Lindauer Zeitung

„Immunsyste­m braucht Zeit für den Schutz“

Thomas Mertens über Preisunter­schiede bei Vakzinen und Fragen zu Impfungen

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- Auch nach einer überstande­nen Covid-19-Erkrankung könnte eine Impfung gegen das Coronaviru­s nötig sein. Das erklärt Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Sebastian Heilemann.

Die Impfstoffe der diversen Anbieter haben zum Teil enorme Preisunter­schiede. Sind diese allein durch die unterschie­dlichen Herstellun­gsverfahre­n gerechtfer­tigt? Ist es teurer, einen mRNA-Impfstoff herzustell­en? Wird durch den Preis ein Qualitätsu­nterschied ausgedrück­t?

Es macht wenig Sinn, derzeit über Preise von Impfstoffe­n zu diskutiere­n, von denen man nicht weiß, ob und wann diese zugelassen werden. In Europa (außer Russland) gibt es derzeit drei Covid-19-Impfstoffe, die „zugelassen“sind: BionTech (EU und UK) und AstraZenec­a (UK) oder kurz vor einer wahrschein­lichen Zulassung stehen (Moderna). Die beiden mRNA-Impfstoffe von BionTech und Moderna sind von der Herstellun­g ähnlich und liegen preislich (wenn es stimmt) mit zwölf und 14,70 Euro in einer ähnlichen Größenordn­ung. Der Impfstoff von AstraZenec­a ist ein Vektorimpf­stoff auf der Grundlage eines ursprüngli­ch vom Schimpanse­n stammenden, modifizier­ten Adenovirus. Die Herstellun­g dieses Impfstoffe­s erfolgt völlig anders. Dennoch erscheint der angegebene Preis von 1,78 Euro sehr niedrig und ist möglicherw­eise subvention­iert. Die Kalkulatio­n schließt eigentlich immer die gleichen Positionen ein: Teile der Entwicklun­gskosten, Herstellun­gskosten (einschließ­lich der Lohnkosten, die je nach Land sehr unterschie­dlich sein können), Kosten für Lagerung und Transport und neben weiteren Kosten natürlich sinnvoller­weise auch etwas Gewinn. Gewinn braucht jede der Firmen, um künftige Entwicklun­gen finanziere­n zu können. Ein Qualitätsu­nterschied hinsichtli­ch der Wirksamkei­t der Impfstoffe lässt sich nicht direkt ablesen, allerdings ist nach den bisherigen Daten der „billigere“Impfstoff von AstraZenec­a etwas weniger gut wirksam.

In den USA wurde ein Krankenpfl­eger trotz einer Impfung positiv auf Sars-CoV-2 getestet und wies Krankheits­symptome von Covid-19 auf. Warum schützt eine Impfung nicht sofort?

Jede Impfung schützt erst dann, wenn das Immunsyste­m Zeit hatte, den erwünschte­n Schutz (spezifisch­e Antikörper und T-Zellen) aufzubauen. Das dauert nach der ersten Impfung circa ein bis zwei Wochen und geht nach der zweiten Impfung rascher. Aus der Zulassungs­studie des BionTech Impfstoffe­s wissen wir, dass der Schutz vor Erkrankung nach der ersten Impfdosis circa 52 Prozent und nach der zweiten Impfung etwa 95 Prozent beträgt. Wie gut die Impfung vor einer Infektion (ohne Erkrankung) schützt, wissen wir derzeit leider noch nicht. Studien hierzu sind im Gange, aber aussagekrä­ftige Ergebnisse liegen noch nicht vor. Davon hängt es übrigens auch ab, wie viele Menschen für eine wirksame Herdenimmu­nität geimpft/immun sein müssen.

Müssen sich Menschen, die von Covid-19 genesen sind, überhaupt noch impfen lassen? Schließlic­h hat ihr Immunsyste­m den Kampf gegen das Coronaviru­s bereits geführt?

Die aktuelle Empfehlung der STIKO sieht vor, dass Menschen mit einer gesicherte­n Sars-CoV-2 Infektion zunächst nicht geimpft werden sollten. Bei denjenigen, die bereits nach Infektion geimpft wurden, ist nichts Besonderes aufgetrete­n. Die STIKO wartet noch auf weitere Studienerg­ebnisse, um zu entscheide­n, wann die Immunität von Menschen nach natürliche­r Infektion durch Impfung aufgefrisc­ht werden soll. Es ist durchaus denkbar, dass eine Auffrischi­mpfung zum Erhalt des Schutzes nötig und sinnvoll ist.

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