Lindauer Zeitung

Ein Vorgeschma­ck aufs Himmelreic­h

Geschichte­n rund um den bunten Teller unter dem Weihnachts­baum

- Von Florian Riesterer

Es ist eine Kindheitse­rinnerung: Jedes Jahr standen bei Oma unterm Weihnachts­baum die bunten Teller – Schokolade­nkringel, Kugeln und Plätzchen, liebevoll drapiert auf Pappteller­n, die mit bunten Weihnachts­motiven bedruckt sind. Nie fehlen durften Walnüsse und eine einzelne Mandarine. Nach Weihnachte­n landete der bunte Papp-Motivtelle­r dann im Schrank, um im nächsten Jahr wieder gefüllt aufzutauch­en.

Der sogenannte Gabentelle­r oder auch bunte Teller fußt auf einer Tradition des Nikolausfe­sts, erklärt Manfred Becker-Huberti, Theologe und Brauchtums­forscher: „Im Mittelalte­r warfen sich die Menschen am Vorabend des 6. Dezember Geschenke zum Fenster hinein.“Später wurden die Hosen und Strümpfe, die abends am Kamin trockneten, Schuhe oder gebastelte Schiffchen für die Nikolausga­ben genutzt. Schließlic­h war Nikolaus auch der Patron der Seefahrer.

Teller waren anfangs noch unbekannt. „Im Mittelalte­r aßen alle die Suppe aus einem großen gemeinsame­n Topf.“Die ersten Teller kamen im 17. und 18. Jahrhunder­t auf, erklärt Becker-Huberti, „sie markierten den Beginn der Moderne.“Ins 19. Jahrhunder­t fällt die Entstehung des Lieds „Lasst uns froh und munter sein“mit den Zeilen: „Dann stell ich den Teller raus, Niklaus legt gewiss was drauf“.

Der Pappteller wurde dann Ende der 1860er-Jahre erfunden. Heinrich Henschel, ein Buchbinder­meister aus dem brandenbur­gischen Luckenwald­e, machte sich damals Gedanken über das hygienisch­e Verpacken von Lebensmitt­eln. „Fisch und Fleisch wurde immer in Zeitungen eingepackt“, sagt Roman Schmidt, Leiter des Heimatmuse­ums Luckenwald­e.

Doch die Druckersch­wärze hat auf das Essen abgefärbt. Henschel habe daraufhin mit der Druckpress­e und Holzschlif­f, Fasermater­ial aus Cellulose, experiment­iert – und sei eher per Zufall auf den Pappteller gestoßen. 1867 meldete er sein Patent an. Aus der Buchbinder­werkstatt entwickelt­e sich eine Papierware­nfabrik.

Längst wurde der Teller nicht mehr nur zu Nikolaus befüllt, sondern auch an Weihnachte­n. Und das hat auch mit Martin Luther zu tun: Er hatte in der Reformatio­n die katholisch­e Heiligenve­rehrung bekämpft und sich für das Christkind als Gabenbring­er an Heiligaben­d starkgemac­ht, das genauso „unerkannt und ungesehen“die Kinder glücklich macht wie der heilige Nikolaus, berichtet Theologe Becker-Huberti. Ob Luther das Christkind tatsächlic­h „erfunden“hat, darüber sind sich die Foscher nicht einig. Fakt ist, dass mit der Bescherung an Heiligaben­d einiges an Tradition übernommen wurde – und so wohl eben auch der Teller mit Süßem.

Er nimmt auch Neujahrsbr­auchtum auf. Im Mittelalte­r galt den Menschen ein Spruch des Kirchenleh­rers Augustinus: „Aller Anfang geht mit.“Der Beginn einer Sache sollte über ihren weiteren Fortgang bestimmen. Wer es sich also in den letzten Tagen des alten Jahres mit Süßem gut gehen ließ, den erwartete ein reich beschenkte­s neues Jahr. Und schließlic­h seien die Süßigkeite­n als Vorgeschma­ck auf das Himmelreic­h zu deuten.

Rita Breuer aus Wenden im Sauerland besitzt einige Hundert Weihnachts­teller, viele davon aus Pappe. „Die ersten Weihnachts­teller, die ich als Kind in den Händen hielt, waren noch echte Lithografi­en, das waren Künstlerst­ücke“, sagt Breuer. Sie fing in den 1960er-Jahren an, die Teller zu sammeln. Anlass war ein Weihnachts­fest, zu dem sie einen Baum „wie zu Großmutter­s Zeiten“gestalten wollte und in Kartons kramte.

Sie stellte dabei auch fest, wie sich am Weihnachts­schmuck politische oder gesellscha­ftliche Strömungen ablesen ließen. Mit ihrer Tochter organisier­te sie Ausstellun­gen. „Von wegen Heilige Nacht! – Weihnachte­n in der politische­n Propaganda“war unter anderem im NSDokument­ationszent­rum Köln zu sehen. Die Schau „Die Nacht der bunten Teller“zeigten Breuer und ihre Tochter auch in Museen in Hessen und Rheinland-Pfalz.

In der DDR waren christlich­e Motive verboten. Das war auch die Vorgabe

Manfred Becker-Huberti, Theologe und Brauchtums­forscher

für den Grafiker Gerd Gebert aus Luckenwald­e, als er zu DDR-Zeiten für die Gestaltung von Weihnachts­pappteller­n angefragt wurde. „Engel, Jesuskind, die Heilige Familie, ja sogar Glocken, das ging nicht“, sagt Museumslei­ter Roman Schmidt. Grafiker Gebert habe sich deshalb mit dem Weihnachts­baum, dem Schneemann oder spielenden Kindern beholfen.

Sammlerin Breuer besitzt auch DDR-Weihnachts­teller mit der Mondlandun­g oder Jubiläen von Jugendgrup­pen: „Das war alles unverfängl­ich.“Den Gabentelle­r füllten nicht der Nikolaus und das Christkind, sondern Väterchen Frost oder das Schneemädc­hen.

Noch immer bekomme sie Teller zugeschick­t, sagt die 81-Jährige Breuer. Sie findet gerade die vielbenutz­ten spannend – „mit den Fettflecke­n vom Gebäck oder der Schokolade“. Eine Mutter hatte die Namen der Kinder auf die Teller geschriebe­n, „das haben wir so in der Vitrine ausgestell­t.“(epd)

„Die Tradition des Gabentelle­rs geht auf alte Nikolausbr­äuche zurück.“

 ?? FOTO: AKG-IMAGES/EPD ?? Der bunte Teller mit Plätzchen, Schokokrin­geln und anderen Süßigkeite­n gehört für viele zu Weihnachte­n wie der Tannenbaum. Unser Bild zeigt einen Weihnachts­teller aus Pappe aus dem Jahr 1930.
FOTO: AKG-IMAGES/EPD Der bunte Teller mit Plätzchen, Schokokrin­geln und anderen Süßigkeite­n gehört für viele zu Weihnachte­n wie der Tannenbaum. Unser Bild zeigt einen Weihnachts­teller aus Pappe aus dem Jahr 1930.

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