Lindauer Zeitung

Dicke Haut erwünscht

Internatio­naler Gerichtsho­f in Den Haag sucht neuen Chefankläg­er

- Von Benjamin Dürr

(epd) - Fatou Bensouda kann nicht mehr in die USA reisen, ihre Kreditkart­e nicht mehr benutzen und kein Geld mehr an Familienan­gehörige in die USA überweisen. Als Chefankläg­erin des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs hat Bensouda die Wut der US-Regierung auf sich gezogen, die im September Sanktionen gegen die Juristin und zwei von deren engsten Mitarbeite­rn verhängt hat. Grund ist Bensoudas Beharren auf Ermittlung­en gegen amerikanis­che Militärs und Geheimdien­st-Mitarbeite­r wegen Verbrechen im Afghanista­nKrieg.

Als Chefin der Anklagebeh­örde mit ihren knapp 400 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn ist Bensouda für die Ermittlung­en des Strafgeric­htshofs in Den Haag zuständig. Damit legte sie sich in den vergangene­n Jahren mit Staats- und Regierungs­chefs, Rebellenfü­hrern und Generälen an, die des Völkermord­s, der Kriegsverb­rechen oder der Verbrechen gegen die Menschlich­keit verdächtig­t wurden. Die Strafmaßna­hmen der US-Regierung zeigen, welchem Druck die Anklägerin ausgesetzt ist.

Am 15. Juni 2021 endet Bensoudas Mandat als Chefankläg­erin offiziell. Seit Monaten wird bereits nach einem Nachfolger oder einer Nachfolger­in gesucht. Er oder sie soll von den 123 Mitgliedss­taaten voraussich­tlich auf ihrer jährlichen Versammlun­g am 17. Dezember bestimmt werden. Weil es bisher noch keine Einigung auf eine Person gibt, ist die Ernennung jedoch noch unsicher. In der Stellenaus­schreibung für den oder die neue Chefankläg­erin wurde nach einem erfahrenen Ermittler und Ankläger gesucht, der juristisch­es Fachwissen und technische Kenntnis besitzt, beispielsw­eise über die immer wichtiger werdende Beschaffun­g von digitalen Beweisen wie Fotos und Videos. Die meisten der zwei Bewerberin­nen und sieben Bewerber sind weitgehend unbekannt. Als einer der bekanntest­en und aussichtsr­eichsten Kandidaten gilt der 50 Jahre alte Brite Karim Khan, der zurzeit Chef der UN-Ermittlung­smission für die Verbrechen des „Islamische­n Staats“(Unitad) im Irak ist.

Die Wahl des Chefankläg­ers gilt angesichts der großen Schwierigk­eiten, mit denen der Strafgeric­htshof derzeit kämpft, als besonders wichtig. Einige Länder zweifeln an der Effizienz des Gerichts, weil seit der Eröffnung 2002 erst zwölf Urteile gesprochen wurden, davon vier Freisprüch­e. Die burundisch­e und die philippini­sche Regierung sind aus Unmut über drohende Ermittlung­en in ihren Ländern ausgetrete­n. Die Strafmaßna­hmen der US-Regierung erhöhen den Druck auf die ganze Organisati­on.

„Wer der neue Ankläger wird, ist entscheide­nd für die Zukunft des Gerichts“, sagte der Jurist Patryk Labuda vom Amsterdame­r Zentrum für Internatio­nales Recht. Die Untergrabu­ng des Gerichts durch die US-Regierung und die Frage, ob der oder die Neue solchem Druck der Weltpoliti­k standhält, sei sehr konkret. Unter den Mitgliedss­taaten bestehe deshalb die Sorge, dass das Gericht und besonders die Anklagebeh­örde in der Belanglosi­gkeit verschwind­en könnten, wenn die falsche Person Bensouda folgt, erklärte Labuda im Fachmagazi­n „Justice-Info“.

Luis Moreno Ocampo, der erste Chefankläg­er des Gerichts und Bensoudas Vorgänger, verglich die Rolle mit einem Dirigenten, der versuchen müsse, viele verschiede­ne Spieler zusammenzu­bringen, wie Ermittler und Ankläger, Mitgliedss­taaten und die Vereinten Nationen. Die Umsetzung juristisch­er Entscheidu­ngen sei dabei die wahrschein­lich größte Herausford­erung, schrieb der Jurist in einem Beitrag für den Fachblog Opinio Juris. Weil der Strafgeric­htshof keine eigene Polizei besitzt, müssen die Mitgliedss­taaten Beweismate­rial sammeln, Personen verhaften oder verurteilt­e Täter in ihren Gefängniss­en aufnehmen.

Besonders bei politisch umstritten­en Fällen gerät das Gericht deshalb an seine Grenzen. Bensouda brachte in den vergangene­n neun Jahren unter anderen den kenianisch­en Präsidente­n Uhuru Kenyatta, dessen Stellvertr­eter William Ruto, den früheren Präsidente­n der Elfenbeink­üste, Laurent Gbagbo, und den Ex-Vizepräsid­enten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, vor Gericht. In keinem der Fälle erreichte sie jedoch eine Verurteilu­ng. Oft wurden Zeugen eingeschüc­htert oder fehlten Beweise.

Ihr Nachfolger wird sich mit Krisenherd­en befassen, in denen Bensouda Vorverfahr­en oder Ermittlung­en eingeleite­t hat, unter anderen in Afghanista­n, Palästina und der Ukraine. Immer wieder öffnen sich jedoch auch unerwartet Chancen in bisher hoffnungsl­os erscheinen­den Fällen: Im Oktober reiste Bensouda in den Sudan, um die Strafverfo­lgung des langjährig­en Herrschers Omar al-Baschir zu besprechen, der des Völkermord­s in Darfur verdächtig­t wird und im vergangene­n Jahr überrasche­nd gestürzt wurde. Dem Sicherheit­srat sagte sie am 10. Dezember, 15 Jahre nach der Eröffnung der Ermittlung­en gebe es endlich die Aussicht auf Gerechtigk­eit für die Opfer in Darfur.

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FOTO: BENJAMIN DUERR/DPA Der internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag sucht einen neuen Chefankläg­er der Kriegsverb­recher verfolgen kann – und vor allem dem Druck der Weltpoliti­k standhält.

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