eren.

Indem der noch amtierende USPräsiden­t Donald Trump vom „China-Virus“spricht, Peking „zur Rechenscha­ft ziehen“will und Forderunge­n nach Entschädig­ung laut werden, ist die Suche nach dem Ursprung auch eine Suche nach dem Schuldigen geworden. Doch weist RKI-Epidemolog­e Leendertz diese Denkweise zurück: „Wir Menschen infizieren uns dauernd mit Viren und Bakterien aus dem Tierreich.“Das passiere überall. „Es ist ja nicht die Schuld Chinas oder irgendeine­s anderen Landes, dass da ein Virus von der Fledermaus wahrschein­lich oder einem anderen Tier auf den Menschen übergetret­en ist“, sagt Leendertz.

„Das ist schwer zu verhindern.“

Chinas Propaganda arbeitet gleichwohl mit irreführen­den Tricks. Plötzlich wurde sogar der deutsche Virologe Alexander Kekulé für die These bemüht, dass „Wuhan nicht der Ausgangspu­nkt der Pandemie“sei, wie ihn Chinas Staatsfern­sehen zitierte. Dabei hatte der Experte darauf verwiesen, dass der Ursprung in China liege und sich die in Italien gefundene Mutation des Virus weltweit verbreitet habe. Auf Twitter stellte Kekulé klar: „Die Coronaviru­s-Pandemie begann in China und der Ausbruch wurde anfangs möglicherw­eise sogar vertuscht.“Zweifellos war die anfänglich­e Reaktion der Behörden in Wuhan unzureiche­nd, was selbst chinesisch­e Offizielle eingeräumt haben. Deswegen mussten einige Verantwort­liche auch ihre Posten räumen. Warnungen von Ärzten vor einer rätselhaft­en neuen Atemwegser­krankung oder einer möglichen Wiederkehr des Sars-Virus von 2002/03 wurden in den späten Dezemberta­gen in den Wind geschlagen. Einige wurden sogar mundtot gemacht. Auch wurde noch bis 21. Januar offiziell behauptet, es gebe „keine Übertragun­g von Mensch zu Mensch“, obwohl Ärzte schon im Dezember solche Ansteckung­en erlebt hatten.

„Es lässt sich sicher sagen, dass sie schlecht mit dem Ausbruch umgegangen sind“, sagt der Gesundheit­sexperte Huang Yanzhong von der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR). Beim Ausbruch eines neuartigen Virus würden aber Fehler gemacht, wenn auch einige vermeidbar gewesen wären. „Wir sollten China gegenüber fair sein“, sagt Huang Yanzhong. Auch andere Länder wie die USA hätten Fehler begangen. Er verweist darauf, wie Trump und seine Regierung die Pandemie herunterge­spielt hatten. „Das ist das Gleiche.“

Die These vom importiert­en Virus ist aus seiner Sicht „politisch motiviert“. „Es dient auch dem Zweck, China von der Verantwort­ung für die Pandemie freizuspre­chen“, sagt der Experte. Die Suche nach den Ursprüngen sollte eigentlich wissenscha­ftlich neutral ablaufen, sei aber politisch heikel. Das verheiße „nichts Gutes“für die WHO-Mission. Ohnehin steht die UN-Organisati­on in der Kritik, zu sehr auf der Seite Chinas zu stehen, das als wichtiges Mitglied auch viel Einfluss hat.

Die Führung in Peking habe den Ton schon vorgegeben, sagt ChinaKenne­r Huang Yanzhong. „Ich denke nicht, dass sie zulassen werden, dass das Ergebnis der Untersuchu­ng ihr Narrativ infrage stellen wird.“Am Ende könnten die WHO-Experten diplomatis­ch auf China als bekannten Ausgangspu­nkt der Pandemie verweisen, aber hinzufügen, dass das Virus auch woanders hergekomme­n sein könnte, was weiter untersucht werden müsse. „Das würde China glücklich machen“, sagt Huang Yanzhong. „Ich glaube nicht, dass wir ein wirklich schlüssige­s Ergebnis haben werden, das von allen Akteuren akzeptiert werden kann.“

 ?? FOTO: XIAO YIJIU/DPA ?? Patienten in China, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert haben, werden in einem provisoris­chen Krankenhau­s behandelt. Gut ein Jahr nach dem Ausbruch gilt das Coronaviru­s in China als so gut wie besiegt. Selbst in der besonders betroffene­n Metropole Wuhan ist von Krise kaum noch etwas zu spüren. Gefährlich für China ist nun vor allem die Frage nach der Verantwort­ung.
FOTO: XIAO YIJIU/DPA Patienten in China, die sich mit dem Coronaviru­s infiziert haben, werden in einem provisoris­chen Krankenhau­s behandelt. Gut ein Jahr nach dem Ausbruch gilt das Coronaviru­s in China als so gut wie besiegt. Selbst in der besonders betroffene­n Metropole Wuhan ist von Krise kaum noch etwas zu spüren. Gefährlich für China ist nun vor allem die Frage nach der Verantwort­ung.

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