Spieltagsdiagnose: Unterkühlt
Leise, kurios und irgendwie gewöhnlich: So verläuft ein Geisterspieltag des VfB Friedrichshafen
- Pritschen und Baggern in der Ausweichhalle, ohne Fans, dafür mit vielen Maßnahmen zum Infektionsschutz: Die Heimspiele der Bundesliga-Volleyballer des VfB Friedrichshafen wurden in diesem Herbst komplett auf den Kopf gestellt. Erhöhte Temperatur löst das bei den Vereinsverantwortlichen aber nicht aus – wenn überhaupt wird beim Eintritt in die Messehalle A1 Untertemperatur gemessen.
Es ist kurz vor Anpfiff des letzten Bundesliga-Spieltages 2020 des VfB Friedrichshafen. Am Eingang zur Halle hält Tanja Finkbeiner ein Fiebermessgerät an die Stirn eines Spieltagsmitarbeiters. Kritisch guckt sie auf das Ergebnis und streckt dem Mann die elektronische Anzeige entgegen. Der zieht bei diesem Anblick fragend die Augenbrauen hoch und wischt sich einmal mit der Hand über die Stirn. „Immer wieder sagt das Gerät, dass die Leute eine zu niedrige Temperatur haben“, erklärt Finkbeiner. Sie ist für den Einlass der Presse, der Anschreiber und Ballroller zuständig – also diejenigen, die nicht im direkten Kontakt zu den Spielern stehen. „Am Anfang dachte ich, das Teil sei kaputt. Irgendwann habe ich dann aber bemerkt, dass die niedrige Temperatur immer bei den Leuten angezeigt wird, die mit dem Fahrrad kommen.“Deren Stirn sei durch den Fahrtwind so kalt, dass das Gerät damit nicht klarkomme. Und Fieber? „Nein, erhöhte Temperatur hatten wir noch nie.“Finkbeiner habe den Eindruck, die Leute seien pflichtbewusst.
Es ist die erste Saison, in der Finkbeiner als Freiwillige für den VfB arbeitet – damit ist sie Teil dieser außergewöhnlichen Geisterspieltage im Profisport. Eigentlich wäre sie für die VIPs zuständig, nun muss sie Fieber messen, bittet beim Eintritt um Handdesinfektion, erklärt den Gästen die Formulare und sammelt diese zusammen. Dass sie sich nicht um die ausgelassene VIP-Gäste, sondern um fokussierte Pressemitarbeiter kümmern muss, stört Finkbeiner jedoch nicht: „Ich bin einfach froh, dass die Mannschaft überhaupt spielen kann.“
Mittlerweile hat die Partie des VfB gegen die Netzhoppers Königs Wusterhausen begonnen. Hallensprecher Frank Zender begrüßt in den Auszeiten die Fans, obwohl nur vereinzelte Sitzschalen der mobilen Tribüne in der Messehalle mit Vereinsmitarbeitern besetzt sind. Zender spult sein
Programm dennoch unbeeindruckt herunter – macht beispielsweise Werbung für den Fanshop, dabei ist fast jeder in der Halle bereits mit VfBTrainingsanzügen ausgestattet.
Rund 60 Personen wuseln während des Spiels gegen die Netzhoppers in der Halle umher. Das Team, die Trainer und Betreuer gelten an Spieltagen als aktiver Teil der Veranstaltung. Diese Personen werden regelmäßig
Matthias Liebhardt, Sprecher des VfB Friedrichshafen
getestet und sind an Spieltagen vom passiven Bereich getrennt. In dem bewegen sich andere Spieltagsmitarbeiter und die Presse. „Es ist schon immer noch herausfordernd“, beschreibt Matthias Liebhardt die Heimspieltage. Er ist Pressesprecher des VfB und versichert, dass durch die jetzige Situation keine Jobs im Verein gestrichen wurden. Viele Aufgabenbereiche hätten sich einfach verändert. Geschäftsführer Thilo
Späth-Westerholt beispielsweise – der halte den Kontakt zu den Sponsoren eben nicht mehr an Heimspieltagen im VIP-Bereich, sondern über das Telefon.
Während sich vieles bereits eingespielt hat, verrät Liebhardt, dass es in den vergangenen Wochen doch noch einen Kraftakt zu bewältigen gab: „Wir haben unseren Livestream ausgebaut, mit mehr Kameras, dass die Fans das Spiel aus mehr Einstellungen sehen können.“Da habe der Verein schon einiges investiert, sagt Liebhardt. Den Fans wolle man eben ermöglichen, dranzubleiben.
Das Team um Kapitän Dejan Vincic spielt sich gegen die Netzhoppers derweil in einen kleinen Rausch. Nach einem krachenden Block der Häfler dröhnt „I like to move it“aus den Boxen – die VfB-Mitarbeiter stemmen routiniert die Arme in die Höhe. Auf der Ersatzbank lässt sich auch Mittespieler David Fiel anstecken. Mit kreisenden Armen fordert er mehr Einsatz von den leeren Rängen, dreht sich dann wieder lachend zum Spielfeld. „Man gewöhnt sich nicht wirklich daran“, antwortet Liebhardt auf die Frage nach den fehlenden Zuschauern. „Also heute ging es ja noch, da haben die Netzhoppers und wir Stimmung gemacht. Aber letzte Woche gegen den VCO Berlin war es so still – da hört man die Heizung in der Halle.“
Diagonalangreifer Linus Weber vermisst es, vor Fans zu spielen, kann den Geisterspieltagen aber auch etwas Gutes abgewinnen: „Ich komme teilweise noch besser in den Fokus. Aber das ist eine Spielerfrage, da reagiert jeder anders.“Ansonsten habe sich für ihn und das Team recht wenig geändert, sagt Weber. Spielern des gegnerischen Team begegnet er vor oder nach dem Spiel wenn überhaupt mit Maske, es gibt regelmäßige Tests und keine Teamaktivitäten außerhalb der Halle. Vor Auswärtsspielen kocht das Betreuerteam für den ganzen Tag vor. Im Bus gibt es dann Salate und warmes Essen, sodass das Team bis zum Hotel ohne Stopp durchfahren kann. Dort haben die Häfler für gewöhnlich einen eigenen Hotelflur und einen eigenen Essensraum – bloß kein Kontakt zu anderen Personen.
Am Ende gewinnt Friedrichshafen diesen letzten Spieltag 2020 gegen die Netzhoppers mit 3:0. Sonja Finkbeiner muss jetzt nur noch die Corona-Formulare an die Geschäftsstelle übergeben, viel Arbeit sei das alles nicht, sagt sie. „Mein Part an den Spieltagen ist wahrscheinlich der geringste von allen Mitarbeitern.“
„Gegen den VCO Berlin war es so still, da hört man die Heizung in der Halle.“