Dicke Haut erwünscht
Internationaler Gerichtshof in Den Haag sucht neuen Chefankläger
(epd) - Fatou Bensouda kann nicht mehr in die USA reisen, ihre Kreditkarte nicht mehr benutzen und kein Geld mehr an Familienangehörige in die USA überweisen. Als Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs hat Bensouda die Wut der US-Regierung auf sich gezogen, die im September Sanktionen gegen die Juristin und zwei von deren engsten Mitarbeitern verhängt hat. Grund ist Bensoudas Beharren auf Ermittlungen gegen amerikanische Militärs und Geheimdienst-Mitarbeiter wegen Verbrechen im AfghanistanKrieg.
Als Chefin der Anklagebehörde mit ihren knapp 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Bensouda für die Ermittlungen des Strafgerichtshofs in Den Haag zuständig. Damit legte sie sich in den vergangenen Jahren mit Staats- und Regierungschefs, Rebellenführern und Generälen an, die des Völkermords, der Kriegsverbrechen oder der Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtigt wurden. Die Strafmaßnahmen der US-Regierung zeigen, welchem Druck die Anklägerin ausgesetzt ist.
Am 15. Juni 2021 endet Bensoudas Mandat als Chefanklägerin offiziell. Seit Monaten wird bereits nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin gesucht. Er oder sie soll von den 123 Mitgliedsstaaten voraussichtlich auf ihrer jährlichen Versammlung am 17. Dezember bestimmt werden. Weil es bisher noch keine Einigung auf eine Person gibt, ist die Ernennung jedoch noch unsicher. In der Stellenausschreibung für den oder die neue Chefanklägerin wurde nach einem erfahrenen Ermittler und Ankläger gesucht, der juristisches Fachwissen und technische Kenntnis besitzt, beispielsweise über die immer wichtiger werdende Beschaffung von digitalen Beweisen wie Fotos und Videos. Die meisten der zwei Bewerberinnen und sieben Bewerber sind weitgehend unbekannt. Als einer der bekanntesten und aussichtsreichsten Kandidaten gilt der 50 Jahre alte Brite Karim Khan, der zurzeit Chef der UN-Ermittlungsmission für die Verbrechen des „Islamischen Staats“(Unitad) im Irak ist.
Die Wahl des Chefanklägers gilt angesichts der großen Schwierigkeiten, mit denen der Strafgerichtshof derzeit kämpft, als besonders wichtig. Einige Länder zweifeln an der Effizienz des Gerichts, weil seit der Eröffnung 2002 erst zwölf Urteile gesprochen wurden, davon vier Freisprüche. Die burundische und die philippinische Regierung sind aus Unmut über drohende Ermittlungen in ihren Ländern ausgetreten. Die Strafmaßnahmen der US-Regierung erhöhen den Druck auf die ganze Organisation.
„Wer der neue Ankläger wird, ist entscheidend für die Zukunft des Gerichts“, sagte der Jurist Patryk Labuda vom Amsterdamer Zentrum für Internationales Recht. Die Untergrabung des Gerichts durch die US-Regierung und die Frage, ob der oder die Neue solchem Druck der Weltpolitik standhält, sei sehr konkret. Unter den Mitgliedsstaaten bestehe deshalb die Sorge, dass das Gericht und besonders die Anklagebehörde in der Belanglosigkeit verschwinden könnten, wenn die falsche Person Bensouda folgt, erklärte Labuda im Fachmagazin „Justice-Info“.
Luis Moreno Ocampo, der erste Chefankläger des Gerichts und Bensoudas Vorgänger, verglich die Rolle mit einem Dirigenten, der versuchen müsse, viele verschiedene Spieler zusammenzubringen, wie Ermittler und Ankläger, Mitgliedsstaaten und die Vereinten Nationen. Die Umsetzung juristischer Entscheidungen sei dabei die wahrscheinlich größte Herausforderung, schrieb der Jurist in einem Beitrag für den Fachblog Opinio Juris. Weil der Strafgerichtshof keine eigene Polizei besitzt, müssen die Mitgliedsstaaten Beweismaterial sammeln, Personen verhaften oder verurteilte Täter in ihren Gefängnissen aufnehmen.
Besonders bei politisch umstrittenen Fällen gerät das Gericht deshalb an seine Grenzen. Bensouda brachte in den vergangenen neun Jahren unter anderen den kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta, dessen Stellvertreter William Ruto, den früheren Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, und den Ex-Vizepräsidenten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, vor Gericht. In keinem der Fälle erreichte sie jedoch eine Verurteilung. Oft wurden Zeugen eingeschüchtert oder fehlten Beweise.
Ihr Nachfolger wird sich mit Krisenherden befassen, in denen Bensouda Vorverfahren oder Ermittlungen eingeleitet hat, unter anderen in Afghanistan, Palästina und der Ukraine. Immer wieder öffnen sich jedoch auch unerwartet Chancen in bisher hoffnungslos erscheinenden Fällen: Im Oktober reiste Bensouda in den Sudan, um die Strafverfolgung des langjährigen Herrschers Omar al-Baschir zu besprechen, der des Völkermords in Darfur verdächtigt wird und im vergangenen Jahr überraschend gestürzt wurde. Dem Sicherheitsrat sagte sie am 10. Dezember, 15 Jahre nach der Eröffnung der Ermittlungen gebe es endlich die Aussicht auf Gerechtigkeit für die Opfer in Darfur.