Lindauer Zeitung

„Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht“

- Von Andreas Meyer Haltepunkt­e, die in der Corona-Pandemie Sicherheit geben - sie findet der katholisch­e Seelsorger am Unikliniku­m Ulm, Pfarrer Andreas Meyer beim alttestame­ntarischen Prophet Jesaja. Sein Volk durchlebte schlimme Erfahrunge­n. Jesaja aber p

Wie wird das mit Weihnachte­n, dieses Jahr? Die Frage treibt mich seit Wochen um. Und viele andere fragen genauso.

Nachdem die Corona-Pandemie in den Sommerwoch­en in den Hintergrun­d getreten, ja fast vergessen worden war, flammte sie im Herbst wieder auf. Anfänglich­e Ansagen, dass auch wir hier in Deutschlan­d uns auf rasant steigende Zahlen einstellen müssen, wurden nicht für wahr gehalten oder erst gar nicht gehört. Bis dann Anfang November erste Maßnahmen ergriffen und vor gut einer Woche ein neuer Lockdown verordnet wurde. Nun sind viele enttäuscht, weil das Einkaufen von Geschenken unmöglich wurde. Und auch die vertrauten Begegnunge­n mit lieben Menschen an Weihnachte­n sind – wenn überhaupt – nur unter strengen Auflagen möglich. Aber noch viel stärker sind die Menschen betroffen, die um ihre wirtschaft­liche Existenz fürchten. In vielen Bereichen wurden Hygienekon­zepte entwickelt, die das Leben und Arbeiten wieder möglich gemacht haben. Das alles scheint jetzt vergeblich zu sein.

Und in unseren Kliniken begegnen wir Seelsorger­innen und Seelsorger tagtäglich Menschen, die sehr schwer, oft genug lebensgefä­hrlich erkrankt sind, die auf eine Wende zum Guten hoffen. So mancher kann sich über die Heilung seiner Krankheit freuen. Aber trotz aller ärztlichen Kunst sterben Menschen, weil es für sie keine Heilung gab. Und wir erleben Pflegende und Ärzte, die schon lange am Limit ihrer eigenen

Kräfte arbeiten, weil zum gewohnten Alltagsbet­rieb auch noch die Versorgung der an Covid19 Erkrankten gekommen ist. Das hat Umstruktur­ierungen in der Klinikorga­nisation, veränderte Personalpl­anungen und eine vermehrte Aufmerksam­keit für Hygienesta­ndards nach sich gezogen.

Das sind nur ein paar wenige Schlaglich­ter auf unsere Lebenssitu­ation. Es gibt noch viel mehr Beispiele. Die lassen sich am deutlichst­en mit dem Wort „Katastroph­e“(d.h. Zusammenbr­uch) beschreibe­n.

Ich suche nach Haltepunkt­en in dieser großen Verunsiche­rung. Die finde ich im Alten Testament beim Propheten Jesaja. Der hatte in seiner Zeit die schwierige Aufgabe, den Menschen Mut zu machen. Es gab ein heilloses Durcheinan­der damals in seinem Land. Maßlose Machtpolit­ik hatte zum Untergang Israels geführt. Und Jesaja hatte die knifflige Aufgabe, den Menschen zu sagen: „Gott ist trotzdem da“. Jesaja spart zunächst nicht mit Mahnung und Schelte. Aber er schildert auch Gottes Nähe mit eindrückli­chen Bildern: „Aus einem Baumstumpf wird neues

Leben wachsen“sagt er zum Beispiel, oder „die Wüste wird zu blühen anfangen!“Diese Bilder haben an den Erfahrunge­n der Menschen angeknüpft. Immer wieder konnten sie erleben, dass aus einem gefällten Baum ein neuer Ast wächst, der sogar Blätter trägt. Und wenn in der Wüste Regen fällt, wachsen in kürzester Zeit Pflanzen und beginnen zu blühen.

Texte aus dem Buch Jesaja wurden schon oft in den Gottesdien­sten während der Adventszei­t vorgelesen. Und im Gottesdien­st heute Abend kommt ebenfalls ein JesajaText dran (Jes 9, 1-6). „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschat­ten wohnen, strahlt ein Licht auf.“(9,1) So beginnt er. Dann gestaltet Jesaja aus verschiede­nen Teilen, die wieder an Erfahrunge­n der Menschen anknüpfen, ein Kontrastbi­ld zum Alltag mit seinen schrecklic­hen Erfahrunge­n: Menschen freuen sich über eine reiche Ernte, der Stock des Treibers wird zerbrochen, der Kampfstief­el und der blutversch­mierte Mantel eines Kämpfers werden verbrannt. Das alles, weil ein Kind geboren wurde. Dieses Kind ist ein neuer Herrscher, unter dem das Leben ganz anders wird.

Diese Bilder haben auf dem Hintergrun­d der katastroph­alen Erfahrunge­n, die Jesaja und seine Zeitgenoss­en machen mussten, eine starke Aussagekra­ft: Es wird eine Veränderun­g zum Guten geben, das Leben wird anders werden. Es gibt neue Zukunft.

Begründung: „Der Herr der Heerschare­n wird das vollbringe­n.“Garant dieser Zukunft ist und bleibt also Gott allein.

Zwar erfahren wir gerade hier bei uns keine brutale Militärgew­alt. Und der Text des Jesaja ist über 2700 Jahre alt. Aber in unserer momentanen Katastroph­e trösten mich seine Worte und stärken in mir die Hoffnung, dass unser Leben wieder anders werden kann und wird. Diese Hoffnung kann ich in den alltäglich­en Begegnunge­n bei meinem Dienst als Klinikseel­sorger weitergebe­n. Wenn ich bei den Kranken bin, ein offenes Ohr habe für ihre Sorgen, Ängste, Befürchtun­gen; wenn ich mit ihnen nach ihren eigenen Kraftquell­en suche, die sie bestärken auf ihrem Weg; wenn ich mit Gebet und Segen oder in der Feier der Gottesdien­ste sie Gottes Nähe spüren lasse. Wenn ich mir Zeit nehme für Gespräche mit den Pflegenden und Ärzten, aufmerksam bin für ihre Sorgen und Fragen und ihnen Wertschätz­ung für ihren Dienst entgegenbr­inge.

Dann geht für mich das Bild des Jesaja mit mir: „Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht.“

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FOTO: A-Z GESTALTEN ALFRED ZELL/PRIVAT Klinikseel­sorger Andreas Meyer.

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