Alles wieder auf Null?
Der neue Mobilitätsbeauftragte will die Zukunft des ÖPNV in Kempten „neu denken“
- Stefan Thiemann schwebt zunächst einmal eine leere Karte vor. Darauf: die Stadt Kempten mitsamt Umland. Auf Basis dieser Karte will der neue Mobilitätsbeauftragte des Kemptener Stadtrats den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) neu denken. Er will von vorne beginnen, um bei dem Thema voranzukommen – und dabei auch Bürger einbinden.
Während der Klausurtagung Ende September habe der Stadtrat beschlossen, dass Kempten bis 2035 klimaneutral wird. „Unter diesem übergeordneten Ziel ist es unumgänglich, einen wichtigen CO2-Treiber, namentlich die Anzahl der Verbrennungsmotoren für den Verkehr, drastisch zu reduzieren“, begründet Thiemann seinen Antrag mit dem Titel „ÖPNV-Angebotskonzept – Entscheidungsfindung“. Im Mobilitätskonzept der Stadt sei überdies das Ziel festgehalten, dass sich private Auto-Fahrten innerhalb der Innenstadt verringern. Zudem sollen umweltfreundliche Verkehrsmittel stärker genutzt werden.
Verschiedene Konzepte, um diese Ziele zu erreichen, seien aus unterschiedlichen Gründen verworfen oder nicht in die Tiefe diskutiert worden. Als Beispiele nennt Thiemann Regionalbahn und Stadtseilbahn sowie das im Mobilitätskonzept verankerte Buskonzept. Momentan verfolge Kempten letztlich keinen nachhaltigen und tragfähigen Kurs. Deswegen will der Mobilitätsbeauftragte, dass die Stadt den Arbeitskreis „ÖPNV neu definieren“ins Leben ruft. Mit dabei sollen aus seiner Sicht sein: Mitglieder des Mobilitätsausschusses, Vertreter der Stadtverwaltung, des Einzelhandels und des produzierenden Gewerbes, externe Experten und Bürger sowie Vertreter aus dem Oberallgäu.
Das Ziel des Arbeitskreises soll eine Studie sein über Zielgruppen, das Einzugsgebiet, Technologien, Streckenführungen, die Aufteilung von Verkehrsräumen sowie die Wirtschaftlichkeit. Der GrünenStadtrat will das Thema ergebnisoffen angehen, sagt er. Auch was die Technologien angeht – „insofern der Kosten-Nutzen-Faktor passt“. Die Studie soll spätestens im ersten Quartal 2022 fertig sein. Im Anschluss soll es an die Umsetzung des gemeinsam erarbeiteten neuen ÖPNV-Konzepts gehen.
Bei „Null“möchte Thiemann anfangen, weil die aktuelle ÖPNVStruktur Kemptens in einer Zeit gewachsen sei, in der der Fokus auf den motorisierten Individualverkehr gerichtet gewesen sei. „Potenziale zur Steigerung der Attraktivität und des Ausbaus des ÖPNV wurden entsprechend wenig berücksichtigt.“Auf Basis einer gewachsenen und begrenzten Struktur sei es nahezu unmöglich, einen modernen und zukunftsfähigen ÖPNV aufzubauen. Thiemann will mit seinem Antrag allerdings nicht das Mobilitätskonzept infrage stellen, sondern sieht die Studie als Erweiterung, „um ein zukunftsfähiges Angebotskonzept nach modernen Maßstäben zu verwirklichen“.
„Super, dass wir die sachliche Arbeit wieder aufnehmen“, sagt CSU-Fraktionsvorsitzender Helmut Berchtold zu dem Antrag. Er fürchte zwar, dass es nicht ganz so einfach werde, wie von Thiemann formuliert. Doch er freue sich auf einen Neubeginn der Diskussion.
Im Bereich der Verkehrsgestaltung habe Kempten die größten Defizite, was Modernität und Klimaschutz angeht, sagt GrünenFraktionsvorsitzender Thomas Hartmann. Die Auffassungen hierzu gingen stark auseinander. Aus seiner Sicht sei aber auch in der jüngsten Vergangenheit eine sachliche Zusammenarbeit möglich gewesen. „Aber es kann nicht sein, dass alles einfach so weitergemacht wird wie bisher.“Man müsse neu denken, statt Altes zu verbessern, „sonst kommen wir nicht weiter“.
Der ÖPNV in Kempten, aber auch im gesamten Allgäu, müsse in den kommenden Jahren von Grund auf neu strukturiert werden und stehe ganz oben auf der politischen Agenda der Stadt, kommentiert Oberbürgermeister Thomas Kiechle den Vorschlag Thiemanns. Insofern sei es ein Muss, den Nahverkehr neu zu denken. „Und das tun wir bereits.“Gute Ideen seien dabei stets willkommen, sagt Kiechle. „Insofern stößt der Antrag auf offene Türen.“