„Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht“
Wie wird das mit Weihnachten, dieses Jahr? Die Frage treibt mich seit Wochen um. Und viele andere fragen genauso.
Nachdem die Corona-Pandemie in den Sommerwochen in den Hintergrund getreten, ja fast vergessen worden war, flammte sie im Herbst wieder auf. Anfängliche Ansagen, dass auch wir hier in Deutschland uns auf rasant steigende Zahlen einstellen müssen, wurden nicht für wahr gehalten oder erst gar nicht gehört. Bis dann Anfang November erste Maßnahmen ergriffen und vor gut einer Woche ein neuer Lockdown verordnet wurde. Nun sind viele enttäuscht, weil das Einkaufen von Geschenken unmöglich wurde. Und auch die vertrauten Begegnungen mit lieben Menschen an Weihnachten sind – wenn überhaupt – nur unter strengen Auflagen möglich. Aber noch viel stärker sind die Menschen betroffen, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. In vielen Bereichen wurden Hygienekonzepte entwickelt, die das Leben und Arbeiten wieder möglich gemacht haben. Das alles scheint jetzt vergeblich zu sein.
Und in unseren Kliniken begegnen wir Seelsorgerinnen und Seelsorger tagtäglich Menschen, die sehr schwer, oft genug lebensgefährlich erkrankt sind, die auf eine Wende zum Guten hoffen. So mancher kann sich über die Heilung seiner Krankheit freuen. Aber trotz aller ärztlichen Kunst sterben Menschen, weil es für sie keine Heilung gab. Und wir erleben Pflegende und Ärzte, die schon lange am Limit ihrer eigenen
Kräfte arbeiten, weil zum gewohnten Alltagsbetrieb auch noch die Versorgung der an Covid19 Erkrankten gekommen ist. Das hat Umstrukturierungen in der Klinikorganisation, veränderte Personalplanungen und eine vermehrte Aufmerksamkeit für Hygienestandards nach sich gezogen.
Das sind nur ein paar wenige Schlaglichter auf unsere Lebenssituation. Es gibt noch viel mehr Beispiele. Die lassen sich am deutlichsten mit dem Wort „Katastrophe“(d.h. Zusammenbruch) beschreiben.
Ich suche nach Haltepunkten in dieser großen Verunsicherung. Die finde ich im Alten Testament beim Propheten Jesaja. Der hatte in seiner Zeit die schwierige Aufgabe, den Menschen Mut zu machen. Es gab ein heilloses Durcheinander damals in seinem Land. Maßlose Machtpolitik hatte zum Untergang Israels geführt. Und Jesaja hatte die knifflige Aufgabe, den Menschen zu sagen: „Gott ist trotzdem da“. Jesaja spart zunächst nicht mit Mahnung und Schelte. Aber er schildert auch Gottes Nähe mit eindrücklichen Bildern: „Aus einem Baumstumpf wird neues
Leben wachsen“sagt er zum Beispiel, oder „die Wüste wird zu blühen anfangen!“Diese Bilder haben an den Erfahrungen der Menschen angeknüpft. Immer wieder konnten sie erleben, dass aus einem gefällten Baum ein neuer Ast wächst, der sogar Blätter trägt. Und wenn in der Wüste Regen fällt, wachsen in kürzester Zeit Pflanzen und beginnen zu blühen.
Texte aus dem Buch Jesaja wurden schon oft in den Gottesdiensten während der Adventszeit vorgelesen. Und im Gottesdienst heute Abend kommt ebenfalls ein JesajaText dran (Jes 9, 1-6). „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschatten wohnen, strahlt ein Licht auf.“(9,1) So beginnt er. Dann gestaltet Jesaja aus verschiedenen Teilen, die wieder an Erfahrungen der Menschen anknüpfen, ein Kontrastbild zum Alltag mit seinen schrecklichen Erfahrungen: Menschen freuen sich über eine reiche Ernte, der Stock des Treibers wird zerbrochen, der Kampfstiefel und der blutverschmierte Mantel eines Kämpfers werden verbrannt. Das alles, weil ein Kind geboren wurde. Dieses Kind ist ein neuer Herrscher, unter dem das Leben ganz anders wird.
Diese Bilder haben auf dem Hintergrund der katastrophalen Erfahrungen, die Jesaja und seine Zeitgenossen machen mussten, eine starke Aussagekraft: Es wird eine Veränderung zum Guten geben, das Leben wird anders werden. Es gibt neue Zukunft.
Begründung: „Der Herr der Heerscharen wird das vollbringen.“Garant dieser Zukunft ist und bleibt also Gott allein.
Zwar erfahren wir gerade hier bei uns keine brutale Militärgewalt. Und der Text des Jesaja ist über 2700 Jahre alt. Aber in unserer momentanen Katastrophe trösten mich seine Worte und stärken in mir die Hoffnung, dass unser Leben wieder anders werden kann und wird. Diese Hoffnung kann ich in den alltäglichen Begegnungen bei meinem Dienst als Klinikseelsorger weitergeben. Wenn ich bei den Kranken bin, ein offenes Ohr habe für ihre Sorgen, Ängste, Befürchtungen; wenn ich mit ihnen nach ihren eigenen Kraftquellen suche, die sie bestärken auf ihrem Weg; wenn ich mit Gebet und Segen oder in der Feier der Gottesdienste sie Gottes Nähe spüren lasse. Wenn ich mir Zeit nehme für Gespräche mit den Pflegenden und Ärzten, aufmerksam bin für ihre Sorgen und Fragen und ihnen Wertschätzung für ihren Dienst entgegenbringe.
Dann geht für mich das Bild des Jesaja mit mir: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht.“