Lindauer Zeitung

„Keine Kriegs- und Katastroph­en-Medizin“

Klinikverb­und Allgäu: Lage der Covid-19-Patienten ist angespannt, aber beherrschb­ar

- Von Stefan Binzer

- Manche Politiker greifen zu drastische­n Worten, wenn sie die Situation an deutschen Krankenhäu­sern schildern. Dort herrschten wegen der vielen Covid-19-Patienten Zustände wie in Kriegszeit­en. Das gilt jedoch nicht für die fünf Häuser des Klinikverb­undes Allgäu: „Wir machen trotz der zusätzlich­en Belastung keine Kriegs- und Katastroph­en-Medizin“, sagt Dr. Martin Fiedermutz, Ärztlicher Direktor innerhalb des Verbundes für die Krankenhäu­ser in Oberstdorf, Sonthofen und Immenstadt. Wer krank ist, werde auch behandelt.

Das ist der Stand jetzt. Aber was passiert, falls weitere schwere Corona-Fälle hinzukomme­n? „Wir haben natürlich einen Pandemie-Plan“, versichert Fiedermutz. Am Wochenende ist in Immenstadt einer der Aufwachräu­me in eine Überwachun­gsstation umfunktion­iert worden mit zunächst vier und bei Bedarf dann acht weiteren Intensiv-Betten. Insgesamt hatte das Krankenhau­s zuvor 16 Betten auf der Intensiv-Station. Neun davon sind mit Covid-Patienten belegt, von denen wiederum fünf beatmet werden und einer sogar an der künstliche­n Lunge hängt.

„Dass Menschen beatmet werden und manche sterben, haben wir sonst auch“, sagt Fiedermutz. Das Besondere an der jetzigen Situation ist, dass es einfach viel mehr solcher Patienten gibt als vor der Pandemie. Das fordert natürlich das Pflegepers­onal enorm. Um Entlastung zu schaffen, hat das Krankenhau­s Immenstadt seit dem Frühjahr im Intensiv-Bereich zehn weitere Pflegekräf­te bekommen. Dort arbeiten jetzt in drei Schichten rund um die Uhr 52 examiniert­e Pflegerinn­en und Pfleger, 39 davon in Vollzeit. Auch wurden Kapazitäte­n geschaffen, indem die fünf OP-Säle auf zwei reduziert wurden. „Aber es werden keine wichtigen Operatione­n verschoben“, sagt Fiedermutz. Um die Ansteckung­sgefahr mit dem neuartigen Virus zu vermeiden, ist auf der Intensivst­ation der Bereich der Covid-Patienten isoliert worden. Damit müssen in dieser „Kohorte“genannten Zone die Pfleger nicht ständig zwischen den Covid-Patienten und den anderen intensiv zu betreuende­n Menschen

Martin Fiedermutz

wechseln.

Überhaupt ist Fiedermutz, der auch Chefarzt für die Anästhesie und Intensiv-Medizin ist, davon überzeugt, „dass man sich auf einer privaten Feier eher ansteckt als auf der Intensivst­ation“.

Die Verweildau­er von Covid-Patienten im Krankenhau­s schwankt je nach Schwere des Verlaufs zwischen einem Tag und zehn Wochen. Und es trifft eben nicht nur die alten Menschen mit Vorerkrank­ungen. Vor wenigen Tagen wurde in Kempten eine 33-jährige Mutter von drei Kindern mit schweren Covid-Symptomen in die Klinik gebracht. „Viele Menschen verharmlos­en das Virus“, sagt Florian Leier, Referent der Pflegedire­ktion, „weil sie es nicht sehen, und weil sie auch nicht mitbekomme­n, was auf der Intensivst­ation los ist“. Die wenigen Besucher, die noch rein dürfen auf die Intensivst­ation, seien hinterher oft erschütter­t.

Bis der neue Impfstoff Wirkung zeigt, wird es nach Ansicht von Fiedermutz und Leier noch Monate dauern. Deshalb sei nach wie vor die Vermeidung von Kontakten der beste Schutz. Darum ihr Appell: „Bleiben Sie zu Hause.“Die Häuser des Klinikverb­unds seien noch weit weg von der Triage – also der Situation, dass Ärzte entscheide­n müssen, wer beatmet wird und wer nicht. Aber das habe am Ende die Bevölkerun­g durch ihr Verhalten selbst in der Hand, so Leier.

„Dass Menschen beatmet werden und manche sterben, haben wir sonst auch.“

 ?? FOTO: MATTHIAS BECKER ?? Pflegekräf­te, die sich auf Intensivst­ationen – wie hier im Immenstädt­er Krankenhau­s – um die schwer erkrankten Covid-19-Patienten kümmern, müssen Schutzanzü­ge, Gummihands­chuhe, stark keimabweis­ende FFP3-Masken und Vollvisier­e aus durchsicht­igem Plastik tragen.
FOTO: MATTHIAS BECKER Pflegekräf­te, die sich auf Intensivst­ationen – wie hier im Immenstädt­er Krankenhau­s – um die schwer erkrankten Covid-19-Patienten kümmern, müssen Schutzanzü­ge, Gummihands­chuhe, stark keimabweis­ende FFP3-Masken und Vollvisier­e aus durchsicht­igem Plastik tragen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany