Ohne Pauken und Trompeten ins neue Jahr
Neujahrsblasen fällt wegen Corona aus - Finanzielle Verluste für Musikvereine
(roi) - Musiker, die von Haus zu Haus ziehen, ein Ständchen spielen, dafür mit einem wärmenden Schnaps und Geld in der Spendenkasse belohnt werden, auch das wird es dieses Jahr nicht geben. Wegen der Corona-Pandemie muss das traditionelle Neujahrsblasen der Musikkapellen ausfallen. Damit bricht eine der Haupteinnahmequellen der Vereine weg. Wie sie darauf reagieren.
„Ich bin schon seit 50 Jahren bei der Musik, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es schon mal ausgefallen ist“, sagt Jürgen Mayer, Vorsitzender des Musikvereins Oberreitnau. Die Absage passe in ein „frustrierendes Jahr“. Die meisten Musikkapellen hatten keine Auftritte. Als sich die Corona-Lage im Sommer wieder etwas entspannte, starteten sie zwar unter großen Auflagen ihren Probebetrieb wieder, doch bereits im Herbst war wieder Schluss. Das bedeutet: keine Einnahmen, aber laufende Kosten für Jugendausbildung oder Dirigenten. Ein Kraftakt für viele Musikvereine.
Bis zuletzt habe der Verband versucht, über die höchsten staatlichen Stellen die Genehmigung für das Neujahrsblasen zu bekommen, sagt Jürgen Mayer. Vergeblich, die Pandemie lässt das gesellige Beisammensein und gemeinsame Musizieren nicht zu. Auch wenn Mayer Verständnis für die Maßnahmen hat, sei die Absage des Neujahrsblasens doch „sehr traurig für jeden aktiven Musiker“.
Mit dem Neujahrsblasen breche „die größte Verbindung zwischen dem Musikverein und den Bürgern seines Ortsteils“weg, gibt Karl Meßmer, Vorsitzender des Musikvereins Lindau-Aeschach/Hoyren zu bedenken. In kleinen Gruppen – selbst bei widrigem Wetter – die musikalischen Neujahrswünsche zu überbringen, sei immer ein Höhepunkt für Musiker, auch im Hinblick auf ihre Kameradschaft, betont Stefan
Grimminger, Vorsitzender der Musikkapelle Unterreitnau.
Aber es geht bei der Absage des Neujahrsblasens um viel mehr als einen geplatzten feuchtfröhlichen Musikerausflug. Die Einheimischen bedanken sich meist großzügig mit Spenden für die musikalische Begleitung durchs Jahr. „Das ist unsere Haupteinnahmequelle im Jahr“, bringt Markus Kaeß, Vorsitzender des MV Weißensberg, auf den Punkt, was für viele Musikkapellen gilt. Aus dem Erlös werden nicht nur die laufenden Kosten bestritten, das Geld werde auch für die Finanzierung von Instrumenten und Trachten benötigt, sagt Mayer.
Ausgefallene Veranstaltungen sind auch der Grund, warum Musikvereine, die bisher kein Neujahrsblasen
gemacht hatten, dieses Jahr damit geliebäugelt haben. „Wir hätten es vielleicht das erste Mal gemacht“, sagt Alexander Lang, Vorsitzender des MV Reutin. In kleinen Gruppen zu musizieren, schien ihm in CoronaZeiten noch am realistischsten. Jetzt brach auch dieser Strohhalm weg.
Die Nonnenhorner spielen traditionell immer am Wochenende des vierten Advents auf. „Nachdem ja seit Monaten nichts los ist, hatten wir uns schon sehr darauf gefreut“, sagt Claudia Dorn, Vorsitzende des Musikvereins Nonnenhorn. Das Hygienekonzept für das Spiel in Kleingruppen stand, im Dorfblättle waren sie bereits angekündigt – dann kam der Lockdown und das Neujahrsblasen war gestrichen. „Es kamen bereits Rückmeldungen, dass diese
Tradition sehr vermisst worden ist.“Dass sie viele ihrer Fans jetzt mit einer Spende unterstützten, „dafür sind wir sehr dankbar“.
Die Weißensberger Musiker wollen sich ihr traditionelles Neujahrsblasen nicht nehmen lassen – und verlegen es mit neuem Namen kurzerhand in den kommenden Sommer, wie Markus Kaeß verrät: Dann soll es das „Sommersonnwendblasen“geben. Auch hier wollen die Weißensberger Musiker – wenn es Corona zulässt – von Haustüre zu Haustüre ziehen. Nur frieren müssten sie dann vermutlich nicht, und „statt Plätzle und Glühwein gibt es eben Grillwurst und Bier“, so Kaeß. Die Details wollen die Weißensberger aber erst im Frühjahr entscheiden. Alternativ wären auch kleine
Ortsteilkonzerte denkbar, aber nur als Plan B.
Die Vorstandschaft des Musikvereins Sigmarszell grübelt ebenfalls an einer Alternative, wie Andreas Schmid verrät. Im Gespräch sei ein „Maiblasen“, ganz nach dem Vorbild der Nachbarn aus Österreich. Bislang sei aber noch nichts entschieden. „Wir müssen jetzt erst einmal abwarten“, sagt Schmid im Hinblick auf die Corona-Entwicklung. Auch die Achberger Musiker wollen das Neujahrsblasen „verschieben“, wie sie im Amtsblatt der Gemeinde mitteilen.
Die Musikerkollegen aus Bösenreutin bringen mit einer originelle Idee schon jetzt etwas Blasmusik ins Dorf. „In einem persönlichen Brief bitten wir um Unterstützung“, sagt Josef Bayer, Vorsitzender des MV Bösenreutin. In dem Schreiben sei aber auch ein QR-Code abgedruckt: Scannt man ihn ein, könne man ein Musikstück der Bösenreutiner auf dem Smartphone hören. Ein Link führt zudem zu Foto-Impressionen vom vergangenen Neujahrsblasen auf der Homepage. Die Resonanz in der Bevölkerung sei gut, freut sich Bayer.
Auch die Unterreitnauer Musiker haben den Dorfbewohnern diesmal ihre Weihnachtsgrüße in einem Rundbrief überbracht, aber trotz ihrer misslichen Lage ganz bewusst auf einen Spendenaufruf verzichtet. „Wir haben der Bevölkerung in diesem Jahr ja nichts zurückgegeben“, meint Stefan Grimminger.
„Wie es im neuen Jahr weitergeht, steht auch noch in den Sternen“, sagt Jürgen Mayer. Trotzdem setzen er und seine Musikerkollegen darauf, dass bald wieder etwas Normalität einkehrt. Bleibt zu hoffen, dass die Einbußen bei Finanzen und Mitgliederzahlen bis dahin nicht zu groß sind. Stefan Grimminger: „Ich habe schon bedenken, dass welche abspringen, wenn sie sehen, dass es auf dem Sofa gemütlicher ist.“