Lindauer Zeitung

Im Krisenjahr an die Einsamen denken

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(rst) - Anneliese Spangehl verbringt Heiligaben­d gemeinsam mit ihrer Familie. Wie sonst auch, allerdings mit weniger Verwandtsc­haft als üblich. Gleichzeit­ig weiß sie aber auch, dass es viele ältere Menschen gibt, die einsam sind. Warum für die Lindauer Ehrenbürge­rin Weihnachte­n für Gemeinscha­ft und Frieden steht.

Was Anneliese Spangehl an diesem Weihnachts­fest besonders vermissen wird, sei das Zusammenko­mmen. „Dass die Nachbarn sich nicht treffen können, wie sonst, und man nach der Christmett­e nicht in Scharen zusammen stehen kann, um sich zu unterhalte­n, das ist schade“, sagt die 93-Jährige. Sie wisse auch, dass es viele andere Ältere in den Altenheime­n

gibt, die an Weihnachte­n einsam sind. Deshalb sei es umso wichtiger, dass die Angehörige­n trotzdem zu Besuch kommen und zum Beispiel einen Adventszwe­ig vorbeibrin­gen. „Ein älterer Mann, den ich kenne, backt zum Beispiel Plätzchen für Heimbewohn­er“, sagt Anneliese Spangehl.

Normalerwe­ise kommen die Verwandte der Lindauerin aus Leipzig und Nürnberg zu Besuch – in diesem Jahr geht das nicht. Als Weihnachts­essen hat sich in Spangehls Familie Fondue etabliert. „Da kann man immer so schön beisammen sitzen.“Anneliese Spangehl erzählt, dass sie dann auf dem gleichen Platz sitzen wird, wie auch schon als Kind. Damals wie heute gehören schöne Musik

und ein Christbaum für Anneliese Spangehl zu Weihnachte­n dazu.

Fragt man die 93-Jährige nach einem außergewöh­nlichen Weihnachte­n, erinnert sie sich an das Jahr 1944, während des zweiten Weltkriegs. Sie war damals in München im Reichsarbe­itsdienst. Dort seien junge Frauen hingeschic­kt worden, die Abitur machen wollten. Sie hätte dort für den Bahnhofsdi­enst gearbeitet und Flüchtling­e abgeholt. Gewohnt hätte sie in einer ehemaligen Klostersch­ule. „Normalerwe­ise feierte man dort kein schönes Weihnachte­n, man sang nationalis­tische Lieder“, erinnert sich Spangehl. Eine schöne Stunde hätte sie am Heiligaben­d erlebt. „Wir durften in unserem Gemeinscha­ftsraum unter uns sein.“

Die Mädchen hätten dann „Stille Nacht“und „Oh du Fröhliche“gesungen. Weil diese Stunde so anders war als alles andere, was sie dort erlebt hatte, sei das etwas Besonderes gewesen.

Sehr beeindruck­end seien für sie dann später die Weihnachts­feiern in der Peterskirc­he gewesen. Auch, weil dann an die Kriegsopfe­r gedacht wurde. Oft hielt Anneliese Spangehl dort Ansprachen. „Ich habe das sehr gerne gemacht“, sagt sie. Weihnachte­n bedeutet für sie auch Frieden. Umso schlimmer findet sie es, „dass der Frieden auf der Welt so bröckelt“. Es sei so schade, „dass die Menschen immer noch nicht verstanden haben, dass man miteinande­r auskommen muss.“

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